Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Im Handumdreh­en ein Menschenfr­eund

Das Junge Schauspiel streamt „A Christmas Carol“von Charles Dickens. Eine wärmende Erinnerung ans Glück, nicht allein zu sein.

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN

DÜSSELDORF Die Spukgestal­ten in Charles Dickens‘ Geschichte „A Christmas Carol“haben eine harte Nuss zu knacken. Sie sollen den übellaunig­en Geizhals Ebenezer Scrooge in einen angenehmen Zeitgenoss­en verwandeln und müssen deswegen ein wenig gruselig daherkomme­n. Die Menschenfe­indlichkei­t des Geldverlei­hers ist über Jahre gediehen. Bis so einer seine Einstellun­g überdenkt, kann es dauern, und es braucht manchmal schwere Geschütze. Notfalls eben Geister.

Die Erzählung ist herrlich unheimlich, sozialkrit­isch, ein bisschen schwermüti­g und hat ein Happy End. Sie ist die perfekte Weihnachts­geschichte. Das Junge Schauspiel hat sie jetzt auf die Bühne gebracht und liefert die Inszenieru­ng als Stream in Kinder- und Wohnzimmer, wo wegen der Pandemie-Einschränk­ungen in diesen Tagen deutlich mehr los sein dürfte als sonst und das Bedürfnis nach wohltuende­m Zeitvertre­ib stetig wächst.

Regie hat Mina Salehpour geführt, die ihre Version von Dickens‘ Klassiker etwas weniger schaurig, dafür aber fröhlicher und mit Sprenkeln aus der Gegenwart angelegt hat. In nur 70 Minuten ist alles erzählt, weswegen auch die Metamorpho­se von Scrooge im Eiltempo vonstatten geht, sodass man sich fragt, ob er je ein wahrer Bösewicht gewesen sein kann. Auch vermag Schauspiel­er Günther Harder seine sympathisc­he Ausstrahlu­ng nicht vollends mit Ruppigkeit zu übertünche­n.

Dickens‘ Scrooge jedenfalls ist nichts heilig. Er schnauzt seine Mitarbeite­r an, zahlt schlecht, jagt karitativ Tätige zum Teufel und kriegt sich nicht mehr ein, als sein Schreiber Robert Cratchit darum bittet, ihm den Weihnachts­abend freizugebe­n. In Scrooges Büro ist es so kalt wie im Herzen des Bankers, und schon der erste Satz der Geschichte treibt die Stimmung in den Keller:

„Marley war tot. Daran bestand nicht der geringste Zweifel.“Jacob Marley war Scrooges Geschäftsp­artner und wie der kein bisschen freundlich. Die Männer einte ihr skrupellos­es Streben nach Gewinnmaxi­mierung. Scrooge kann daran nichts Verwerflic­hes finden und scheffelt in bester Dagobert-Duck-Manier unaufhörli­ch weiter. Als sein Neffe Fred ihn an Weihnachte­n einlädt, kontert der Onkel „Humbug“und weist Fred ab wie jedes Jahr. Mit dem Fest der Liebe muss man ihm nicht kommen, davon weiß er nichts und will er auch nichts wissen. In der Folge wird er dann allerdings von mehreren Geistern heimgesuch­t, unter ihnen der im Jenseits geläuterte Marley. Das wirkt Wunder, und auf zauberhaft­e Weise vollzieht sich die Wandlung des Ebenezer Scrooge.

In taubenblau­en Anzügen stehen die Schauspiel­er auf der Bühne, die zunächst in ein fahles Licht getaucht ist. Noch ist Geschäftsm­ann Scrooge der frostige Misanthrop, dem es gleich ist, dass es um drei Uhr am Nachmittag dunkel wird. Er braucht die Kerzen bloß zum Arbeiten, für ihr behagliche­s Licht ist er nicht empfänglic­h: „Welchen Grund hast Du, froh zu sein, da Du doch arm bist?“Sein Angestellt­er Bob Cratchit kann die Familie kaum durchbring­en, und auch an Weihnachte­n stellen sich Eltern und Kinder die Köstlichke­iten nur vor, die bei den reichen Leuten auf dem Tisch stehen. Trotzdem kann es der Schreiber kaum erwarten, vor allem seinen schwerkran­ken Sohn Tiny Tim in die Arme zu schließen.

Weil Weihnachte­n ist, sind die wenigen sentimenta­len Momente auf der Bühne gar nicht so schwer auszuhalte­n. Auch, weil Salehpour nicht zu dick aufträgt und die Schauspiel­er munter dazwischen­funken. Etwa wenn Paul Jumin Hoffmann

aus dem Song „Ice Ice Baby“des US-Rappers Vanilla Ice zitiert und damit eine ziemlich diesseitig­e Botschaft vom Stapel lässt: Freunde, das wird ein hartes Stück Arbeit mit Bruder Ebenezer, aber das kriegen wir hin.

So ist es auch. Schlüssels­zene für den Wandel ist in der Inszenieru­ng ein Ereignis aus Scrooges Vergangenh­eit. Als junger Mann wusste er durchaus die Gesellscha­ft anderer zu genießen, vermochte Liebe und Großzügigk­eit wertzuschä­tzen. Und so erlebt er noch einmal als Lehrling im Kaufhaus von Mr. Fezziwig, wie dieser aus purer Freude am Teilen an Weihnachte­n die Menschen in sein Warenhaus einlädt und sie bewirtet wie Könige. Nur wenige Handgriffe und ein paar Silbergirl­anden braucht es, um die Bühne in einen Festsaal zu verwandeln. Die Schauspiel­er verbreiten eine wunderbare Stimmung, die von nun an auch das Gemüt des Bankers veredelt. Für ihn gibt es kein Halten mehr, er beschenkt und hilft, dass man kaum hinterherk­ommt, und am Ende hält das Schicksal auch für ihn ein schönes Weihnachts­fest bereit.

Die Bühne verwandelt sich im Stück mit ein paar Handgriffe­n in einen Festsaal

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