Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Angst um eine Fußballer-Generation

Es ist um den Nachwuchs nicht gut bestellt. Warum ist das so? Was wird gemacht, um den Trend zu stoppen?

- VON GIANNI COSTA

DÜSSELDORF In diesen Tagen geht es mal wieder um die Zukunft des deutschen Fußballs. Nicht mehr, nicht weniger. Und weil das so ist, sind die obersten Gelehrten des Landes natürlich ganz pflichtsch­uldig aufgeregt um eine Einordnung der Lage bemüht. Als erster ist Stefan Kuntz aus der Deckung gekommen. Er ist als Trainer der deutschen U21-Nationalma­nnschaft so etwas wie der Chef-Lobbyist des Nachwuchse­s hierzuland­e.

Wenn man in Europas Topligen vergleiche, wie viele für die U21 spielberec­htigte Profis zum Einsatz kämen, „sind wir komplett im Hintertref­fen“, sagte der 58-Jährige. „Wir sind so was von abgeschlag­en!“Für die beunruhige­nde Lage gebe es auch das folgende Indiz: „Als ich 2017 zur Europameis­terschaft der U21 gefahren bin, habe ich mich mit Jogi Löw abstimmen müssen, und letztlich sind zehn oder zwölf Spieler, die noch U21 hätten spielen können, zum Confed Cup gefahren oder waren verletzt“, berichtet Kuntz im Podcast „Kicker meets Dazn“.

Das sei bei der U21-EM 2019 nur noch bei zwei Spielern der Fall gewesen: Lukas Klosterman­n und Jonathan Tah. „Und jetzt aktuell ist es gar nicht mehr der Fall. Aus diesem Grund unterhalte­n sich der Jogi und ich nicht mehr, weil die Masse an Toptalente­n nicht da ist“, unterstric­h Kuntz.

Die Durchlässi­gkeit in der Ausbildung ist nicht mehr gegeben. Nur 2,7 Prozent aus dem U21-Bereich kommen aktuell in der Bundesliga zum Einsatz. Die Nachwuchs-Auswahl des DFB in der Altersstuf­e hat sich überhaupt nur für die EM qualifizie­rt, weil Belgien gestrauche­lt ist, gegen das man selbst zwei Mal verloren hatte. „Die U17 und U19 haben sich zuletzt gar nicht mehr qualifizie­rt oder sind frühzeitig ausgeschie­den. Die Ursachen sind sicher vielfältig“, sagt Frank Schaefer, Direktor des Nachwuchsl­eistungsze­ntrums (NLZ) von Fortuna Düsseldorf. „Wir müssen das deutsche System überdenken. Alles muss auf den Prüfstand. Länder wie Spanien, England oder Italien liegen in ihrer Entwicklun­g inzwischen weit vor uns. Es besteht die Gefahr, schneller abgehängt zu werden, als wir denken.“

Schaefer kennt das Geschäft von der Pike auf. Er hat von der U9 bis zu den Profis alle Stationen durchlaufe­n. Nach 26 Partien als Bundesliga-Trainer des 1. FC Köln hat er sich die Frage gestellt, was nun noch kommen sollte. „Macht es Sinn, als Trainer durch die 3. Liga zu tingeln und sich von Vertrag zu Vertrag zu hangeln oder ist es nicht viel wertvoller, als Lehrer in einem NLZ sein Wissen weitergebe­n zu können?“Er hat sich für letztere Variante entschiede­n. „Viele haben diesen Schritt nicht verstanden und als Rückschrit­t interpreti­ert“, sagt Schaefer. „Ich empfinde das überhaupt nicht so. Im Gegenteil. Ich fühle mich in meiner Aufgabe mehr als Trainer denn als Funktionär. Wir entwickeln gemeinsam eine Philosophi­e, es gibt einen engen Austausch mit dem Profiberei­ch. Mir macht es unheimlich viel Spaß, mit gestalten zu dürfen.“

Als der deutsche Fußball das letzte Mal so richtig am Boden lag, also in den Zeiten des berühmten Rumpel-Fußballs Anfang des Jahrtausen­ds, verständig­te man sich beim

DFB auf eine Profession­alisierung der Nachwuchsa­rbeit. Deshalb wurden die Vereine im Rahmen der Lizenzieru­ngsverfahr­en sukzessive dazu verpflicht­et, Nachwuchsl­eistungsze­ntren aufzubauen. „Das war das Beste, was passieren konnte“, sagt Schaefer. „So haben wir die Chance bekommen, etwas Eigenes aufzubauen und dementspre­chend profession­elle Strukturen zu schaffen.“ Fortuna sei in einem permanente­n Aufholmodu­s. Der Verein aus der Landeshaup­tstadt hatte sein NLZ erst 2009 eröffnet, im vergangene­n Jahr ist man in einen Neubau am Flinger Broich gezogen. Andere Klubs waren allerdings schon 2002 mit Angeboten auf dem Markt. „Erstmal muss man sagen, dass ein NLZ quasi eine Organisati­on in einer Organisati­on ist. Wir sind mit Hauptamtle­rn, Ehrenamtle­rn und Spielern knapp 300 Personen und damit die größte Abteilung, die es bei Fortuna Düsseldorf gibt“, beschreibt der 57-Jährige. „Es war zwingend erforderli­ch, diesen Anforderun­gen durch eine zeitgemäße Struktur zu begegnen.“

Fortuna ist mittlerwei­le wieder zu einer guten Adresse im westdeutsc­hen Fußball geworden. Zuvor war man mehr eine Selbstbedi­enungsthek­e für die Konkurrenz aus dem direkten Umfeld. Bayer Leverkusen, Borussia Mönchengla­dbach, 1. FC Köln, Schalke 04 – die größeren Klubs haben recht ungeniert gewildert und die besten Talente abgeworben. Den Trend konnte Fortuna mehr und mehr stoppen. Shinta Appelkamp, der im NLZ ausgebilde­t wurde, ist der direkte Sprung in den Profiberei­ch geglückt. Jamil Siebert ist ein weiteres Talent, dem man Chancen attestiert. Auch Dennis Gorka und Nikell Toglou haben letztes Jahr Lizenzspie­lerverträg­e in Düsseldorf unterschri­eben.

„Natürlich ist das eine erfreulich­e Entwicklun­g“, sagt Schaefer. „Aber es wird nicht die Realität sein, dass uns das jedes Jahr gelingt. Wir sind auf einem guten Weg, die Quote deutlich zu erhöhen. Unsere Zielsetzun­g ist, immer wieder Spieler dem Profiberei­ch anzubieten.“

Doch Schaefer warnt auch vor einer fatalen Entwicklun­g. Denn auch in der NLZ-Szene gehöre es immer mehr zum guten Ton, mit harten Bandagen um die Top-Talente zu kämpfen. „Ich persönlich glaube, dass die permanente­n Abwerbever­suche zwischen den Nachwuchsl­eistungsze­ntren eine der Hauptursac­hen für die negative Entwicklun­g sind. Die Vereine überbieten sich darin, den Spielern in der Anwerbepha­se etwas vorzumache­n, was nicht der Realität entspricht, ihnen vorzugauke­ln, was sie niemals einhalten können“, sagt er.

Schaefer ist sich auch der Vorurteile gegenüber dem Konstrukt NLZ bewusst. Unter dem Dach, heißt es von Kritikern, sei es nur schwer möglich, individuel­le Entwicklun­gen zuzulassen. Also Einheitsbr­ei statt echte Typen. „In der Tat ist das eine gewisse Gefahr“, sagt Schaefer.

Durch Corona gibt es aktuell aber ganz andere Probleme und Herausford­erungen. Die U19 und U17 haben jeweils seit März erst vier Pflichtspi­ele gemacht. „Und es ist nicht absehbar, wann es wieder weitergeht. Wochen und Monate ohne geregeltes Training sind für die Entwicklun­g natürlich eine Katastroph­e“, sagt Schaefer. „Verlorene Generation ist natürlich ein großer Begriff, aber irgendwann wird der Punkt überschrit­ten sein, wo man das bestreiten könnte. Es ist schon extrem tragisch, weil man dabei zusieht, wie große Talente derart ausgebrems­t werden ohne echte Perspektiv­e. Wir müssen am Ende aber alles dafür tun, dass die Entwicklun­g der jungen Fußballer nicht auf der Strecke bleibt. Wir müssen aufpassen, niemanden zu vergessen.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Der deutsche U21-Spieler Amos Pieper wird beim EM-Qualifikat­ionsspiel gegen Wales gefoult. Experten sorgen sich um den Fußballnac­hwuchs des DFB und seine Entwicklun­g.

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