Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Merkels europäisches Erbe
Corona, Klima, Brexit – es gab viel zu tun für die Deutschen während ihrer EU-Ratspräsidentschaft. Und auch wenn die Union insgesamt unter ihren Möglichkeiten bleibt: Das Tempo, gerade zum Schluss, war fulminant.
Die britische Botschafterin in Deutschland, Jill Gallard, sieht eine Wahlverwandtschaft der beiden Nationen. „Die Deutschen sind ähnlich wie die Briten sehr pragmatisch und lösungsorientiert“, stellte sie im Gespräch mit unserer Redaktion fest. Doch während die Briten diesen Ruf mehr und mehr verspielen, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel den Pragmatismus nachgerade zu ihrem Regierungsstil erhoben. Einen neuen Beweis dafür lieferte sie in der halbjährlichen EU-Ratspräsidentschaft. Egal wie weit die Positionen bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie, der Einhaltung der Rechtsstaatsprinzipien oder der Klimapolitik auseinanderlagen, zum Schluss brachte sie die Enden zusammen. Eine Meisterin des Kompromisses.
Längst war nicht alles gut, was im zweiten Halbjahr der deutschen Ratspräsidentschaft lief. Die Briten zeigten sich störrisch bei den Verhandlungen zu einem Post-Brexit-Deal, Ungarn und Polen blockierten den EU-Haushalt, und Griechenland beschwerte sich über die mangelnde Solidarität Berlins im Konflikt mit der Türkei. Aber es gelang Merkel, mögliche Streitpunkte nicht eskalieren zu lassen.
Der größte Erfolg war zweifellos der Kampf gegen das Coronavirus. Nach anfänglichen nationalen Alleingängen, an denen sich auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn beteiligt hatte, nahmen die Mitgliedstaaten die Herausforderung gemeinsam an. In Deutschland wurde der erste zugelassene Impfstoff des Mainzer Unternehmens Biontech und des US-Konzerns Pfizer entwickelt. Der Start fand in allen EU-Ländern zur gleichen Zeit statt – und jetzt haben selbst Staaten wie Rumänien oder Bulgarien mehr Impfdosen im Verhältnis zur Einwohnerzahl als das wohlhabende Großbritannien.
Eine Überraschung gelang auch in der Klimapolitik. Beim jüngsten Gipfel am 10. und 11. Dezember verschärfte die EU das Reduktionsziel für das Klimagas Kohlendioxid von 40 auf 55 Prozent bis 2030. Das war bislang die Vorgabe für Deutschland, die stärkste Wirtschaftsmacht der EU. Als Wermutstropfen bleibt die Tatsache, dass über den Weg dorthin nicht geredet wurde.
Der dritte Erfolg stellte sich erst an Heiligabend ein. Die Briten und die EU einigten sich doch noch auf ein Handelsabkommen, das den Waren- und Dienstleistungsaustausch über den Kanal regelt. Es ist ein Vertrag, der die britische Souveränität achtet, aber die Wirtschaftsbeziehungen trotz Erschwernissen intakt hält. Es waren die beiden Verhandlungsteams um den Franzosen Michel Barnier und den Briten David Frost, die das Ergebnis herbeiführten, während Merkel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sich im Hintergrund gut abstimmten. Am Ende gab nicht zuletzt die Niederlage des protektionistischen US-Präsidenten Donald Trump den Ausschlag; der Abschied der Briten aus der Zollunion und dem Binnenmarkt geht nun einigermaßen glimpflich vonstatten. Auch hier bleiben viele Fragen ungeklärt – etwa zu den Geschäften der Londoner Finanzindustrie auf dem Kontinent oder den künftigen Umweltund Arbeitsstandards. Gleichwohl hätte es ein wirtschaftliches Erdbeben gegeben, wenn die Briten ohne Abkommen ausgestiegen wären.
Auch die Einigung über die EU-Finanzen und das Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“mit einem Volumen von mehr als 1,8 Billionen Euro bis 2027 ist auf die Habenseite der deutschen Ratspräsidentschaft zu buchen. Zwar fließt fast jeder dritte Euro des EU-Haushalts weiterhin als Subvention in die Landwirtschaft. Es war aber schon einmal die Hälfte. Mit 132 Milliarden Euro geben die Europäer viel zu wenig für ihre digitale Infrastruktur, für Innovation und Technologie aus. Dafür ist es maßgeblich dem Merkel-Team gelungen, rechtsstaatliche Grundsätze bei
Die Bundeskanzlerin wird eine große Leerstelle in Europa hinterlassen