Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Erdogans Pokerspiel
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan testet aus, wie weit er gehen kann – im Streit mit der EU um die Gasvorkommen im Mittelmeer ebenso wie im Konflikt mit den USA um die Stationierung russischer Raketen in Anatolien. Erdogan setzt in diesem Pokerspiel vor allem auf die geopolitische Bedeutung seines Landes für Europa und Amerika. In der EU sticht diese Karte bisher. Die Staats- und Regierungschefs drohen der Türkei wegen ihres aggressiven Auftretens zwar seit Monaten mit Sanktionen, wagen es aber nicht, sie umzusetzen – aus Rücksicht auf eigene wirtschaftliche Interessen und aus Angst vor Erdogans Erpressungspotenzial in der Migrationspolitik.
In den USA beginnt sich der Wind zu drehen. Unter dem wachsenden Druck beider Parteien im Kongress muss Präsident Donald Trump jetzt seinem Freund Erdogan doch noch Sanktionen aufbrummen. Die Strafmaßnahmen treffen die aufstrebende türkische Rüstungsindustrie, mit der Erdogan von ausländischen Lieferungen unabhängiger werden und zum Waffenexporteur aufsteigen will. Es ist bereits der zweite schwere Rückschlag, nachdem die USA die Türkei im vergangenen Jahr als Entwicklungspartner aus dem F-35-Programm ausschlossen. Weitere Sanktionen könnten folgen, wenn der neue Präsident Joe Biden sein Amt antritt. Er war unter Barack Obama für die Beziehungen zur Türkei zuständig, kennt Erdogan gut und ist ein dezidierter Kritiker des türkischen Staatschefs. Das gilt nicht nur für die Rüstungsgeschäfte mit Moskau, sondern auch für das türkische Säbelgerassel im Mittelmeer. Erdogan wandelt auf einem zunehmend schmalen Grat. Denn wenn erst einmal Washington eine schärfere Gangart anschlägt, wird auch in der EU der politische Druck wachsen, Erdogan mit Sanktionen Grenzen aufzuzeigen.
BERICHT ANKARA RÜGT USA FÜR SANKTIONEN, POLITIK