Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Soll der Baum erst Heiligaben­d stehen?

Zwei unserer Autoren legen dar, wann sie ihren Weihnachts­baum aufstellen – und warum nicht früher oder später.

- VON GIANNI COSTA VON NICOLE LANGE

Es gibt in diesen Tagen sicher wichtigere­s als die Frage, wann denn nun der Tannenbaum aufgestell­t werden darf. Und doch sollte Grundsätzl­iches nicht einfach so zur Seite geschoben werden. Schmiert man auf ein Nutella-Brötchen vorher Butter? Burger mit oder ohne Messer und Gabel essen? Heißt es nun Twix oder doch noch immer Raider?

Tatsächlic­h geht es um reines Marketing, um Psychologi­e und Gefühlsdus­elei. Die Baumfrage ist damit ein gutes Beispiel dafür, wie leicht wir auszutrick­sen sind. Wenn „Last Christmas“schon Anfang September aus dem Radio dudelt und wenig später die Download-Charts bei Spotify anführt, erdulde ich das. Wenn sich Supermärkt­e darin überbieten, wer als erster Spekulatiu­s und Lebkuchen in den Regalen stehen hat, nehme ich das hin.

Dinge werden beliebig, verlieren an Wert, wenn sie immer verfügbar sind – so wie beim Fußball, der mittlerwei­le fast 365 Tage im Jahr rollt.

Weihnachte­n sollte alles sein, aber niemals beliebig. Es ist der Duft von Vanille und Zimt, das Geschrei, wenn Geschwiste­r aufeinande­r losgehen, weil sie im Wahn von zu vielen Geschenken keinen Verwandten mehr kennen. Es ist das Fest, an dem auch mal Tränen kullern, weil sich Wünsche nicht erfüllt haben, oder man sich einsam fühlt.

Weihnachte­n ist dieser magische Moment, wenn du in den Raum kommst, und da steht dieser Baum. Mal krumm, mal schief, mal mickrig, mal überdimens­ioniert, mal so kahl, als wäre er noch aus dem Vorjahr übrig geblieben. Jeder ist anders, aber alle sind besonders. Manchmal lohnt es sich, die Welt noch einmal mit Kinderauge­n zu sehen, sich das Wertvolle zurückzuer­obern. Natürlich kann man den Baum schon im November aufstellen, weil man dann mehr davon hat. Natürlich kann man es gemütlich finden, schon früh etwas Grün ins Haus zu holen. Darf man das? Natürlich. Sollte man es? Nein, denn der Feind der Magie ist die Entzauberu­ng. Die Nummer mit dem vorgezogen­en Aufstellen des Weihnachts­baums kommt aus den USA und ist dort kultiviert worden, um zu mehr Konsum anzuregen.

Weihnachte­n sollte kein Überbietun­gswettbewe­rb sein. Innehalten. Traditione­n bewahren. Alles hat seine Zeit, und das ist gut so. Deshalb wird unser Baum auch in diesem Jahr erst am 24. Dezember geschmückt, kurz vor der Bescherung schalten wir zum ersten Mal die Lichter an. Spießig. Verlässlic­h. Jahr für Jahr.

Ich kenne Familien, in denen schmückt – so zumindest die offizielle Version – das Christkind persönlich an Heiligaben­d den Weihnachts­baum (allerdings muss ein Elternteil zu Hause sein und ihm die Tür öffnen). Ganz so war es in meiner Kindheit nicht, aber dass der Baum erst am 24. Dezember aufgestell­t wird, habe ich erst Jahre später infrage gestellt. Welche Verschwend­ung!

Denn was gibt es Schöneres als einen geschmückt­en Baum in der Vorweihnac­htszeit? Die Wochen vor dem Fest sind für mich die wärmsten und fröhlichst­en des Winters, obwohl das Erlebnis dieses Jahr leider getrübt ist. Trotzdem: Nach Weihnachte­n werden Kälte und frühe Abenddämme­rung zu ungeliebte­n Zeichen, dass es noch lange hin ist bis zum Sommer; in der Adventszei­t bilden sie dagegen den richtigen Rahmen für Keksback-Orgien,

vergnügtes Abspielen von Weihnachts­liedern in Dauerschle­ife, den Genuss zu süßen Glühweins (auch auf dem eigenen Balkon) und das 100. Mal „Ist das Leben nicht schön?“im Fernsehen. Genau in diese Stimmung passt ein Weihnachts­baum, vor allem nach Einbruch der Dämmerung, also quasi ab der Mittagszei­t, weil man da ein bisschen Licht brauchen kann. Jetzt mehr denn je. In Jahren ohne Pandemie können wochenlang alle Besucher den Baum bewundern („gut gewachsen und nadelt kaum“) und den Schmuck, den man drangehäng­t und wie geschickt man die Stelle mit den zu kurzen Zweigen zur Wand gedreht hat.

Auch Nachhaltig­keit ist zu Recht ein wichtiges Thema, weswegen wir über Leih-Bäume und Bio-Bäume ernsthaft öfter sprechen sollten. Zumindest aber soll- te ein Baum, der für seine Verwendung als Christbaum gefällt wurde, solange wie möglich seine Arbeit tun dürfen – und wenn man wie ich nach Weihnachte­n die Tanne gerne schnell wieder los ist, muss man eben früher anfangen.

Denn wenn „Drei Haselnüsse für Aschenbröd­el“geschaut und der Braten gegessen ist, dann denke ich langsam schon darüber nach, wie mühsam wohl das leidige Abschmücke­n wird. Und das erledige ich lieber, so lange die Weihnachts­wärme noch glimmt und noch ein paar Vanillekip­ferln zur Stärkung da sind, und das ist meist nur vor Silvester; und zwar auch, wenn dieses Jahr kein Besuch zum Mitessen kommt.

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FOTOS: ISTOCK (2) | MONTAGE: FERL

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