Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Diess übersteht das Kräftemessen
Der VW-Chef hat sich gegen den mächtigen Betriebsrat behauptet. Eine vorzeitige Vertragsverlängerung gibt es nicht.
WOLFSBURG (dpa/mah/rtr) Die Führungskrise bei Volkswagen scheint vorläufig abgewendet. Der Aufsichtsrat beschloss in seiner Sitzung den Neuzuschnitt von Schlüsselressorts im Vorstand und personellen Änderungen, mit denen Konzernchef Herbert Diess die Transformation des Autobauers zu einem Technologieanbieter nach dem Vorbild des US-Elektroauto-Pioniers Tesla beschleunigen will. Seine Forderung nach einer vorzeitigen Vertragsverlängerung habe Diess jedoch fallengelassen, hieß es aus Aufsichtsratskreisen. Damit hat sich nach Meinung von Konzernbeobachtern der einflussreiche Betriebsratschef Bernd Osterloh durchgesetzt, mit dem sich Diess hinter den Konzernkulissen seit Monaten einen kräftezehrenden Machtkampf über die Geschwindigkeit beim Umbau des Autobauers lieferte.
Auf dem Papier sieht die Sache anders aus: Die Kontrolleure sprachen dem als angezählt geltenden Manager bei ihrer Sondersitzung am Montagabend ihre „volle Unterstützung“
aus. Bisher läuft der Vertrag des VW-Chefs noch bis April 2023. Von der angeblich gewünschten frühzeitigen Weiterverpflichtung, mit der Diess Mitglieder des Gremiums bedrängt und irritiert haben soll, ist in den offiziellen Verlautbarungen naturgemäß nicht die Rede: „In den kommenden Jahren wird der Vorstand der Volkswagen AG die Strategie mit Herbert Diess an der Spitze umsetzen“, heißt es stattdessen. Diese Meinung sei im Kontrollgremium einstimmig festgehalten worden.
Im Ergebnis also ein Sieg für Diess. Nach Informationen aus dem Aufsichtsratumfeld soll er die Neubesetzung dreier Leitungsposten auch an seine eigene Zukunft bei VW gekoppelt haben. Diese ist nun erfolgt: Nach Votum des Aufsichtsrats soll Arno Antlitz Konzern-Finanzchef werden, wenn Frank Witter im Juni nächsten Jahres abtritt. Antlitz, der derzeit Finanzvorstand bei der VW-Tochter Audi ist, solle sich vor allem auf weitere Effizienzsteigerungen konzentrieren, hieß es. Für das
Einkaufsressort, das seit dem Rückzug von Ex-ZF-Chef Stefan Sommer verwaist ist, berief der Aufsichtsrat zum 1. Januar Murat Aksel. Er soll zugleich Einkaufschef der Marke VW bleiben. Seine Hauptaufgabe: sparen. Aksel wurde ins Lastenheft geschrieben, die Materialkosten in den kommenden zwei Jahren um sieben Prozent zu senken. Das Komponentenressort wird ab 1. Januar als eigenständiges Ressort „Technik“von Thomas Schmall geleitet. Er ist künftig konzernweit unter anderem für die strategisch wichtige Entwicklung und Herstellung und Beschaffung von Batteriezellen. Zudem verantwortet er die Bereiche Laden und Ladesysteme für E-Autos weltweit.
Der Vorstandschef hatte beim Umbau des Konzerns, der künftig vor allem auf batterierelektrische Antriebe und Digitalisierung setzen will, aufs Tempo gedrückt. Zudem hatte Diess dem Vernehmen nach ein klares Bekenntnis zu seinem Kurs eingefordert, weil er sich von der Arbeitnehmerseite in wichtigen Entscheidungen ausgebremst sah. Bei einem Teil der Aufseher soll er mit der Vertrauensfrage aber eher Ärger heraufbeschworen haben.
Nun steht unterm Strich ein Kompromiss. Man schätze „die Zielstrebigkeit und Hartnäckigkeit, mit der Herbert Diess den technologischen Wandel, den Beitrag zur Erreichung der Klimaziele, aber auch die wirtschaftlichen Ergebnisse des Unternehmens vorantreibt“, erklärte der Aufsichtsrat. Die Arbeitnehmerforderung nach einem Elektromodell für das Stammwerk in Wolfsburg kam das Gremium jedoch ebenfalls nach. Zunächst sind bei VW in Deutschland die Werke in Zwickau, Emden und Hannover für E-Modelle vorgesehen. Mit der Zusage für ein wichtiges Elektroauto vollzieht nun auch das größte Automobilwerk der Welt in Wolfsburg den Schritt ins Elektrozeitalter – was zumindest als Punktsieg für Osterloh anzusehen ist, der seit langem zusätzliche Modelle für den VW-Stammsitz fordert.
Osterloh, der mächtige Betriebsratchef, der auch über einen Sitz im Aufsichtsrat verfügt, betonte: „Bei der Umsetzung bekennen sich alle Beteiligten weiterhin zur Gleichrangigkeit von Wirtschaftlichkeit und Beschäftigungssicherung sowie zur Bedeutung der Ausbildung. Damit beweisen wir erneut, dass wir die vor uns liegenden großen Herausforderungen nur gemeinsam am besten bewältigen.“Was – angesichts der holprigen Anbahnung des jetzigen Kompromisses und des zu stemmenden Umbruchs des Konzern – in der Praxis noch zu zeigen wäre.