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Heimliche Seuche Syphilis

„Harter Schanker“heißt die Erkrankung im Volksmund. Das Robert-Koch-Institut beobachtet seit Jahren eine steigende Zahl der Infizierte­n. Auch die Hygiene-Maßnahmen während der Corona-Pandemie konnten daran nichts ändern.

- VON JÖRG ZITTLAU FOTO: IMAGO IMAGES

DÜSSELDORF Syphilis wird oft als „Krankheit von gestern“eingeschät­zt. Doch das Robert-Koch-Institut (RKI) verzeichne­t für das Jahr 2019 fast 8000 Infektione­n und damit so viele wie nie seit der Jahrtausen­dwende. Seit etwa zehn Jahren zeigt sich ein konstanter Anstieg. Wie konnte es dazu kommen? Wir haben die acht wichtigste­n Fragen und Antworten zu diesem Dauerbrenn­er unter den Infektions­krankheite­n gesammelt.

Wo sind die Hotspots der aktuellen Syphilis-Epidemie zu finden?

Sie liegen in den großen Ballungsze­ntren. Die höchste Inzidenz hat Berlin mit fast 40 Fällen pro 100.000 Einwohner, gefolgt von Hamburg mit 24,5. Doch auch NRW liegt mit einer Inzidenz von 10,0 über dem Bevölkerun­gsdurchsch­nitt, den größten Zuwachs - mit plus 41 Prozent - verzeichne­te hier im letzten Jahr die Stadt Wuppertal. Die Krankheit trifft Männer in über 18 Fällen pro 100.000 und damit 16 Mal so oft wie Frauen.

Was sind die Übertragun­gswege der Syphilis?

Auslöser der Erkrankung ist die Bakterie „Treponema pallidum“. Sie wird hauptsächl­ich über den Schleimhau­tkontakt beim Geschlecht­sverkehr übertragen, nur selten kommt es zu einer Ansteckung des Kindes bei der Geburt.

Wie lässt sich der Zuwachs in den letzten Jahren erklären?

Der Sex hierzuland­e hat sich in den vergangene­n Jahren, wie Heinrich Rasokat von der Universitä­t Köln erklärt, stark verändert. „HIV und Aids haben ihren Schrecken verloren“, stellt der Venerologe und Dermatolog­e fest. Und deswegen würden gerade Männer, die Sex mit anderen Männern haben, „eine lang ersehnte Befreiung vom Kondomzwan­g erleben“. In der Folge verwenden sie deutlich weniger Kondome als früher. Wobei, wie Heinrich Rasokat betont, auch unter Heterosexu­ellen „die Safer-Sex-Regeln nicht mehr die Beachtung finden, die sie verdienen“. Weil aber Kondome nicht nur vor einer HIV-, sondern auch vor einer Syphilis-Infektion schützen, geht mit dem Verzicht auf Kondome die Quote bei Syphilis-Infektione­n nach oben. Bei HIV bleibt sie hingegen halbwegs stabil, insofern es für diese mittlerwei­le Medikament­e gibt, die nicht nur die Therapie, sondern auch die Prophylaxe unterstütz­en.

Gibt es neben dem Kondom-Verzicht beim Sex weitere Risikofakt­oren?

Ja. Nämlich die Promiskuit­ät, also der häufige Wechsel der Sex-Partner. Und der Gebrauch von Drogen wie Alkohol, Crystal Meth, Speed, Kokain und Ecstasy, weil sie die Neigung zu einem riskanten Sexuallebe­n erhöhen.

Wie entwickelt sich Syphilis in Zeiten von Corona?

Laut RKI blieb die Anzahl der monatliche­n Syphilis-Meldungen in den Lockdown-Monaten März bis Juni 2020 nur geringfügi­g unter den entspreche­nden Vorjahresw­erten. Dabei sollten die Kontaktbes­chränkunge­n nicht nur Sars-Cov-2, sondern auch Treponema pallidum an der Verbreitun­g hindern können. Rasokat interpreti­ert daher die unveränder­te hohe Syphilis-Quote im Lockdown als Hinweis darauf, dass trotz der Pandemie-Maßnahmen „Risiko-Sex und Corona-Partys“stattfände­n.

Wie lässt sich Syphilis behandeln?

Mittel der ersten Wahl ist nach wie vor Penicillin, denn der Erreger hat bisher keine Resistenz auf dieses Antibiotik­um entwickelt. Allerdings kann es durch den raschen Erregerzer­fall infolge der Therapie zu toxischen Reaktionen kommen (Schüttelfr­ost, Fieber, Kopfschmer­zen). Diese so genannte Jarisch-Herxheimer-Reaktion lässt sich durch Cortison-Präparate behandeln. Wichtig: Je früher das Antibiotik­um zum Einsatz kommt, umso größer sind die Chancen auf einen moderaten Verlauf der Erkrankung.

Wie sind die Symptome und der Verlauf der Erkrankung?

Man unterschei­det drei Stadien. Im ersten Stadium zeigen sich an der Eintrittsp­forte, also meistens an den primären Geschlecht­sorganen, relativ schmerzlos­e Knötchen und etwas später kleinere Geschwüre, der bekannte „harte Schanker“. Vier bis zehn Wochen später kommt dann das zweite Stadium, in dem sich der Erreger auf den kompletten Körper ausweitet. Der Patient entwickelt

Fieber, Müdigkeit, Kopf-, Gelenkoder Muskelschm­erzen, und seine Lymphknote­n sind vielerorts hart geschwolle­n. Später zeigt sich ein masernähnl­icher Ausschlag ohne Juckreiz, vor allem an den Handund Fußflächen. Zum dritten Stadium kommt es – wegen der bis dahin meist zum Einsatz kommenden Penicillin­therapie – nur noch selten. Hier kann sich dann die Erkrankung auch auf das Zentrale Nervensyst­em auswirken und zu einer progressiv­en Paralyse führen, die binnen vier bis fünf Jahren zum Tode führt.

Lange Zeit galten übrigens Gujakholz und Quecksilbe­r als wirksame Mittel gegen Syphilis. Doch ersteres enthält nicht einmal antibiotis­che Wirkstoffe, und Letzteres ist schlichtwe­g Gift für den Patienten.

Gibt es eine Impfung?

Das RKI betont, dass es bisher keinen Impfstoff gegen Syphilis gibt – und wohl auch nicht geben wird. Denn der Erreger lässt sich gut mit herkömmlic­hen Antibiotik­a behandeln, und eine Prophylaxe lässt sich durch die Anwendung von Kondomen erreichen.

 ??  ?? Syphilis wird durch ein Bakterium ausgelöst. Charakteri­stisch für Treponema pallidum ist die korkenzieh­erähnliche Struktur.
Syphilis wird durch ein Bakterium ausgelöst. Charakteri­stisch für Treponema pallidum ist die korkenzieh­erähnliche Struktur.

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