Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
In letzter Sekunde doch noch geimpft
Im Johannes-Höver-Haus ließen sich am Dienstag fast alle Senioren immunisieren. Ebenso wie Pflegekräfte, die zuvor gezögert hatten.
RATH Eigentlich hatte sie die Impfung bis zuletzt abgelehnt, hatte Bedenken wegen der Nebenwirkungen und als eine der ersten die Spritzen mit dem Schutz gegen das Coronavirus zu bekommen. In letzter Sekunde aber hat sich die junge Pflegerin doch noch dazu entschlossen, sich immunisieren zu lassen.
Seit Sonntag läuft die Impfaktion gegen das Coronavirus in Deutschland und auch in Düsseldorf. Los ging es im Wohnstift Haus Lörick mit den ersten 180 Impfdosen. Am Dienstag wurde die nächsten Charge vom Hersteller Biontech geliefert – unter anderem ins Johannes-Höver-Haus am Rather Broich. 160 Bewohner des Seniorenheims und der Wohnungslosenhilfe sowie 100 Mitarbeiter ließen sich an diesem Tag immunisieren. Damit liege die Impfbereitschaft unter den Bewohnern bei 95 Prozent, sagt Heimleiter Heiko Menken.
An Heiligabend um 16 Uhr hatte Menken die E-Mail der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein erreicht. Noch über die Feiertage hat er Einverständniserklärungen verteilt und eingesammelt, Angehörige angerufen und informiert. Am Montag war dann klar, dass nur einen Tag später der Impfstoff am Johannes-Höver-Haus ankommen würde. In nur wenigen Stunden, erzählt Menken, habe sein Team die Impfstraße im großen Gemeinschaftsraum eingerichtet.
Drei Stühle stehen am Dienstag bereit für die Impfwilligen. Ärzte und medizinisches Personal sind vor Ort, um die Spritzen zu setzen und die Senioren zu betreuen. Heinz Tiemeyer braucht ein wenig, um sich auf den Stuhl zu setzen. Langsam bugsiert er seinen Rollator in die richtige Position und lässt sich nieder. Die Ärztin bittet ihn, seinen Hemdsärmel hochzukrempeln. Sie desinfiziert den Oberarm und setzt die Spritze. Ein kleiner Pieks nur, dann darf der 86-Jährige sich an einen Tisch im Warteraum setzen.
Wo die Bewohner sonst Sport machen können oder Feste feiern, hat das Heim-Team nun den Warteraum eingerichtet. Jede geimpfte Person sitzt an einem eigenen Tisch, in sicherer Entfernung zum nächsten. Auf einem Zettel hat die Ärztin den Zeitpunkt der Impfung notiert. 30 Minuten muss Heinz Tiemeyer im Warteraum ausharren, bevor er wieder auf sein Zimmer darf. Für den Fall, dass er den Impfstoff nicht verträgt, eine allergische Reaktion zeigt. Die Ärzte haben darum auch alles für die Notfallversorgung dabei. Angst vor möglichen Nebenwirkungen oder der Spritze selbst habe er aber nicht, sagt Heinz Tiemeyer.
„Ich habe schon so viele Spritzen in meinem Leben bekommen“, sagt er in seine FFP2-Maske und winkt ab. Da sei die Impfung nun wirklich keine Ausnahme.
Eine Bewohnerin in rosafarbener Bluse, die seit 20 Minuten im Warteraum sitzt, lässt den Blick durch den voll besetzten Raum schweifen. „Ich bin erstaunt, wie viele Leute tatsächlich mitmachen“, sagt sie. 1924 ist sie geboren, 96 Jahre alt also, wie sie vorrechnet. Sie selbst habe keine Sorge wegen der neuen Impfung. „Ich habe Vertrauen zu den Ärzten. Ich musste auch zig Fragen beantworten, bevor ich die Spritze bekommen habe“, sagt sie. Nach chronischen Krankheiten und Allergien wird gefragt, nach dem aktuellen Gesundheitszustand und offenen Fragen.
Daniela Przybyl leitet einen Wohnbereich des Seniorenheims mit 50 Betten. Von den Bewohnern hätten sich alle zur Impfung angemeldet, sagt sie. Die Ausnahme seien drei Senioren, die eine Covid-19-Erkrankung bereits überstanden haben. Nur drei oder vier andere Bewohner hätten zunächst gezögert, der Rest wollte sofort, berichtet sie.
Viel zaghafter als die Bewohner, sagt Heimleiter Heiko Menken, sei das Personal. Bei den Pflegekräften des Hauses habe er Überzeugungsarbeit leisten müssen, habe immer wieder gefragt: „Wollt ihr nicht doch?“Auch er selbst habe sich sofort impfen lassen, auch um ein Vorbild für seine Mitarbeiter zu sein. „Wir sind bislang glimpflich durch die Pandemie gekommen“, sagt er. „Und die Impfung bietet keine vollständige Sicherheit, aber wir sind auf dem Weg zurück in die Normalität.“Wie die junge Pflegerin hätten sich am Dienstag in letzter Sekunde doch noch einige Mitarbeiter für die Impfung entschieden, obwohl sie diese zunächst abgelehnt hatten. Zu sehen, wie groß die Bereitschaft unter den Bewohnern sei, habe wohl auch beim Personal eine Sogwirkung.
Collin Blume und Gabriele Schwerdtfeger helfen als Mediziner bei der Impfaktion mit, sie ziehen eine Spritze nach der anderen auf, desinfizieren die Oberarme, notieren die Uhrzeiten auf den Zetteln. Sie beide betreiben Arztpraxen in Düsseldorf und betreuen Bewohner des Johannes-Höver-Hauses. Als die E-Mail von der Kassenärztlichen
Vereinigung kam, haben sich beide dazu bereiterklärt, die Impfungen zu begleiten. Das Impfen an sich, sagt Gabriele Schwerdtfeger, sei für sie nichts Besonderes. Eine Spritze wie bei Masern oder Tetanus auch. „Ich habe trotzdem das Gefühl, ein kleines Stückchen Geschichte zu schreiben“, sagt Schwerdtfeger. „Die Impfaktionen in den Seniorenheimen sind ein erster wichtiger Schritt.“Die Kritik von vielen Seiten, die Senioren seien Versuchskaninchen, könne sie nur bedingt verstehen. „Irgendwo muss man mit dem Impfen anfangen. Die Schwächsten zuerst zu schützen, finde ich vom Prinzip her richtig.“
Zunächst wird es in dem Seniorenheim weitergehen wie bisher – das Abstandhalten steht weiterhin an oberster Stelle. An Weihnachten, sagt Daniela Przybyl, habe es diesmal kein gemeinsames Fest gegeben. Sie sei stattdessen von Zimmer zu Zimmer gegangen und habe auf Abstand frohe Feiertage gewünscht. Heimleiter Heiko Menken erinnert sich zwar an kleine Höhepunkte in den vergangenen Monaten. Da war zum Beispiel das Balkonkonzert der Düsseldorfer Symphoniker, die im Mai für die Bewohner gespielt haben. Die Normalität vor Corona wünschen sich aber alle zurück.
In drei Wochen steht die zweite Impfung an, eine Woche später gelten die Personen als immunisiert. „Dann kann das normale Leben wieder beginnen“, sagt Menken. Dann könnten die Bewohner wieder in den Gemeinschaftsräumen zusammensitzen, Gymnastik machen, Feste feiern.