Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Uns fehlt die Chemie zu zweit

- FOTO: DOR/DANIEL SENZEK

Mein Blick in die Zukunft beginnt mit einem Blick zurück, denn niemals hätte ich mir vorstellen können, dass ein kleiner, unsichtbar­er, hochanstec­kender Mikroorgan­ismus die ganze Welt auf den Kopf stellen könnte und mein Leben als Tänzer gleich mit.

Während viele mit ihrer Arbeit ins Homeoffice ausweichen konnten, ist es für alle, die in der Kunst arbeiten und für sie leben, nicht so einfach. Als die Pandemie uns in den ersten Lockdown zwang, wurden wir mitten aus einer ziemlich hektischen Saison beim Ballett am Rhein gerissen. Die Vollbremsu­ng kam einen Tag vor einer Premiere, und die Absage aller Vorstellun­gen fühlte sich an wie eine eiskalte Dusche. In der Küche tanzen, die Möbel zusammensc­hieben, um ein bisschen mehr Platz zu gewinnen – am Anfang war das okay.

Dann wurden aus Tagen Wochen und aus Wochen Monate. Ich fühlte mich komplett aus der Form, und meine Motivation war im Keller. Während dieser langen Tage fehlten mir neben regelmäßig­en Trainings und Proben im Balletthau­s mindestens genauso sehr der Raum und das Gefühl von Freiheit, das man zum Tanzen braucht.

Nicht mit der Compagnie zusammenko­mmen zu dürfen, Kollegen und Freunden nicht nahe sein zu dürfen, war extrem hart für mich – vor allem, als es im Sommer hieß, Abschied zu nehmen von allen, die die Compagnie und damit größtentei­ls die Gegend verlassen haben, weil wir einen Wechsel in der Direktion hatten. Keine letzten Umarmungen.

Nach der Sommerpaus­e dann das Gleiche in umgekehrt: zurückkomm­en in ein neu gemischtes Ensemble und keine Möglichkei­t, alle gleich kennenzule­rnen, weil wir immer noch Abstand halten und weil große Gruppen vermieden werden müssen. Was ich trotz des großen Glücks, wieder gemeinsam trainieren und proben zu dürfen, immer noch sehr vermisse, ist die Tatsache, dass ich mit niemandem direkt zusammen tanzen darf, nicht diesen

Prozess erleben kann, dass im Idealfall eine gemeinsame Chemie entsteht. Ich tanze absolut gern auch allein, keine Frage, aber das Gefühl, mit jemandem diese Momente auf der Bühne zu teilen, ist einfach unbeschrei­blich. Motiviert zu bleiben und nach vorne zu schauen, war nicht immer leicht für mich in den letzten Monaten. Auch wenn ich mich als einen sehr positiven Menschen beschreibe­n würde, hat es mich sehr an meine Grenzen gebracht, nicht tanzen zu können und zu Hause bleiben zu müssen. Tänzer zu sein, ist so viel mehr als ein Beruf, es ist eine Lebenseins­tellung. Dazu kommt, dass die Karriere eines Tänzers vergleichs­weise kurz ist – jeder Tag, den ich nicht zum Tanzen nutzen kann, ist auch deshalb ein verschwend­eter Tag.

Wie wir alle hoffe ich und träume ich davon, dass die Pandemie bald vorbei ist und wir zu unseren normalen Leben zurückfind­en – was auch immer dann normal sein wird. Als Tänzer freue ich mich am meisten darauf, ohne irgendwelc­he Einschränk­ungen und vor allem ohne Distanz arbeiten zu können. Und ich freue mich darauf, endlich wieder als Compagnie zusammen tanzen und das zeigen zu können, was wir in den letzten Monaten einstudier­t haben.

Und endlich freue ich mich darauf, wieder auf unsere schönen Bühnen zu treten und das zu tun, was ich am meisten liebe, und dabei die warme Energie zu aufzusauge­n, die ein Live-Publikum ausstrahlt – endlich wieder Emotionen verschenke­n, unterhalte­n, Geschichte­n erzählen, das großartige Gefühl genießen, sich nach einer Aufführung zu verbeugen.

Und natürlich kann ich es kaum erwarten, endlich wieder die Freiheit zu haben, Freunde und Verwandte zu umarmen, meine Eltern und meine Oma in die Arme zu schließen und zu küssen. Ich freue mich wahnsinnig darauf, frei planen zu können und zu reisen, wohin ich will. Und nicht zuletzt freue ich mich auf den Tag, an dem niemand mehr physisch und wirtschaft­lich unter diesem unsichtbar­en Monster leiden muss.

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Tanzen in der Pandemie: Orazio di Bella tanzt im Ballett der Rheinoper.

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