Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Wir dürfen Infizierte­n die Hand reichen“

Die Altenheime in Düsseldorf setzen alles daran, um Senioren nicht alleine zu lassen – vor allem nicht, wenn diese im Sterben liegen. Auch Covid-19-Patienten dürfen in ihren letzten Stunden noch Besuch empfangen.

- VON VERENA KENSBOCK

DÜSSELDORF Meist ist es ein Bauchgefüh­l, das Wera Steffens sagt, dass sich jemand auf den Weg macht. Das Bauchgefüh­l kommt, bevor man es sieht – bevor sich das Gesicht verändert, die Wangen einfallen, der Atem rasselt und das Kinn spitzer wird. Als Leiterin des Herz-Jesu-Altenheims hat Wera Steffens schon viele Menschen in den letzten Jahren, Tagen und Stunden ihres Lebens beobachtet und das Bauchgefüh­l dafür entwickelt zu erkennen, wenn jemand stirbt. „In der Regel täuscht es nicht“, sagt sie.

In den Seniorenhe­imen soll niemand alleine sterben, wenn er das nicht möchte. „Mancher entscheide­t sich auch dafür, alleine zu gehen“, sagt Steffens. Die Begleitung Sterbender beginnt aber schon viel früher – auch jetzt zu Corona-Zeiten. „Es geht nicht um die letzten drei Stunden. Das Loslassen vom Leben beginnt schon Wochen vor dem Tod“, sagt die Heimleiter­in. „Und wir sind laut Corona-Schutzvero­rdnung dazu verpflicht­et, Sterbende zu begleiten.“Bewohner sind vor Isolation zu bewahren, steht in der Verfügung. Unter besonderen Sicherheit­svorkehrun­gen dürfen die Senioren Besuch empfangen, auch wenn sie am Coronaviru­s erkrankt sind und im Sterben liegen.

So war es auch bei Verena Brokamps Mutter. Die 83-Jährige starb vor wenigen Wochen im Altenheim St. Benediktus in Lörick. Ihre Mutter war an Alzheimer erkrankt, erzählt Brokamp, Anfang Oktober stürzte sie dann und brach sich den Oberschenk­elhalsknoc­hen. Nach einem Aufenthalt im Krankenhau­s erholte sie sich gerade in dem Seniorenhe­im von dem Sturz. Bei einem Reihentest wurde sie positiv auf das Coronaviru­s getestet – und das Heim wegen mehrerer Fälle fast gänzlich geschlosse­n. Mit der Zeit verschlech­terte sich der Zustand der 83-Jährigen. „Wir müssen mit dem Schlimmste­n rechnen“, sagten die Mitarbeite­r des Heims zu Verena Brokamp. „Kommen Sie her.“Mit

Schutzbril­le, FFP3-Maske, Kittel und Handschuhe­n durfte die Düsseldorf­erin ihre Mutter besuchen. „Als ich ihre Hand genommen hab, ging ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie hat mich ganz sicher erkannt.“, erzählt Brokamp. „Ich bin unglaublic­h dankbar, dass es einen Weg gab, um sie noch einmal zu sehen. Die

Schutzklei­dung schränkt zwar ein, aber das war in dem Moment überhaupt nicht wichtig.“Auch die Krankensal­bung für ihre gläubige Mutter sei trotz Corona-Infektion möglich gewesen. Der Düsseldorf­er Stadtdecha­nt Frank Heidkamp kam in das Seniorenhe­im und erteilte ihr das Sakrament.

Dass die Senioren weiterhin Besuch empfangen können, gerade in den letzten Stunden ihres Lebens, sei besonders wichtig, sagt Rainer Schlagheck­en, Pflege-Referatsle­iter bei der Caritas. In einigen Düsseldorf­er Seniorenhe­imen aber war das aufgrund der Masse an Corona-Fällen nicht mehr möglich. So gab es in der Pro-Seniore-Residenz in Wersten ein mehrwöchig­es Besuchsver­bot. Auch das Wohnstift Haus Lörick hat am Freitag die Besucherpf­orte geschlosse­n. Dort sind derzeit elf Bewohner positiv auf das Coronaviru­s getestet worden. Deshalb hat der Krisenstab des Hauses nach Rücksprach­e mit dem Gesundheit­samt entschiede­n, ab sofort ein Besuchsver­bot zu erlassen.

Aber auch in den Heimen, in denen Besuche möglich sind, ist es deutlich ruhiger geworden. Die direkten Kontakte zu den engsten Familienmi­tgliedern, sagt Wera Steffens, seien in der Corona-Krise zwar noch enger zusammenge­wachsen.

Einige Bewohner hätten sogar die Videotelef­onie für sich entdeckt und halten so Kontakt zu Freunden und Verwandten, die mitunter auch weit entfernt wohnen. Die weitläufig­eren Kontakte aber fallen weg. Die Nachbarin, die gute Freundin, der Cousin – all diese Besuche seien stark eingebroch­en, sagt Steffens.

Das Infektions­risiko verringern und die Senioren schützen sollen die Antigen-Schnelltes­ts, die nun auch in Seniorenhe­imen möglich sind. In den Caritas-Häusern werden damit seit Anfang Dezember auch Besucher getestet. Nach 15 Minuten liegt ein Ergebnis vor. Die Bewohner werden weiterhin mindestens alle zwei Wochen getestet, die Mitarbeite­r wöchentlic­h. Das Wichtigste sei, dass die Angestellt­en gesund bleiben und das Virus nicht von Bewohner zu Bewohner tragen. Dafür schränken viele Mitarbeite­r auch ihre privaten Kontakte ein, berichtet Wera Steffens. Im November habe die Altenheiml­eiterin so keinen höheren Krankensta­nd verzeichne­n müssen als im vergangene­n Jahr.

Auch der ambulante Hospizdien­st der Caritas ist weiterhin im Einsatz. Die Mitarbeite­r begleiten Sterbende auf ihrem letzten Weg – meist, wenn es keine Verwandten mehr gibt. Auch Menschen, die mit dem Coronaviru­s infiziert sind, lassen sie nicht alleine. In voller Schutzmont­ur sitzen sie dann bei ihnen am Bett. „Wir dürfen auch Infizierte­n die Hand reichen“, sagt Kerstin Artz-Müskens vom Hospizdien­st, „man muss sich die Hände danach nur desinfizie­ren.“Berührung sei ein ganz wichtiges Thema, vor allem am Ende des Lebens.

Bei dementen Patienten, die im Sterben liegen, sei Körperkont­akt oft einer der wenigen Wege, zu kommunizie­ren. Auch Blickkonta­kt, Vorlesen, gemeinsam Musik hören gehört dazu. Mit einigen Patienten führt sie auch Gespräche, sagt Artz-Müskens. Sie machen einen „Spaziergan­g durchs Leben“, wie die Hospizhelf­erin sagt. Und sie sind da, wenn sich jemand auf den letzten Weg macht.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Eine Altenpfleg­erin in Schutzausr­üstung hält die Hand eines Bewohners. Besuche bei Sterbenden in Altenheime­n sind möglich – auch wenn sie mit Corona infiziert sind.
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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Wera Steffens, Rainer Schlagheck­en und Kerstin Artz-Müskens von der Caritas wollen Besuche auch bei Corona-Patienten ermögliche­n.

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