Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Wen Corona einsam macht
Je härter der Lockdown, desto klarer auch eine Erkenntnis: Die Pandemie steigert das Gefühl, sozial isoliert zu leben. Überraschenderweise empfinden das vor allem junge Leute. Und selbst in der Familie kann man einsam sein.
Einsamkeit ist ein totes Gefühl. Ein Zustand, der ein Leben aushöhlen kann. Ein sozialer Schmerz. Die Ordensfrau Mutter Teresa, die sich in Indien für die Armen eingesetzt hat, nannte Isolation und das Empfinden, unerwünscht zu sein, einst die „schlimmste Armut“. Das nimmt in den Blick, dass Einsamkeit zwar ein subjektives Empfinden ist, aber durchaus gesellschaftliche Ursachen haben kann. Wenn dann eine Pandemie ausbricht, nun zum zweiten Mal einen Lockdown erzwingt, Gesichter hinter Masken verschwinden lässt und die scheinbar belanglosen Begegnungen beim Bäcker, auf dem Wochenmarkt oder dem Sportplatz verhindert, hat das natürlich Folgen.
Das belegen inzwischen auch Studien. Psychologen an der Ruhr-Uni Bochum etwa haben in Kooperation mit der Humboldt-Universität Berlin die mögliche Zunahme von Einsamkeit durch Corona mittels einer Online-Befragung mit fast 5000 Teilnehmern untersucht. „Menschen besitzen eine Art eingebautes soziales Thermostat, das ihnen anzeigt, wie gut sie mit anderen Menschen verbunden sind und wie erfüllend sie ihre Kontakte erleben“, sagt Susanne Bücker, Leiterin der Studie.
Einsamkeit sei ein Warnsignal, das anzeige, wenn das Grundbedürfnis nach Eingebundensein nicht ausreichend erfüllt sei. Die Befragung, die im März gleichzeitig mit den ersten Lockdown-Maßnahmen begann, fragte bei den Teilnehmern täglich ihr Einsamkeitsempfinden ab. Dabei zeigte sich, dass das Einsamkeitsgefühl durch die Kontaktbeschränkungen nur zu Beginn leicht zunahm, bald aber wieder sank.
Menschen scheinen sich nach dem ersten Schock schnell an neue Verhältnisse zu gewöhnen und nach Wegen zu suchen, ihr Kontaktbedürfnis, etwa über digitale Kanäle, wenigstens ersatzweise zu stillen. Bislang sind jedoch nur kurzzeitige Veränderungen untersucht worden. Mittelfristig kann sich auch aufgrund der aktuellen Entwicklung noch ein anderes Bild ergeben.
Interessant ist auch der Blick auf besonders belastete Personengruppen. Dazu zählen nämlich zum Beispiel Familien. Der Trubel in einem Haushalt mit Kindern, in dem im Frühjahr Homeoffice und Kinderbetreuung gleichzeitig zu bewältigen waren, sollte also nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Eltern individuell durchaus einsam fühlen können. Sie hatten schlicht keine Zeit, ihre normalen Sozialkontakte zu pflegen, und empfanden das als Mangel. Als Einsamkeit.
Die Befragung ergab weiter, dass junge Erwachsene während der ersten Corona-Hochphase stärker von Einsamkeitsgefühlen betroffen waren als etwa ältere Menschen. „Junge Leute haben einen starken Drang nach sozialer Einbindung und benötigen mehr Kontakte als ältere Menschen, die vielleicht in einer Partnerschaft leben und einen gefestigten Freundeskreis haben“, sagt Bücker.
Das zeigen auch andere Erhebungen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin fragt in seiner Langzeitstudie „Sozio-ökonomisches Panel“auch Einsamkeitswerte ab. Vor Corona stuften sich Menschen auf einer Skala von null bis zwölf im Durchschnitt bei drei ein. Seit die Pandemie den Alltag verändert, liegt der Wert bei 5,4. Das Einsamkeitsempfinden hat sich also fast verdoppelt. Besonders stark nahm das subjektive Empfinden bei Frauen und jungen Menschen unter 30 Jahren zu.
Jeder Mensch entwickelt im Laufe seines Lebens ein inneres Maß dafür, wie lebendig sein Sozialleben sein sollte. Das wird von kulturellen Werten und Normen ebenso beeinflusst wie von individuellen Erfahrungen. Umbrüche etwa durch die Digitalisierung oder jetzt durch die Pandemie zwingen den Einzelnen, sich anzupassen. Dafür stehen diversen Bevölkerungsgruppen aber unterschiedliche Ressourcen zur
„Menschen besitzen eine Art eingebautes soziales Thermostat“
Susanne Bücker Ruhr-Uni Bochum