Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Eltern kämpfen für Demokratische Schule
Lehrerin Elisabeth Wicke gehört zu einer Gruppe, die sich für ein neues Lehren und Lernen einsetzt. Nun per Klage.
DÜSSELDORF Als Elisabeth Wicke vor dem Haus Kolvenbach im Südpark steht, muss sich die Biologieund Sportlehrerin ein wenig vor sich selbst schützen. Davor, das Bild wieder zu lebendig werden zu lassen von Kindern, die aufgeregt durch die Tür der Schule gehen oder in den Bäumen ringsherum klettern.
Das Gebäude, ein ehemaliges Ausflugs- und Tanzlokal, gehört der Stadt und steht schon seit gut zehn Jahren leer. Für die fünffache Mutter und die anderen Mitglieder des Vereins Demokratische Schule wäre es mit seiner idyllischen Lage und mit Nachbarn wie dem VHS-Biogarten oder der Werkstatt für angepasste Arbeit der ideale Ort, um eine Schule zu eröffnen. Eine Schule, in der ein völlig neuer Ansatz beim Lehren und Lernen verfolgt werden soll.
Seit 2005 arbeitet ein Team aus Müttern und Vätern, darunter Pädagogen und Kreative, daran, die Idee und damit auch das Haus Kolvenbach mit Leben zu füllen. Sie haben sich in das komplizierte Genehmigungsverfahren für die Anerkennung einer sogenannten Ersatzschule eigener Art mit besonderer pädagogischer Prägung eingearbeitet, ein pädagogisches Konzept entwickelt, Baugutachten und -voranfragen auf den Weg gebracht, gleichgesinnte Lehrer gefunden, Spenden gesammelt.
Inzwischen hat die Bezirksregierung den Antrag allerdings abgelehnt: So gebe es etwa Zweifel daran, dass der Vermittlungsauftrag einer Schule hinreichend ausgefüllt werde; Schüler würden nur begleitet, es gebe aber keine aktive Beteiligung, den Bildungs- und Erziehungsauftrag zu erfüllen.
„Es braucht Mut, so eine Schule zu genehmigen”, meint Wicke. Das Konzept sieht viel Vertrauen und Freiheit vor, und damit eben keine Kontrolle und Vorgaben, die das Schulsystem traditionell auszeichnet und Schüler und Schulen vergleichbar macht. So soll es in der Demokratischen Schule keinen
Stundenplan geben, keine Klassen und festen Klassenräume, keine vorgeschriebenen Lerninhalte oder Noten. Das Konzept orientiert sich am Modell der 1968 in Massachusetts gegründeten Sudbury Valley School, die es in vergleichbarer Form in anderen Ländern und auch Bundesländern gibt, wie die von Sängerin Nena ins Leben gerufene „Neue Schule Hamburg“.
Lehrer sollen die Schüler in der als Grund- und Gesamtschule konzipierten Schule begleiten – auf Augenhöhe. Anfangs könnten 48 Schüler
aufgenommen werden und diese dann selbst entscheiden, was sie lernen möchten, wie, wann und wo. Interessengesteuertes, altersgemischtes und selbstbestimmtes Lernen sind die Kernmerkmale. Wicke wäre eine der Lehrerinnen, die die Schüler begleitet. Diese könnten sie ansprechen, wenn sie Arbeitsmaterialien bräuchten oder jemanden, der etwas veranschaulicht oder Tipps gibt. Möglich wäre sogar ein klassischer Frontalunterricht, wenn die Schüler das denn so wollten. „Aber wenn da 28 Schüler sitzen, die etwas
nicht hören wollen, funktioniert es eben nicht”, sagt Wicke mit Blick auf ihre eigenen Erfahrungen als Lehrerin. Auch Besuche in Unternehmen oder in eine der Einrichtungen vor Ort wie den VHS-Biogarten seien denkbar.
„Wir sind alle unterschiedlich, das muss sich in der Schule ausdrücken dürfen: inhaltlich, zeitlich, motorisch”, findet Wicke. „Zwangsverpflichtete“soll es nicht geben. Lernen funktioniere am besten und nachhaltig durch Selbstbestimmung. Als Mutter hat sich Wicke geärgert, dass ihre Kinder sich ihre Lehrer nicht aussuchen konnten, darüber, dass die Wahl zwischen Französisch und Latein nicht wirklich eine Wahl gewesen sei. Als Lehrerin habe sie sich wiederum oft gewundert, dass die Köpfe der Schüler nicht frei fürs Lernen waren.
Demokratisch soll das Miteinander geregelt werden. In einem Lösungskomitee, in dem auch Schüler beteiligt wären, würde etwa mit wiederholenden Regelbrechern oder Störern gesprochen und gemeinsam entschieden, wie man damit umgeht. Dabei gehe es dann nicht um Bestrafung, sondern darum, gemeinschaftlich zu entscheiden, wie man mit der Situation umgeht.
„Kinder, die komplett in einem freien System aufwachsen, dazu gibt es Studien, haben keine Dyskalkulie, keine Lese- und Rechtschreibschwäche. Weil sie dann lesen und schreiben lernen, wenn sie es brauchen”, sagt Wicke. Es brauche ein Vertrauen in die innere Uhr der Kinder. Das Lernen und Lehren könne wieder begeistern statt Frust, Gleichgültigkeit oder gar Resignation hervorzurufen, auf Schüler wie auf Lehrerseite. „Wenn wir Kinder auf diese Art begleiten, verlieren wir nicht so viele durch Schulangst, Schulversagen, Verweigerung“, sagt Wicke.
Der Wunsch nach einer gesellschaftlichen Veränderung, danach, „die Demokratie im Alltag zu erleben, Selbstwirksamkeit zu leben, demokratische Prozesse und Abstimmungen auszutragen und zu akzeptieren“: Das eint die Mitgründer des Vereins in ihrer Motivation. 180 Kinder stehen auf einer Warteliste für einen Platz in der Schule, die es noch nicht gibt.
Dass die Bezirksregierung Düsseldorf den Genehmigungsantrag abgelehnt hat, soll nun aber nicht das Ende sein. Der Verein hat Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Das Genehmigungsverfahren sei insgesamt schwierig: „Gleichzeitig müssen das pädagogische Konzept, die Arbeitsverträge der Lehrer (alle Fächer mit 2. Staatsexamen), das Gebäude mit allen Architektenplänen und Gutachten und die Finanzierung vorliegen”. Im Fall der Demokratischen Schule habe der Prozess bis zur Ablehnung 2,5 Jahre gedauert. „Wie kann man als Initiative realistisch ein Gebäude über einen so langen Zeitraum festhalten, ohne dass man schon Miete zahlt? Wie lange sollen Lehrer auf ihre Anstellung warten, nachdem sie einen Vertrag unterschrieben haben?”
Auf der Webseite des Vereins wird das Bild von der Schule schon etwas lebendiger: Dort zeigt eine Animation, wie das Haus Kolvenbach im Südpark als Schule einst aussehen könnte – weiß getüncht, mit rotem Ziegeldach und roten Fensterläden und dem Schriftzug Demokratische Schule.