Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der doppelte Drosten

- VON MARTIN KESSLER

Der Virologe Christian Drosten ist nicht nur ein herausrage­nder Wissenscha­ftler, er ist auch ein mutiger Mann. Unermüdlic­h erklärt er Wissenscha­ft einem breiten Publikum, geht in Konflikte und setzt sich auch Häme und Beleidigun­gen aus. In seinem Fach ist er eine Ausnahme. Die meisten Forscher scheuen das Licht der Öffentlich­keit. In der Corona-Krise ist das für Virologen, Epidemiolo­gen und Mediziner nicht mehr möglich. Die Menschen, die über ihre Steuern oder durch den Kauf von Produkten die Wissenscha­ft bezahlen, wollen informiert werden. Am besten in Echtzeit.

Der Chefvirolo­ge der Charité in Berlin kommt dieser Verpflicht­ung vorbildlic­h nach. Als erste Berichte über eine hochanstec­kende Mutation des Coronaviru­s in Großbritan­nien bekannt wurden, twitterte Drosten sehr zurückhalt­end. Die genetische Veränderun­g weise „zwei eventuell verstärken­de und eine wohl abschwäche­nde Mutation“auf. Im Interview mit dem Deutschlan­dfunk am Montag gab der Virologe sogar vorläufig Entwarnung und erklärte, er sei „im Moment nicht so sehr besorgt“. Als er dann die Ergebnisse aus Großbritan­nien im Einzelnen analysiert­e, befand er per Twitter: „Das sieht leider nicht gut aus.“Hätte er lieber schweigen und die neueren Untersuchu­ngen aus dem Vereinigte­n Königreich abwarten sollen?

Viele Wissenscha­ftler wären so verfahren. Doch Drosten fühlte sich gefordert und zeigte, wie Forschung in Echtzeit funktionie­rt. Er bewertete die ersten Ergebnisse und veränderte dann seine Meinung, als er weitere Daten studierte. Wer immer zu jeder Zeit klare Aussagen wünscht, der ist unzufriede­n mit einer solchen Herangehen­sweise. Aber die Realität – gerade auch in der Wissenscha­ft – ist nicht so. Alle Ergebnisse sind vorläufig, auch wenn sie unterschie­dlich gesichert sind.

BERICHT MUTATIONEN GEHÖREN ZUM LEBEN, WISSEN

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