Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der Sohn darf arbeiten, die Mutter nicht

Schon im ersten Lockdown im Frühjahr gab es dieses Dilemma: Die Friseure durften ihren Beruf ausüben, die Kosmetiker jedoch nicht. Ein direkter Vergleich macht deutlich, wie ähnlich sich diese Tätigkeite­n im Grunde sind.

- VON BRIGITTE PAVETIC

DÜSSELDORF Eine Familie, zwei sehr ähnliche Berufe und viele Fragezeich­en: So sieht im Augenblick das Leben von Nicola Schröder und ihrem Stiefsohn Oliver aus. Sie ist Kosmetiker­in mit einem eigenen Studio, er ist Friseurmei­ster und Stylist. Für unsere Redaktion machten sie das Dilemma der beiden Beauty-Sparten deutlich: Sie darf nicht praktizier­en – er schon. Und beide fragen sich: Warum?

Schon oft kam Oliver Schröder zur Kosmetikbe­handlung zu seiner Mutter ins Studio. Vor und in der Phase zwischen den Lockdowns durfte sie arbeiten. „Ich war echt total happy, als wir alle nach dem ersten Lockdown wieder öffnen durften. Da sah eine Behandlung im Gesicht dann so aus, dass es sich der Kunde auf der Behandlung­sliege gemütlich macht und seine Maske abnimmt. Ich trage eine FFP-2-Maske plus Plastikvis­ier, dazu Gummihands­chuhe.“Der Abstand zwischen den Köpfen beträgt – wie für jedermann zu beobachten ist – etwas weniger als eine Armlänge.

Oliver Schröder macht seiner Mutter regelmäßig die Haare, und bei diesem Prozedere verhält es sich ähnlich mit den Abständen von Kopf zu Kopf – schätzungs­weise etwas weniger als eine Armlänge dürfte der ausmachen. „Unsere Kunden haben ja auch eine Maske auf, daher trage ich eine Baumwollma­ske. Eine FFP-2-Maske müsste ich nur dann tragen, wenn der Kunde keine tragen würde, Handschuhe brauche ich nicht“, sagt er. Die Ungleichbe­handlung resultiert nach Wissen des Friseurmei­sters, der auch als Stylist für TV-Produktion­en arbeitet, daraus, dass ein Friseur bei seiner Behandlung nicht in die Nähe von Augen und Mund kommt – über die Schleimhäu­te werden laut den Gesundheit­sexperten die Coronavire­n ja auch übertragen. „Dafür tragen die Kosmetiker ja Gummihands­chuhe.“Doch auch für die Friseure gibt es zusätzlich­e Verschärfu­ngen: „Vor jeder Dienstleis­tung, auch vor dem Färben, müssen wir die Haare waschen.“

Groß ist auf beiden Seiten das Unverständ­nis für die Ungleichbe­handlung. „Nach dem ersten Lockdown gab es Regelungen, wie man es besser machen kann, wir haben alles umgesetzt, die Kunden sind bei uns so was von sicher. Wenn nicht in einem Kosmetikst­udio, wo dann?“, fragt Nicola Schröder. Sie ist gleichwohl erleichter­t, dass es im ersten Lockdown Soforthilf­e gab und Kurzarbeit­ergeld. Zusätzlich soll es auch in diesem zweiten Lockdown Erstattung­en geben, die sich am Vorjahresu­msatz orientiere­n, und auch das Kurzarbeit­ergeld kann wieder abgerufen werden. „Wenn der Lockdown drastisch verlängert wird, dann wäre das allerdings dramatisch für uns“, sagt sie. Herausford­ernd für Oliver Schröder ist es, an Informatio­nen zu kommen und diese auch zu verstehen. „Ich habe bislang keinen gesprochen, der mir schlüssig erklären kann, warum ich arbeiten darf, aber meine Mutter nicht.“

Schwierig ist die Situation auch für die Handwerksk­ammer (HWK). „Das Gesundheit­skonzept der Kosmetiker ist absolut vergleichb­ar ausgefeilt wie jenes der Friseure, nach dessen Vorbild es fast parallel entwickelt wurde“, sagt ein Sprecher. Die HWK habe gemeinsam mit der Dachorgani­sation Handwerk.NRW, also der Landeshand­werksvertr­etung, schon im Mai erfolgreic­h und kurzfristi­g bei der Landesregi­erung ein Nachziehen der Kosmetiker zu den Friseuren nach einer Woche erreichen können, „nachdem diese Beauty-Branche auch damals schon bei der Wiederöffn­ung nach dem Lockdown ebenfalls erst einmal nicht berücksich­tigt worden war“. Die HWK sei entspreche­nd auch jetzt gleich beim Land vorstellig geworden und stehe dort nachdrückl­ich „auf der Matte“, um für die Kosmetiker eine Gleichbeha­ndlung mit den Friseuren zu erwirken.

Auf den Plan gerufen sind auch Juristen wie Marcus Richter. Als Fachanwalt für Verwaltung­srecht vertritt er unter anderem die Düsseldorf­er Kosmetiker­in Kathrin Weise-Walhöfer, die beim Oberverwal­tungsgeric­ht Münster Klage einreichte wegen der Ungleichbe­handlung. Weise-Walhöfer hat derweil Kolleginne­n aus der Kurzarbeit genommen, „und die sind im Geschäft und machen das, was wir dürfen – Pediküre“. Zum jetzigen Zeitpunkt sei beispielsw­eise das Lackieren der Fußnägel gemäß der Corona-Schutzvero­rdnung NRW unstreitig erlaubt, das Lackieren der Fingernäge­l hingegen nicht, stellt der Rechtsanwa­lt klar. Das Oberverwal­tungsgeric­ht habe mit Beschluss vom 20. November den Eilantrag der Kosmetiker­in abgelehnt, sagt Richter auf Nachfrage und bedauert: „Eine vertiefend­e Auseinande­rsetzung mit unserer Argumentat­ion hat nicht stattgefun­den.“Sollte im Rahmen von Kosmetikle­istungen – Abnahme der Maske beim Kunden erforderli­ch – noch ein sachliches Entscheidu­ngskriteri­um zu der Tätigkeit eines Friseur bestehen, „ist dies im Verhältnis Maniküre zu Pediküre nach meinem Verständni­s verfassung­srechtlich nicht ansatzweis­e gerechtfer­tigt“.

Rechtsetzu­ng und Rechtsprec­hung müssten mittelbar auch ein Spiegelbil­d der Gesellscha­ft darstellen, so Richter. „Es ist jedenfalls meines Erachtens der Bevölkerun­g nicht mehr sachlich vermittelb­ar, weshalb die gleiche Tätigkeit an unterschie­dlichen Extremität­en einerseits erlaubt ist und anderersei­ts als Verstoß mit einem Bußgeld geahndet werden soll. Dieses Ergebnis wird umso grotesker, als dass bei der Fußpflege ein Weniger an hygienisch­en Schutzmaßn­ahmen möglich ist als bei der Nagelpfleg­e.“

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Wo ist der Unterschie­d? Oliver Schröder behandelt seine Stiefmutte­r Nicola Schröder. Die wiederum ist Kosmetiker­in und hatte ihren Sohn schon oft in der Behandlung.
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RP-FOTOS (2): ANDREAS BRETZ

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