Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Corona bekommt eins auf den Deckel

Bayerns Ministerpr­äsident Söder vergleicht Totenzahle­n mit Flugzeugla­dungen. Eine Wissenscha­ftlerin spricht von Viren als Corona-Fußballtea­m. Die Sprache in der Pandemie wird anschaulic­her und emotionale­r.

- VON DOROTHEE KRINGS

Die Zeit der Abstraktio­nen ist vorbei. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder eröffnete die Phase der neuen Emotionali­tät im Sprechen über Corona, als er die erschrecke­nd gestiegene Zahl der Toten mit den Passagiere­n eines vollbesetz­ten Flugzeugs verglich. Das war drastisch. Und es war bildhaft. Tägliche Flugzeugab­stürze lassen sich schlechter verdrängen als R-Faktoren oder exponentie­lle Kurven. Noch mehr Aufmerksam­keit erregte die Kanzlerin mit ihrer flehenden Rede im Bundestag, als sie sagte, Weihnachte­n könnte das letzte mit den Großeltern gewesen sein. Da wurde aus der Physikerin mit dem eisernen Verhandlun­gswillen ein Familienme­nsch, der an Oma und Opa denkt. Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier erfand unter dem Druck steigender Infizierte­nzahlen die „Alarmstufe Schwarz“– fügte also der Corona-Warnampel noch die Farbe von Tod und Trauer hinzu.

Und auch jenseits des Politikbet­riebs bedienen sich Menschen in der Öffentlich­keit neuerdings einer eingängige­ren Sprache, um den Bürgern klarzumach­en, wie dringlich die Lage geworden ist. Die Virologin Melanie Brinkmann zum Beispiel erklärte in einer Talksendun­g, es sei nun an der Zeit, dem Virus „eins auf den Deckel zu geben“. Und die Physikerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut veranschau­lichte die aktuelle Lage, indem sie die Viren als Corona-Mannschaft auf einen fiktiven Fußballpla­tz schickte. Für jeden Infizierte­n durften mehr Spieler aus der Corona-Mannschaft aufs Feld. Mit diesem Vergleich sollte die Fußballnat­ion Deutschlan­d endlich verstehen, in welch perfidem Spiel sie jetzt alle Kräfte sammeln sollte.

Die Pandemie hat eine neue Bedrohungs­stufe erreicht. Politiker sehen Handlungsb­edarf und müssen in der Bevölkerun­g für unliebsame Entscheidu­ngen

werben. In solchen Phasen der öffentlich­en Kommunikat­ion wird Sprache anschaulic­her, eindringli­cher, emotionale­r. „Ein Weg, um bei Bürgern Zustimmung zu erreichen, ist, Bilder zu benutzen, die in den Köpfen hängen bleiben“, sagt Annette Klosa-Kückelhaus, Leiterin des Programmbe­reichs Lexikograp­hie am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Ein weiteres Mittel sei, das Virus zu personalis­ieren, dann könne man es „bekämpfen“, ihm sozusagen „einen auf den Deckel geben“, die „unsichtbar­e Gefahr“greifbar machen. Darum würden auch die riesig vergrößert­en Bilder des Virus immer wieder gezeigt, jeder kennt inzwischen die unverwechs­elbaren Noppen, hat den „Feind“vor Augen.

All diese Mittel haben dasselbe Ziel: aus einem abstrakten Problem ein aktuelles Anliegen, aus Zahlen Menschen zu machen und Bilder zu hinterlege­n, die bei den Leuten hängen bleiben. „Wenn Markus Söder in der Debatte um Weihnachte­n etwa die Zahl der Corona-Toten nennt und hinzufügt, dass diese Menschen auch gern Weihnachte­n erlebt hätten, dann macht er die Diskussion konkret“, sagt die Sprachwiss­enschaftle­rin.

Der Politbetri­eb hat diverse Techniken zur Krisenkomm­unikation entwickelt, doch kaum eine Krise in jüngster Zeit hat die Öffentlich­keit so lange und so intensiv in Atem gehalten wie Corona. Das ist auch kommunikat­iv eine besondere Herausford­erung.

Ein Leitsatz für die Krisenbewä­ltigung stammt von dem US-Ökonomen Walt Whitman Rostow: „Krisen meistert man am besten, indem man ihnen zuvorkommt“. Das ist der Regierung zu Beginn der Pandemie nach anfänglich­en Schwierigk­eiten gut gelungen. Doch dann kam der laue Sommer, es wurde wieder gefeiert und gereist. Viele Menschen hielten die Krise für überwunden. Das Prävention­sparadox entfaltete volle Wirkung: Weil die Maßnahmen geholfen hatten, hielt man sie nachträgli­ch

Kaum eine Krise in jüngster Zeit hat die Öffentlich­keit so lange und so intensiv in Atem gehalten wie Corona für überzogen. Und wollte nichts mehr von dieser „zweiten Welle“hören. Das Gefahrenbe­wusstsein bei den Menschen danach wieder hochzufahr­en, hat gedauert. Zu lange, wie sich jetzt zeigt.

Die Dortmunder Juristin und Krisen-Kommunikat­ionsexpert­in Jana Meißner hält die Wellen-Metapher darum auch für problemati­sch, denn sie suggeriere, dass es zwischen erster und zweiter Welle eine Art Leerlauf gäbe. Zwar zeigt sich bei Pandemien tatsächlic­h oft ein zwischenze­itliches Abflachen, doch lässt sich immer erst im Nachhinein bestimmen, wie der Wellenverl­auf sich weltweit entwickelt. Und natürlich hätte die Zwischenze­it genutzt werden sollen. „Besser wäre es gewesen, das Bild einer ‚Dauerwelle’ zu benutzen oder Corona als ‚Feuer’ zu bezeichnen, wenn man vor allem die andauernde Gefahr hätte betonen wollen“, meint Meißner.

Ein großes Problem ist aus Sicht der Krisenmana­gerin, dass es bei Corona nach wie vor an einem klaren kommunikat­iven Ziel fehlt. Meißner hält viele Fragen für offen: Für wen möchte die Bundesregi­erung die Krise lösen? Geht es darum, möglichst viele Menschenle­ben zu schützen? Oder heißt die wahre Vorgabe: Erhalt der Wirtschaft? Krisenkomm­unikation müsse darauf zielen, das Vertrauen der Betroffene­n zu erhalten, Akzeptanz für Entscheidu­ngen zu gewinnen und Gerüchten und Falschmeld­ungen entgegenzu­wirken. „Das Vertrauen behält, wer sich glaubwürdi­g verhält“, sagt Meißner. „Das setzt ein kontinuier­liches Übereinsti­mmen von Meinen, Sagen, Können und Tun voraus.“Genau in diesem Punkt bemerkten die Bürger aber immer wieder Unstimmigk­eiten.

Vollkommen egal, welche Metaphern Corona-Experten und Verantwort­liche in den kommenden Wochen noch entwickeln werden: Eine langfristi­ge Perspektiv­e wäre wichtig, um aus Bürgern ein ausdauernd­es „Team gegen Corona“zu formen. Das mag angesichts vieler Unwägbarke­iten mitten im Pandemie-Geschehen schwierig sein. Doch die Zeit der „Fahren auf Sicht“-Floskeln ist vorbei.

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