Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Es ist offiziell
Der Wahlsieg Joe Bidens vom November ist amtlich – das sehen nun selbst führende Republikaner ein.
WASHINGTON Die Glückwünsche kamen verspätet, und sie kamen eher zähneknirschend. Joe Biden sei der nächste Präsident, daran könne es keinen Zweifel mehr geben, räumte John Thune ein, der Rangordnung nach die Nummer zwei der Republikaner im US-Senat. „Irgendwann kommt die Zeit, da muss man sich der Realität stellen“, sagte Thune. Der Texaner John Cornyn sprach von der Seite, die es nun umzublättern gelte. Selbst Lindsey Graham, in der kleineren der beiden Parlamentskammern der engste Vertraute Donald Trumps, rang sich zu einem Statement durch, das klang, als wollte er seinem Freund im Weißen Haus durch die Blume raten, sich endlich abzufinden mit seiner Niederlage. Zwar gebe es noch einen „sehr, sehr schmalen“Pfad, den der Präsident beschreiten könne, um im Amt zu bleiben, sagte der Senator aus South Carolina. „Aber ich sehe nicht, wie er auf dem bis ins Ziel gelangt.“
Es sind Szenen einer Absetzbewegung in vorsichtigen Schritten, in so kleinen Schritten, dass man am Demokratieverständnis konservativer Parteigranden zweifeln muss. Der Mann, von dem jetzt alle ein paar klare Worte erwarten, hielt sich auch dann noch bedeckt, als das Electoral College den letzten Rest an Unklarheit beseitigt hatte. Selbst nachdem das Gremium der Wahlleute abgestimmt und Biden auch formell zum Sieger gekürt hatte, war Mitch McConnell nicht bereit, den Sieg des Demokraten explizit anzuerkennen.
Während der konservative Mehrheitsführer des Senats schwieg, wiederholte Trump abstruse Betrugsvorwürfe, die er bereits vor Wochen aufgetischt hatte, um die Wahl zu kippen. Manipulierte Zählmaschinen, twitterte er, hätten Stimmen, die eigentlich für ihn abgegeben worden seien, seinem Kontrahenten zugeschlagen. Man habe ihn um einen Erdrutschsieg gebracht: „Das kann ich so nicht stehen lassen.“Parallel dazu trennte sich der Präsident von seinem Justizminister, in bestem Einvernehmen, wie es offiziell hieß. In Wahrheit dürfte es hinter den Kulissen heftigen Streit gegeben haben. William Barr hatte sich geweigert, Trumps Diktion zu übernehmen und von massiven Unregelmäßigkeiten beim Wählen zu sprechen. Worauf sich dieser über einen Minister beklagte, der ihn schwer enttäuscht habe.
Dabei war bereits am Montag klar, dass die trotzigen Töne aus dem Weißen Haus nur noch störendes Hintergrundrauschen sind. Als die 55 Wahlmänner und -frauen Kaliforniens um 14.29 Uhr Ortszeit, in Mitteleuropa eine halbe
John Thune Republikaner im US-Senat
Stunde vor Mitternacht, für Biden votierten, hatte der President-elect bereits die erforderliche Mehrheit erreicht. Am Ende, nachdem auch die vier Wahlleute des Inselstaats Hawaii entschieden hatten, kam er auf 306 der 538 Stimmen im Electoral College.
Es ist exakt dasselbe Ergebnis, das Trump vor vier Jahren erzielte. Kein einziger Elektor wagte es, sich über den Wählerwillen hinwegzusetzen und in Staaten, in denen der Herausforderer die Mehrheit holte, dem Amtsinhaber den Zuschlag zu geben. Ein beruhigendes Kapitel Normalität, wenn man bedenkt, mit welchen Mitteln der Verlierer des Votums wochenlang versuchte, Chaos zu stiften. Das Verfahren als solches ging so geordnet über die Bühne, wie es auch sonst alle vier Jahre der Fall gewesen war. Der Kontrast zwischen dem ganz und gar nicht spektakulären Procedere und den aufgewühlten Emotionen rings um das Votum, er hätte kaum schärfer ausfallen können.
Der Glaube in die Institutionen habe gehalten, die Integrität amerikanischer Wahlen bleibe gewahrt, betonte Biden, nachdem die Würfel gefallen waren. Auf einer Bühne in Wilmington, gegen Heiserkeit ankämpfend, forderte er die Anhänger Trumps auf, sich mit der Wirklichkeit zu versöhnen. „Jetzt ist die Zeit gekommen, eine neue Seite aufzuschlagen, so wie wir es immer getan haben im Laufe unserer Geschichte. Die Zeit, zusammenzukommen. Zu heilen.“In Amerika, so der President-elect, nähmen sich Politiker nicht die Macht, die Macht werde ihnen vom Volk verliehen. Schon vor langer Zeit sei die Flamme der Demokratie in diesem Land entzündet worden. „Und nichts, nicht einmal eine Pandemie oder Missbrauch der Macht, kann diese Flamme löschen.“
Zuvor hatte einer der Anwälte, die Trumps Niederlage doch irgendwie in einen Wahlsieg verwandeln wollten, endgültig die Maske fallen lassen, indem er ungeniert einem Staatsstreich das Wort redete. Der Präsident, empfahl Lucian Lincoln Wood in einem Tweet, möge das Kriegsrecht verhängen, um die Wahl zu „reinigen“. Tausende von Amerikanern hätten mitgemacht bei der Wahlfälschung, behauptete der Jurist, und zählte angebliche Komplizen auf: Serbien, Kanada, Venezuela, Kuba, die CIA, den Milliardär George Soros und die Stiftung Bill Clintons.
„Irgendwann kommt die Zeit, da muss man sich der Realität stellen“