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Der Notarzt der deutschen Wirtschaft

Peter Altmaier hat seine Rolle als Helfer in der Corona-Krise gefunden. Doch bei der Umsetzung hapert es.

- VON BIRGIT MARSCHALL FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA

Noch längst hat er nicht alle Weihnachts­geschenke beisammen, doch im Lockdown sind alle Geschäfte dicht. „Ich bin ein Last-Minute-Käufer“, gestand Peter Altmaier unlängst. „Das ist jedes Jahr so. Hat diesmal leider nicht funktionie­rt.“Leer ausgehen sollen Familie und Freunde trotzdem nicht. „Ich werde meinen Lieben kleine Gutscheine schenken, die ich selbst gebastelt habe.“So gebe es Einkaufsgu­tscheine für den Buchhändle­r seiner Wahl, sagte der Wirtschaft­sminister.

Last Minute, auf den letzten Drücker: So ging es Altmaier im zu Ende gehenden Jahr auch beruflich. In der Corona-Krise ist er der oberste Notarzt der deutschen Wirtschaft. Eine Notoperati­on jagte die nächste, die Infektions­zahlen stiegen trotzdem. Pausenlos ist der CDU-Politiker unterwegs in den Medien, um Bürgern und Unternehme­n noch mehr Hilfen des Staates zu verspreche­n, ihnen Mut zuzusprech­en.

Er kann das wie Wenige in der Bundesregi­erung. Bei der Physikerin Angela Merkel als oberster Krisenmana­gerin fühlen sich die Bürger in guten Händen. Altmaier sehen viele als ideale Ergänzung, weil er die Regierungs­politik so sympathisc­h erläutern kann, dass einem ein wenig wärmer ums Herz wird. „Peter Altmaier macht seinen Job in der Corona-Krise sehr gut. Er ist kein Ideologe, jederzeit ansprechba­r, hört gut zu, reflektier­t. Ein Plus für uns alle in der Pandemie“, findet Anton Börner, der Außenhande­lspräsiden­t.

Der Saarländer Altmaier fühlt sich in der Hochkultur und der guten Küche zu Hause. Das Amt des Wirtschaft­sministers ist dem Bibliophil­en

2018 zugefallen, weil er für die Kanzlerin im Kabinett gesetzt war und seine Wunschposi­tion, die des Finanzmini­sters, an die SPD ging. Wie viele Politiker hat Altmaier eine juristisch­e Ausbildung; er war EU-Beamter, bevor seine politische Karriere begann. Unternehme­n hat der 62-Jährige nur als prominente­r Besucher von innen gesehen.

In den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit machte sich diese Distanz zur Lebenswelt der Unternehme­r mitunter negativ bemerkbar. Die Familienun­ternehmer etwa schüttelte­n den Kopf über das staatswirt­schaftlich­e Denken des CDU-Ministers, der ihnen zu wenig auf Wettbewerb und Mittelstan­d setzte. Das überwiegen­d negative Echo der Verbände auf Altmaiers Industries­trategie 2019 steht symbolisch für diese Phase.

Doch dann folgte im Frühjahr 2020 der Ausbruch der Corona-Krise – und Altmaier schlüpfte in eine neue Rolle: Zusammen mit Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) wurde er zum omnipräsen­ten Rettungsen­gel. Beide packten die „Bazooka“aus, die große Finanzkano­ne des Staates, die Geld an Bürger und Unternehme­n verteilen sollte. Scholz war für das Geldlocker­machen zuständig, Altmaier für die Umsetzung. Das Image des Wirtschaft­sministers besserte sich erheblich, auch Nicht-CDU-Wählern fiel der eloquente Plauderer positiv auf.

Nun aber hapert es bei der Umsetzung der Wirtschaft­shilfen. Von den 2020 eilig bereitgest­ellten 50 Milliarden Euro ist nur ein Bruchteil abgeflosse­n, viele Unternehme­r und Selbststän­dige sind verzweifel­t. Die Novemberhi­lfe konnte erst Ende des Monats beantragt werden, fließen werden erste Abschlagsz­ahlungen erst im Januar, denn Altmaiers

Reinhold von Eben-Worlée Verband der Familienun­ternehmer

Ministeriu­m hat Software-Probleme. Und ab Januar gibt es nur noch die Überbrücku­ngshilfe III, die sich an den Fixkosten orientiert und daher geringer ausfallen wird. Nach den Soforthilf­en im Frühjahr ist sie schon die dritte Hilfsform, mit der sich die Antragstel­ler auseinande­rsetzen müssen.

„Im Ankündigen großzügige­r staatliche­r Hilfen waren die Bundesmini­ster Altmaier und Scholz schnell. Beim Umsetzen haperte es jedoch an vielen Stellen“, sagt Familienun­ternehmer-Chef Reinhold von Eben-Worlée. „Warum setzt Altmaiers Ministeriu­m nicht Himmel und Hölle in Bewegung, um für die Auszahlung der Hilfen das Software-Problem zu lösen?“, fragt der Verbandsch­ef. Auch der Bundesverb­and mittelstän­dische Wirtschaft sendet Brandbrief­e: Es müsse sich sehr schnell etwas ändern, sonst drohe eine riesige Pleitewell­e im nächsten Jahr.

Die Probleme treffen zum Jahresende zusammen mit anderen Themen, bei denen Altmaier Kritik aushalten muss. Die Reform des Erneuerbar­e-Energien-Gesetzes

etwa enttäuscht Klimaschüt­zer, weil der Ausbau der erneuerbar­en Energien zu langsam vorangehe. Es gibt zudem Vorwürfe, Altmaier habe ein Gutachten unter Verschluss gehalten, das die fortgeschr­ittene Umsiedlung von Dörfern im nordrhein-westfälisc­hen Braunkohle-Revier als unnötig einstuft. Auch im Wirecard-Skandal könnte an Altmaier etwas hängenblei­ben: Ihm untersteht die Aufsicht über die Wirtschaft­sprüfer. Deren Chef hat mit Wirecard-Aktien gehandelt, Altmaier musste ihn freistelle­n.

„Unglücklic­h sind wir auch, dass sich der Wirtschaft­sminister derzeit hauptsächl­ich auf die Rettungspo­litik stürzt, den Kern der Wirtschaft­spolitik aber nicht bearbeitet“, sagt Familienun­ternehmer Eben-Worlée. „Während unsere Volkswirts­chaft ihre Wettbewerb­sfähigkeit verliert, kommen aus dem Hause

Altmaiers weder substanzie­lle Verbesseru­ngsvorschl­äge, noch können die eigenen Programme in der Koalition durchgeset­zt werden.“

Andere Verbände sind da gnädiger. Altmaiers große Kompromiss­bereitscha­ft, oft genug ein Ärgernis für Wirtschaft­svertreter, erweise sich in der Krise als Stärke, heißt es in einem großen Verband, der aus rechtliche­n Gründen derzeit nicht genannt werden darf. „Altmaier kann die Interessen der Wirtschaft sehr pragmatisc­h in schwierige Lockdown-Entscheidu­ngen einbringen“, heißt es da. „Für uns ist der vielsprach­ige Altmaier enorm wichtig, wenn es um internatio­nale Sachverhal­te geht.“

Die Corona-Krise brachte Altmaier eine Image-Wende, und nun folgt ein Superwahlj­ahr. Er wird aus seinem Last-Minute-Modus auch 2021 nicht entlassen.

„Warum setzt Altmaier nicht Himmel und Hölle in Bewegung?“

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Peter Altmaier (CDU), Bundesmini­ster für Wirtschaft und Energie, an der Terrassent­ür seines Büros im Ministeriu­m.

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