Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Zeit für eine Präsidenti­n

Nie zuvor waren die Chancen so groß, dass nach der Bundestags­wahl endlich eine Frau an die Spitze des Staates rückt. Dafür sprächen auch die zu erwartende­n Mehrheiten. Aber was ist mit dem Amtsinhabe­r?

- VON GREGOR MAYNTZ

Wenn nach der Bundestags­wahl im Herbst 2021 CDU, CSU und Grüne zusammensi­tzen und sondieren, ob sie ein Regierungs­bündnis für die folgenden vier Jahre hinbekomme­n, wird eine Frage nicht an erster, aber auch nicht an letzter Stelle stehen: Wer wird wenige Monate später neues Staatsober­haupt? Die Chancen stehen so gut wie nie, dass es erstmals seit 1949 eine Frau sein wird.

Bis zum Zusammentr­itt der Bundesvers­ammlung im Februar 2022 stehen neben der Bundestags­wahl auch sechs Landtagswa­hlen an. Die Zusammense­tzung der Bundesvers­ammlung kann sich also noch erheblich ändern. Sie besteht aus den Bundestags­abgeordnet­en und einer gleich großen Anzahl von Persönlich­keiten, die von den Landtagen entspreche­nd den jeweiligen Kräfteverh­ältnissen benannt werden. Wenn jetzt Bundestags­wahl wäre und auch die Landesparl­amente in Baden-Württember­g, Berlin, Mecklenbur­g-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen so zusammenge­setzt würden, wie es den aktuellen Umfragen entspricht, gäbe es drei Konstellat­ionen für eine Präsidente­n-Mehrheit.

Bei einem weder weiter angewachse­nen noch geschrumpf­ten Bundestag bestünde die Bundesvers­ammlung erneut aus 1260 Mitglieder­n. Im ersten und zweiten Wahlgang wären also 631 Stimmen nötig. Rot-Rot-Grün käme zusammen nur auf 558. Aber für SchwarzGrü­n würde es mit 674 Stimmen locker reichen. Auch eine neue Groko aus Union und SPD könnte mit 719 Stimmen das Staatsober­haupt durchsetze­n.

Vorsicht ist nach den Erfahrunge­n in Thüringen für Union und FDP geboten. Sollten sie mit einem Kandidaten spekuliere­n, der zwar in den ersten beiden Wahlgängen keine Mehrheit hätte, aber dann im dritten die meisten Stimmen bekäme, könnte die AfD für Verwerfung­en

sorgen. Würde sie nämlich überrasche­nd nicht hinter ihrem eigenen Kandidaten stehen, sondern – wie bei der Wahl des Ministerpr­äsidenten in Erfurt geschehen – die von Union und FDP unterstütz­te Persönlich­keit in geheimer Abstimmung mitwählen, gäbe es ein Potenzial von 689 Stimmen. Es wäre der Worst Case – ein Präsident von Gnaden der AfD.

Also spricht viel dafür, vorher durch Absprachen zu stabilen Mehrheiten jenseits der AfD zu kommen. Und da kommt die Festlegung von Union und Grünen auf mehr Frauen in Spitzenpos­itionen ins Spiel. Es wird tatsächlic­h allmählich zu einem Anachronis­mus, dass zwar jedes andere Verfassung­sorgan bereits von einer Frau repräsenti­ert wurde, nicht aber das höchste Amt. Annemarie Renger (SPD) war 1972 erste Bundestags­präsidenti­n, Jutta Limbach 1994 erste Präsidenti­n des Verfassung­sgerichts, Angela Merkel (CDU) 2005 erste Bundeskanz­lerin, Hannelore Kraft (SPD) 2010 erste Bundesrats­präsidenti­n.

Hinzu kommt, dass die möglicherw­eise ab 2021 mitregiere­nden Grünen bisher leer ausgegange­n sind. Die FDP stellte 1949 in Person von Theodor Heuss gleich den ersten Präsidente­n, mit Walter Scheel 1974 sogar einen weiteren. Die SPD kam dreimal zum Zug, die Union sogar sechsmal. Joachim Gauck war zwar Mitglied des Neuen Forums, aus dem in der DDR das Bündnis 90 wurde. Aber ins Präsidente­namt kam er als Parteilose­r. Die Grünen wären zu Beginn ihrer dritten Regierungs­beteiligun­g also mal „dran“.

Ist es vorstellba­r, dass ausgerechn­et die auf eine Mindestquo­tierung von Frauen achtenden Grünen einen Mann vorschlage­n werden? Zumal sich mit Katrin Göring-Eckardt eine bekannte und respektabl­e Politikeri­n anbietet? Die 54-Jährige war acht Jahre Vizepräsid­entin des Bundestage­s, ist seit 2013 Fraktionsc­hefin und hat auch als Präses der EKD-Synode an Ausstrahlu­ng gewonnen. Natürlich ist in der Politik

„Das wäre dann schlicht ein Stück Normalität“

Julia Klöckner Stellvertr­etende CDU-Vorsitzend­e

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