Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Corona-Leugner verärgern Kirche
Flyer von selbsternannten „Freiheitsboten“wurden in Weckhoven verteilt. Die Evangelische Kirche kritisiert die Aktion scharf und distanziert sich.
NEUSS Die alte Frau auf dem rotweiß-grünen Flyer schaut traurig in die Ferne. „Einsame Weihnachten?“ist in großen Lettern darunter zu lesen – gefolgt vom Satz: „Selbst die Kirche und Caritas warnen jetzt vor Vereinsamung an Weihnachten durch überzogene Maßnahmen“. Auf der nächsten Seite werden verschiedene Internetlinks aufgelistet, die zu Seiten führen, deren Botschaft schnell deutlich wird: Nicht nur die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie werden dort scharf kritisiert – auch das dramatische Ausmaß des Virus wird bestritten. So ist auf einer auf dem Flyer aufgeführten Seite von einem „milden Erreger“die Rede. Die obskuren Wurfblätter wurden von selbsternannten „Freiheitsboten“erstellt – und nun auch in Neuss verteilt. Als der evangelische Pfarrer Dirk Thamm den Flyer im Briefkasten entdeckte, wurde er direkt skeptisch. „Ich hatte zuerst den Verdacht, dass Scientology dahinter steckt, das hat sich jedoch nicht bewahrheitet – vielmehr handelt es sich offenbar um ein Konglomerat aus Corona-Leugnern“, sagt er.
Was den Pfarrer dabei besonders ärgert: Durch aufgeführte – und aus dem Zusammenhang gerissene – Zitate hochrangiger Mitglieder der Evangelischen Kirche und der Caritas werde suggeriert, dass der Flyer von jenen Institutionen erstellt wurde. „Das ist jedoch nicht so“, betont Thamm. Um dies zu verdeutlichen, habe seine Frau Ulrike Bartkiewitz auch im Gottesdienst in der Auferstehungskirche in Weckhoven darauf aufmerksam gemacht. „Schließlich wurden die Flyer hier in der ganzen Straße eingeworfen“, sagt Thamm, den solche Gruppierungen nur wütend zurücklassen. „Da entsteht eine Subkultur, die mir nicht gefällt.“Bei einem Gottesdienst sei er zudem vor Kurzem gefragt worden: „Herr Pfarrer, Sie vertrauen doch auf Gott, warum tragen Sie dann eine Maske?“. Kontakt mit den „Freiheitsboten“möchte der Pfarrer nicht aufnehmen. „Meine Erfahrung ist, dass es nichts bringt, mit solchen Menschen zu diskutieren.“
Doch auch die katholische Kirche in Neuss musste sich mit einer Aktion auseinandersetzen, die offensichtlich aus der „Corona-Leugner“-Ecke kommt. Vor einigen Tagen haben Unbekannte ein Grablicht vor dem Eingang der Marienkirche in der Innenstadt abgestellt, auf dem „R.I.P. Grundgesetz 24. 5. 1949 – 18. 11. 2020“zu lesen war. Hintergrund der Aktion ist offenbar, dass am 18. November im Bundestag eine Mehrheit von 413 Abgeordneten für eine Reform stimmte, um die Corona-Maßnahmen auf eine neue rechtliche Grundlage zu stellen. Zeitgleich protestierten Tausende Gegner der Corona-Politik lautstark in Berlin. Lange stand das Grablicht allerdings nicht vor der Marienkirche. „Der Küster hat es sofort entfernt“, sagt Monsignore Wilfried Korfmacher auf Nachfrage unserer Redaktion. Auch damit bloß niemand denkt, dass das Licht von einem Kirchenvertreter dort aufgestellt wurde.
Wilfried Korfmacher kritisiert die Aktion und die Personen, die dahinter stecken, scharf: „Das ist der größte Blödsinn des Jahrhunderts. Ich habe kein Verständnis für Verschwörungstheoretiker – diese Leute sind dumme Ignoranten.“