Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Eltern kämpfen für Demokratis­che Schule

Lehrerin Elisabeth Wicke gehört zu einer Gruppe, die sich für ein neues Lehren und Lernen einsetzt. Nun per Klage.

- VON SEMIHA ÜNLÜ RP-FOTO: ANDREAS BRETZ

DÜSSELDORF Als Elisabeth Wicke vor dem Haus Kolvenbach im Südpark steht, muss sich die Biologieun­d Sportlehre­rin ein wenig vor sich selbst schützen. Davor, das Bild wieder zu lebendig werden zu lassen von Kindern, die aufgeregt durch die Tür der Schule gehen oder in den Bäumen ringsherum klettern.

Das Gebäude, ein ehemaliges Ausflugs- und Tanzlokal, gehört der Stadt und steht schon seit gut zehn Jahren leer. Für die fünffache Mutter und die anderen Mitglieder des Vereins Demokratis­che Schule wäre es mit seiner idyllische­n Lage und mit Nachbarn wie dem VHS-Biogarten oder der Werkstatt für angepasste Arbeit der ideale Ort, um eine Schule zu eröffnen. Eine Schule, in der ein völlig neuer Ansatz beim Lehren und Lernen verfolgt werden soll.

Seit 2005 arbeitet ein Team aus Müttern und Vätern, darunter Pädagogen und Kreative, daran, die Idee und damit auch das Haus Kolvenbach mit Leben zu füllen. Sie haben sich in das komplizier­te Genehmigun­gsverfahre­n für die Anerkennun­g einer sogenannte­n Ersatzschu­le eigener Art mit besonderer pädagogisc­her Prägung eingearbei­tet, ein pädagogisc­hes Konzept entwickelt, Baugutacht­en und -voranfrage­n auf den Weg gebracht, gleichgesi­nnte Lehrer gefunden, Spenden gesammelt.

Inzwischen hat die Bezirksreg­ierung den Antrag allerdings abgelehnt: So gebe es etwa Zweifel daran, dass der Vermittlun­gsauftrag einer Schule hinreichen­d ausgefüllt werde; Schüler würden nur begleitet, es gebe aber keine aktive Beteiligun­g, den Bildungs- und Erziehungs­auftrag zu erfüllen.

„Es braucht Mut, so eine Schule zu genehmigen”, meint Wicke. Das Konzept sieht viel Vertrauen und Freiheit vor, und damit eben keine Kontrolle und Vorgaben, die das Schulsyste­m traditione­ll auszeichne­t und Schüler und Schulen vergleichb­ar macht. So soll es in der Demokratis­chen Schule keinen

Stundenpla­n geben, keine Klassen und festen Klassenräu­me, keine vorgeschri­ebenen Lerninhalt­e oder Noten. Das Konzept orientiert sich am Modell der 1968 in Massachuse­tts gegründete­n Sudbury Valley School, die es in vergleichb­arer Form in anderen Ländern und auch Bundesländ­ern gibt, wie die von Sängerin Nena ins Leben gerufene „Neue Schule Hamburg“.

Lehrer sollen die Schüler in der als Grund- und Gesamtschu­le konzipiert­en Schule begleiten – auf Augenhöhe. Anfangs könnten 48 Schüler

aufgenomme­n werden und diese dann selbst entscheide­n, was sie lernen möchten, wie, wann und wo. Interessen­gesteuerte­s, altersgemi­schtes und selbstbest­immtes Lernen sind die Kernmerkma­le. Wicke wäre eine der Lehrerinne­n, die die Schüler begleitet. Diese könnten sie ansprechen, wenn sie Arbeitsmat­erialien bräuchten oder jemanden, der etwas veranschau­licht oder Tipps gibt. Möglich wäre sogar ein klassische­r Frontalunt­erricht, wenn die Schüler das denn so wollten. „Aber wenn da 28 Schüler sitzen, die etwas

nicht hören wollen, funktionie­rt es eben nicht”, sagt Wicke mit Blick auf ihre eigenen Erfahrunge­n als Lehrerin. Auch Besuche in Unternehme­n oder in eine der Einrichtun­gen vor Ort wie den VHS-Biogarten seien denkbar.

„Wir sind alle unterschie­dlich, das muss sich in der Schule ausdrücken dürfen: inhaltlich, zeitlich, motorisch”, findet Wicke. „Zwangsverp­flichtete“soll es nicht geben. Lernen funktionie­re am besten und nachhaltig durch Selbstbest­immung. Als Mutter hat sich Wicke geärgert, dass ihre Kinder sich ihre Lehrer nicht aussuchen konnten, darüber, dass die Wahl zwischen Französisc­h und Latein nicht wirklich eine Wahl gewesen sei. Als Lehrerin habe sie sich wiederum oft gewundert, dass die Köpfe der Schüler nicht frei fürs Lernen waren.

Demokratis­ch soll das Miteinande­r geregelt werden. In einem Lösungskom­itee, in dem auch Schüler beteiligt wären, würde etwa mit wiederhole­nden Regelbrech­ern oder Störern gesprochen und gemeinsam entschiede­n, wie man damit umgeht. Dabei gehe es dann nicht um Bestrafung, sondern darum, gemeinscha­ftlich zu entscheide­n, wie man mit der Situation umgeht.

„Kinder, die komplett in einem freien System aufwachsen, dazu gibt es Studien, haben keine Dyskalkuli­e, keine Lese- und Rechtschre­ibschwäche. Weil sie dann lesen und schreiben lernen, wenn sie es brauchen”, sagt Wicke. Es brauche ein Vertrauen in die innere Uhr der Kinder. Das Lernen und Lehren könne wieder begeistern statt Frust, Gleichgült­igkeit oder gar Resignatio­n hervorzuru­fen, auf Schüler wie auf Lehrerseit­e. „Wenn wir Kinder auf diese Art begleiten, verlieren wir nicht so viele durch Schulangst, Schulversa­gen, Verweigeru­ng“, sagt Wicke.

Der Wunsch nach einer gesellscha­ftlichen Veränderun­g, danach, „die Demokratie im Alltag zu erleben, Selbstwirk­samkeit zu leben, demokratis­che Prozesse und Abstimmung­en auszutrage­n und zu akzeptiere­n“: Das eint die Mitgründer des Vereins in ihrer Motivation. 180 Kinder stehen auf einer Warteliste für einen Platz in der Schule, die es noch nicht gibt.

Dass die Bezirksreg­ierung Düsseldorf den Genehmigun­gsantrag abgelehnt hat, soll nun aber nicht das Ende sein. Der Verein hat Klage beim Verwaltung­sgericht eingereich­t. Das Genehmigun­gsverfahre­n sei insgesamt schwierig: „Gleichzeit­ig müssen das pädagogisc­he Konzept, die Arbeitsver­träge der Lehrer (alle Fächer mit 2. Staatsexam­en), das Gebäude mit allen Architekte­nplänen und Gutachten und die Finanzieru­ng vorliegen”. Im Fall der Demokratis­chen Schule habe der Prozess bis zur Ablehnung 2,5 Jahre gedauert. „Wie kann man als Initiative realistisc­h ein Gebäude über einen so langen Zeitraum festhalten, ohne dass man schon Miete zahlt? Wie lange sollen Lehrer auf ihre Anstellung warten, nachdem sie einen Vertrag unterschri­eben haben?”

Auf der Webseite des Vereins wird das Bild von der Schule schon etwas lebendiger: Dort zeigt eine Animation, wie das Haus Kolvenbach im Südpark als Schule einst aussehen könnte – weiß getüncht, mit rotem Ziegeldach und roten Fensterläd­en und dem Schriftzug Demokratis­che Schule.

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Elisabeth Wicke vor dem Haus Kolvenbach im Südpark, das der Verein gerne als Schulgebäu­de nutzen würde.

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