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Wen Corona einsam macht

Je härter der Lockdown, desto klarer auch eine Erkenntnis: Die Pandemie steigert das Gefühl, sozial isoliert zu leben. Überrasche­nderweise empfinden das vor allem junge Leute. Und selbst in der Familie kann man einsam sein.

- VON DOROTHEE KRINGS

Einsamkeit ist ein totes Gefühl. Ein Zustand, der ein Leben aushöhlen kann. Ein sozialer Schmerz. Die Ordensfrau Mutter Teresa, die sich in Indien für die Armen eingesetzt hat, nannte Isolation und das Empfinden, unerwünsch­t zu sein, einst die „schlimmste Armut“. Das nimmt in den Blick, dass Einsamkeit zwar ein subjektive­s Empfinden ist, aber durchaus gesellscha­ftliche Ursachen haben kann. Wenn dann eine Pandemie ausbricht, nun zum zweiten Mal einen Lockdown erzwingt, Gesichter hinter Masken verschwind­en lässt und die scheinbar belanglose­n Begegnunge­n beim Bäcker, auf dem Wochenmark­t oder dem Sportplatz verhindert, hat das natürlich Folgen.

Das belegen inzwischen auch Studien. Psychologe­n an der Ruhr-Uni Bochum etwa haben in Kooperatio­n mit der Humboldt-Universitä­t Berlin die mögliche Zunahme von Einsamkeit durch Corona mittels einer Online-Befragung mit fast 5000 Teilnehmer­n untersucht. „Menschen besitzen eine Art eingebaute­s soziales Thermostat, das ihnen anzeigt, wie gut sie mit anderen Menschen verbunden sind und wie erfüllend sie ihre Kontakte erleben“, sagt Susanne Bücker, Leiterin der Studie.

Einsamkeit sei ein Warnsignal, das anzeige, wenn das Grundbedür­fnis nach Eingebunde­nsein nicht ausreichen­d erfüllt sei. Die Befragung, die im März gleichzeit­ig mit den ersten Lockdown-Maßnahmen begann, fragte bei den Teilnehmer­n täglich ihr Einsamkeit­sempfinden ab. Dabei zeigte sich, dass das Einsamkeit­sgefühl durch die Kontaktbes­chränkunge­n nur zu Beginn leicht zunahm, bald aber wieder sank.

Menschen scheinen sich nach dem ersten Schock schnell an neue Verhältnis­se zu gewöhnen und nach Wegen zu suchen, ihr Kontaktbed­ürfnis, etwa über digitale Kanäle, wenigstens ersatzweis­e zu stillen. Bislang sind jedoch nur kurzzeitig­e Veränderun­gen untersucht worden. Mittelfris­tig kann sich auch aufgrund der aktuellen Entwicklun­g noch ein anderes Bild ergeben.

Interessan­t ist auch der Blick auf besonders belastete Personengr­uppen. Dazu zählen nämlich zum Beispiel Familien. Der Trubel in einem Haushalt mit Kindern, in dem im Frühjahr Homeoffice und Kinderbetr­euung gleichzeit­ig zu bewältigen waren, sollte also nicht darüber hinwegtäus­chen, dass sich die Eltern individuel­l durchaus einsam fühlen können. Sie hatten schlicht keine Zeit, ihre normalen Sozialkont­akte zu pflegen, und empfanden das als Mangel. Als Einsamkeit.

Die Befragung ergab weiter, dass junge Erwachsene während der ersten Corona-Hochphase stärker von Einsamkeit­sgefühlen betroffen waren als etwa ältere Menschen. „Junge Leute haben einen starken Drang nach sozialer Einbindung und benötigen mehr Kontakte als ältere Menschen, die vielleicht in einer Partnersch­aft leben und einen gefestigte­n Freundeskr­eis haben“, sagt Bücker.

Das zeigen auch andere Erhebungen. Das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung in Berlin fragt in seiner Langzeitst­udie „Sozio-ökonomisch­es Panel“auch Einsamkeit­swerte ab. Vor Corona stuften sich Menschen auf einer Skala von null bis zwölf im Durchschni­tt bei drei ein. Seit die Pandemie den Alltag verändert, liegt der Wert bei 5,4. Das Einsamkeit­sempfinden hat sich also fast verdoppelt. Besonders stark nahm das subjektive Empfinden bei Frauen und jungen Menschen unter 30 Jahren zu.

Jeder Mensch entwickelt im Laufe seines Lebens ein inneres Maß dafür, wie lebendig sein Soziallebe­n sein sollte. Das wird von kulturelle­n Werten und Normen ebenso beeinfluss­t wie von individuel­len Erfahrunge­n. Umbrüche etwa durch die Digitalisi­erung oder jetzt durch die Pandemie zwingen den Einzelnen, sich anzupassen. Dafür stehen diversen Bevölkerun­gsgruppen aber unterschie­dliche Ressourcen zur

„Menschen besitzen eine Art eingebaute­s soziales Thermostat“

Susanne Bücker Ruhr-Uni Bochum

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