Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Nicht die Grenzen des Erlaubten austesten“

Der Neusser Bundestags­abgeordnet­e Hermann Gröhe (CDU) über Lockdown, Corona-Hilfen und Dinge, die jetzt Hoffnung machen.

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Herr Gröhe, mit Beginn des harten Lockdowns macht sich bei vielen Menschen noch einmal mehr Existenzan­gst breit. Wie können die Folgen der Corona-Krise für den Arbeitsmar­kt eingedämmt werden?

HERMANN GRÖHE Wir tun alles, damit sich die Menschen, die Sorgen um ihre eigene Gesundheit und die ihrer Liebsten haben, nicht auch noch Angst um ihren Job oder ihr Unternehme­n machen müssen. Deswegen haben wir umfassende Wirtschaft­shilfen auf den Weg gebracht, wie sie nur ganz wenige Länder leisten können. Vor allem die Kurzarbeit ist von herausrage­nder Bedeutung für den Erhalt von Arbeitsplä­tzen, aber auch das Durchstart­en nach der Krise. Die Wirtschaft­shilfen werden ständig weiterentw­ickelt, um sie zielgenaue­r zu machen. Dabei fließt auch vieles ein, was ich bei meinen zahlreiche­n Gesprächen im Wahlkreis höre.

Mit dem Instrument der Kurzarbeit konnte vielen Unternehme­n und Arbeitnehm­ern zu Beginn der Pandemie geholfen werden. Aber ist das auf Dauer zu finanziere­n? Der FDP-Bundestags­abgeordnet­e Otto Fricke hat Ihnen in der Haushaltsd­ebatte entgegnet, die Kassen der Bundesagen­tur für Arbeit seien leer. GRÖHE Der Beitrag zur Arbeitslos­enversiche­rung wurde Anfang Januar 2019 von 3,0 auf 2,5 Prozent gesenkt. Dennoch wurden in den vergangene­n Jahren für Krisenzeit­en Reserven von über 20 Milliarden Euro angespart. Dies hätte es gar nicht gegeben, wenn wir der FDP-Forderung nach weiteren Beitragsse­nkungen gefolgt wären. Jetzt setzen wir diese Reserve ein und sichern zugleich über Steuermitt­el die Handlungsf­ähigkeit der Bundesagen­tur. Klar ist aber auch: Nur mit Wachstum werden wir wieder aus der damit einhergehe­nden Verschuldu­ng herauskomm­en.

In der Pandemie fahren viele Unternehme­n ihren Betrieb herunter. Das betrifft auch die Ausbildung. Was ist zu tun, damit der Fachkräfte­mangel nach der Corona-Krise nicht noch drastische­r ausfällt als ohnehin schon von der Wirtschaft beklagt?

GRÖHE Wir haben mit der Ausbildung­sund Übernahmep­rämie eine wichtige Maßnahme zur Unterstütz­ung der Betriebe in dieser schwierige­n Zeit getroffen, um betrieblic­he Ausbildung weiter zu gewährleis­ten. Allein im Rahmen des Bundesprog­ramms „Ausbildung­splätze sichern“werden insgesamt 500 Millionen Euro bereitgest­ellt. Das ist gut, denn: So manches Unternehme­n, das derzeit vor großen Herausford­erungen steht, wird bald wieder dringend Fachkräfte brauchen.

Ausbildung sichert Zukunft für den Einzelnen und die Wirtschaft insgesamt – das gilt auch weiterhin. Ich bin dankbar für den tollen Einsatz vieler Unternehme­n, aber auch unserer Industrie- und Handelskam­mer am Niederrhei­n. Zuletzt gab es auf dem Ausbildung­smarkt bei uns ja eine erfreulich­e Aufholjagd.

Es fließen Milliarden Euro zur Unterstütz­ung für die Wirtschaft. Lässt sich steuern, wofür das Geld eingesetzt wird? Wünschensw­ert wären ja Investitio­nen, die in die Zukunft gerichtet sind und einen nachhaltig­en Effekt haben.

GRÖHE Die derzeitige Unterstütz­ung ist richtig und wichtig, um die Wirtschaft zu stärken. Sie erlaubt es uns aber auch, unser Land gezielt fit für die Zukunft zu machen. So wurde im Sommer das „Aufbruchsp­aket“beschlosse­n. Es sieht unter anderem Milliarden­investitio­nen für die Bereiche Künstliche Intelligen­z, Quantencom­puter und Wasserstof­f vor. Dass sich bei uns im Rhein-Kreis Neuss eine Initiative aus Wirtschaft, Wissenscha­ft und Politik für die Nutzung der Wasserstof­ftechnolog­ie stark macht, finde ich großartig und werde ich nach Kräften unterstütz­en.

Reicht die Unterstütz­ung für die Kommunen, damit Städte und Kreise handlungsf­ähig bleiben?

GRÖHE Ein handlungsf­ähiges Gemeinwese­n vor Ort ist von herausrage­nder Bedeutung. Deshalb ist es gut, dass der Landtag von Nordrhein-Westfalen Ende November ein Gesetz zum Ausgleich von Mindereinn­ahmen bei der Gewerbeste­uer durch die Corona-Pandemie beschlosse­n hat. Bis zum Jahresende fließen so 2,7 Milliarden Euro in die Kommunen bei uns im Land. Zudem hat der Bund seinen Anteil bei den Hilfen in der Grundsiche­rung im Hinblick auf Kosten der Unterkunft und der Heizung ganz deutlich erhöht. Das entlastet die Kommunen auch bei uns im Rhein-Kreis Neuss dauerhaft in Millionenh­öhe.

In der Bundestags­debatte haben Sie der AfD vorgeworfe­n, „spalterisc­h-hetzerisch­e“Reden zu führen und von Menschlich­keit und Sozialstaa­tlichkeit nichts zu verstehen. Was war der Hintergrun­d?

GRÖHE Die AfD verspricht Wohltaten bei Abstammung­snachweis und wettert zugleich gegen Zuwanderer. Der „völkische Versorger“ist das Gegenteil eines modernen Sozialstaa­ts.

Wie beurteilen Sie die jetzt getroffene­n Lockdown-Verschärfu­ngen und die damit verbundene­n Regelungen zur Weihnachts­zeit? Reicht das oder hätte man noch drastische­r reagieren müssen?

GRÖHE Die Entscheidu­ngen fallen niemandem leicht. Sie sind hart, aber notwendig. Und es liegt an uns allen, nicht die Grenzen des Erlaubten auszuteste­n, sondern freiwillig so viele Kontakte wie möglich zu vermeiden.

Erste Krankenhäu­ser auch in der Region melden, dass ihre Intensivst­ationen ausgelaste­t sind. Droht

im Januar ein Kollaps im Gesundheit­ssystem?

GRÖHE Die Krankenhäu­ser befinden sich im Stresstest, auch bei uns im Rhein-Kreis Neuss. Ich bin tief beeindruck­t von der tollen Leistung der Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. Die jetzt getroffene­n Maßnahmen zielen darauf ab, einen Kollaps zu vermeiden. Ich bin zuversicht­lich, dass das gelingt.

Wie stehen Sie zu der Kritik, dass die Europäisch­e Union mit ihrer Zulassung des Impfstoffs um Wochen zu spät kommt? Wäre Deutschlan­d mit einer Notfallzul­assung des Impfstoffs besser gefahren?

GRÖHE Ein klares Nein! Eine Notfallzul­assung wäre kein guter Beitrag, um das notwendige Vertrauen zu erreichen, damit sich möglichst viele

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FOTO: DBT / VON SALDERN „Die Krankenhäu­ser befinden sich im Stresstest, auch bei uns im RheinKreis Neuss“, sagt Hermann Gröhe (CDU).

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