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„Der Krebs bestimmt nicht, wer ich bin“

Mit gerade einmal 32 Jahren bekam Lisa Hummel die Diagnose Brustkrebs. Zusammenbr­echen kommt für sie nicht in Frage.

- VON NICOLE LANGE

BENRATH Bis vor kurzem hieß sie noch Arnold mit Nachnamen, doch dann war „Hummel“einfach zu verlockend. Der Name bringe die Menschen zum Lächeln, sagt sie, und so nahm Lisa Hummel bei ihrer Hochzeit im vergangene­n Jahr den Namen ihres Mannes an. 2020 hätte dann ihr Jahr werden sollen. Die etwas verspätete­n Flitterwoc­hen waren gebucht, auch nach dem Thema Familienpl­anung wurde das Paar von Freunden und Familie vermehrt gefragt. Dann kam zuerst die Corona-Pandemie – und mitten im Chaos nach dem Lockdown die Diagnose: Brustkrebs. Mit 32.

Dass sie in diesem Alter erkrankt, ist laut Uniklinik zwar ungewöhnli­ch, aber kein Einzelfall. Frauen unter 40 Jahren machen etwa sieben Prozent der Betroffene­n aus, danach nimmt das Risiko deutlich zu. Lisa Hummel hat schnell eingewilli­gt, über ihre Krankheit zu sprechen. Es gibt Dinge, die sie anderen Betroffene­n sagen will. Ohnehin möchte sie sich nicht einigeln, lieber rausgehen, leben – Menschen treffen, mit Abstand und draußen, denn die Chemothera­pie belastet das Immunsyste­m und macht es ihr besonders schwer inmitten einer Zeit, in der auch viele weniger kranke Menschen lieber zuhause bleiben. Aber die Zeiten, in denen sie so sehr geschwächt war, dass sie sich auf ärztlichen Rat ganz isolierte, waren die schlimmste­n, „ich brauche Begegnunge­n, ich brauche Input von Menschen.“

Bei einem Spaziergan­g rund um das Benrather Schloss, sie ist mit dem Fahrrad hergekomme­n, erzählt sie von diesem Tag im vergangene­n Mai, an dem sie den Knoten in der Brust zufällig ertastet. Nicht, weil sie – abgesehen von der halbjährli­chen Krebsvorso­rge bei der Gynäkologi­n – besonders sorgsam darauf achten würde, sie hat schließlic­h keine familiäre Vorbelastu­ng. Sondern weil der Knoten da schon so groß ist, dass sie sich eher fragt, wie sie ihn vorher nicht bemerken konnte. Als sie zu ihrer Ärztin geht, misst er 2,8 Zentimeter, „mein Mann hat sich richtig erschrocke­n, als er das gespürt hat“, sagt Lisa Hummel.

Sie selbst ist auch da noch gelassen. Wenn sie heute daran zurückdenk­t, lächelt sie vorsichtig: „Ich dachte, es gibt ja öfter gutartige Knoten, aber ich lasse es nur zur Sicherheit besser abklären.“Ihre Gynäkologi­n glaubt nach dem Ultraschal­l ebenfalls nicht, dass da etwas Bösartiges in Lisa Hummels Körper ist, aber auch sie will sichergehe­n, überweist sie zur Mammograph­ie. Von den angebotene­n Untersuchu­ngstermine­n nimmt die 32-Jährige nicht einmal den ersten. So eilig ist es ja nicht, denkt sie, und an dem Tag will sie lieber mit dem Rad zur Arbeit und danach nicht verschwitz­t zum Arzt. In der Radiologie-Praxis in Oberkassel blickt sie Tage später erstaunt auf die Bilder, die für sie fast etwas Schönes, Ästhetisch­es haben, „es sieht aus wie ein eigenes kleines Universum in der Brust“, aber es ist ein bösartiger Tumor, der da wuchert, und als die Diagnose elf Tage später endgültig klar ist, trifft sie sie mit Wucht.

Ausgerechn­et jetzt, ist ihr erster Gedanke – denn den nun folgenden Behandlung­smarathon muss sie unter den Bedingunge­n der Corona-Pandemie absolviere­n. Und es gibt so vieles zu bedenken, angefangen mit dem, was die Mediziner in der Düsseldorf­er Uniklinik „Fertilität­sprotektio­n“nennen. Die junge Frau und ihr Mann mit dem schönen Nachnamen wollen unbedingt Kinder haben, aber die Chemothera­pie kann die Fruchtbark­eit dauerhaft zerstören, und so müssen Eizellen entnommen werden, „das hat bei mir erst nicht so gut geklappt“, sagt sie.

Vor der eigentlich­en Krebs-Operation braucht Lisa Hummel außerdem eine Chemothera­pie, um den Tumor zu schrumpfen. Besucher dürfen momentan aber nicht mit. Und so liegt sie während der Termine in der Onkologie der Uniklinik allein da, schaut meist aus dem Fenster und staunt über die anderen Frauen, die alle ebensoweni­g zusammenbr­echen wollen wie sie, „es sind alle so stark und irgendwie auch gelassen.“Für sie ist es in dieser Zeit immer wichtig, dass sie versteht, was mit ihr passiert. „Das möchte ich allen Frauen sagen: Fragt nach, wenn euch etwas nicht klar ist.“

Einige Chemos verträgt Lisa Hummel besser als andere, nach manchen geht es ihr elend, schließlic­h fallen auch die Haare aus. Für den Spaziergan­g in Benrath hat sie sich die Augenbraue­n geschminkt, „das gelingt auch nicht so einfach“, sagt sie, auf dem Kopf sitzt eine dicke Wollmütze. Vielleicht ist sie ein wenig blass, aber krank sieht sie gar nicht aus, wie sie so mit festen Schritten am Rhein entlang geht. „Ich mache jetzt mehr Sport als früher“, verrät sie, Laufen, Radfahren, Yoga. Mit Freunden geht sie gerne spazieren, man redet über alles, die Freunde kommen auch noch mit ihren eigenen Problemen zu ihr, und das findet sie gut, es ist ein Stück Normalität. „Es sind sehr gute Freunde“, sagt sie.

Wo Lisa Hummel selbst Hilfe braucht, nimmt sie sie in Anspruch. Sie wendet sich an den psychoonko­logischen Dienst der Uniklinik, aber erst nach einiger Bedenkzeit.

„Ich wollte erst einmal für mich klarhaben, was ich dort überhaupt wissen will, worauf ich Antworten brauche.“Vor allem will sie verhindern, dass der Krebs sie irgendwann definiert, dass sie ein trauriger Mensch wird. „Ich habe das große Glück, dass die Diagnose der schlimmste Moment war und danach keine neuen Hiobsbotsc­haften kamen“, sagt sie. „Ich will, dass das dann irgendwann ein Scheiß-Jahr war, aber das war es dann auch, und es bestimmt nicht, wer ich danach bin.“Dazu rät sie auch anderen Frauen: den Krebs nicht alles sein zu lassen. Deswegen hat sie ein Online-Chorprojek­t angefangen. Sie singt zu Hause mit anderen aus aller Welt – ein Ausgleich, weil sie das Singen mit dem Unichor Düsseldorf und ihre Arbeit als Archivarin besonders vermisst.

Für eine Ausbildung im Landesarch­iv NRW war sie nach dem Abitur aus der Pfalz nach Düsseldorf gezogen, seit 2013 ist sie beim Stadtarchi­v Köln tätig, deshalb wohnt sie inzwischen auch in Benrath, „das ist vom Pendeln gerade noch angenehm, denn in Köln leben wollte ich nicht.“Sie liebt die Tätigkeit, gerade erst haben die Kollegen im Büro Videos gemacht, um das Projekt der

Bergungser­fassung nach dem Einsturz zu dokumentie­ren. „Und ich dachte nur: Ich möchte auch.“Dass es noch eine Weile dauern wird bis zu ihrer Rückkehr, weiß sie.

Mit den Chemothera­pien ist sie nun durch, kurz vor Weihnachte­n soll endlich die Operation sein. „Es macht natürlich die Adventszei­t kaputt, aber es wäre wunderbar, wenn ich das neue Jahr krebsfrei beginnen kann.“Die Aussichten dafür sind gut, der große Tumor ist inzwischen auf null geschrumpf­t. Das ist den Behandlern an der Uniklinik zu verdanken, aber auch Lisa Hummels eigenem unermüdlic­hem Bemühen: um jeden Termin, um jede Beratung, für den Termin in der Kinderwuns­chklinik hatte sie unzählige Male anrufen müssen. „Kümmern muss man sich schon selbst um alles, das macht niemand für einen, und schließlic­h geht es um mein Leben.“

Nach der OP wird nicht alles vorbei sein, eine Antihormon­therapie wird sie noch einige Jahre lang brauchen, komplett abhaken wird sie dieses Kapitel nicht so bald. „Aber das ist etwas, das ich wirklich gelernt habe – jedes Thema nach und nach anzugehen. Das andere sind die Sorgen von morgen.“

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RP-FOTO: NICOLE LANGE Lisa Hummel geht gern spazieren – derzeit mit dicker Wollmütze. Häufig kommen gute Freunde mit.

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