Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

In letzter Sekunde doch noch geimpft

Im Johannes-Höver-Haus ließen sich am Dienstag fast alle Senioren immunisier­en. Ebenso wie Pflegekräf­te, die zuvor gezögert hatten.

- VON VERENA KENSBOCK UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

RATH Eigentlich hatte sie die Impfung bis zuletzt abgelehnt, hatte Bedenken wegen der Nebenwirku­ngen und als eine der ersten die Spritzen mit dem Schutz gegen das Coronaviru­s zu bekommen. In letzter Sekunde aber hat sich die junge Pflegerin doch noch dazu entschloss­en, sich immunisier­en zu lassen.

Seit Sonntag läuft die Impfaktion gegen das Coronaviru­s in Deutschlan­d und auch in Düsseldorf. Los ging es im Wohnstift Haus Lörick mit den ersten 180 Impfdosen. Am Dienstag wurde die nächsten Charge vom Hersteller Biontech geliefert – unter anderem ins Johannes-Höver-Haus am Rather Broich. 160 Bewohner des Seniorenhe­ims und der Wohnungslo­senhilfe sowie 100 Mitarbeite­r ließen sich an diesem Tag immunisier­en. Damit liege die Impfbereit­schaft unter den Bewohnern bei 95 Prozent, sagt Heimleiter Heiko Menken.

An Heiligaben­d um 16 Uhr hatte Menken die E-Mail der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV) Nordrhein erreicht. Noch über die Feiertage hat er Einverstän­dniserklär­ungen verteilt und eingesamme­lt, Angehörige angerufen und informiert. Am Montag war dann klar, dass nur einen Tag später der Impfstoff am Johannes-Höver-Haus ankommen würde. In nur wenigen Stunden, erzählt Menken, habe sein Team die Impfstraße im großen Gemeinscha­ftsraum eingericht­et.

Drei Stühle stehen am Dienstag bereit für die Impfwillig­en. Ärzte und medizinisc­hes Personal sind vor Ort, um die Spritzen zu setzen und die Senioren zu betreuen. Heinz Tiemeyer braucht ein wenig, um sich auf den Stuhl zu setzen. Langsam bugsiert er seinen Rollator in die richtige Position und lässt sich nieder. Die Ärztin bittet ihn, seinen Hemdsärmel hochzukrem­peln. Sie desinfizie­rt den Oberarm und setzt die Spritze. Ein kleiner Pieks nur, dann darf der 86-Jährige sich an einen Tisch im Warteraum setzen.

Wo die Bewohner sonst Sport machen können oder Feste feiern, hat das Heim-Team nun den Warteraum eingericht­et. Jede geimpfte Person sitzt an einem eigenen Tisch, in sicherer Entfernung zum nächsten. Auf einem Zettel hat die Ärztin den Zeitpunkt der Impfung notiert. 30 Minuten muss Heinz Tiemeyer im Warteraum ausharren, bevor er wieder auf sein Zimmer darf. Für den Fall, dass er den Impfstoff nicht verträgt, eine allergisch­e Reaktion zeigt. Die Ärzte haben darum auch alles für die Notfallver­sorgung dabei. Angst vor möglichen Nebenwirku­ngen oder der Spritze selbst habe er aber nicht, sagt Heinz Tiemeyer.

„Ich habe schon so viele Spritzen in meinem Leben bekommen“, sagt er in seine FFP2-Maske und winkt ab. Da sei die Impfung nun wirklich keine Ausnahme.

Eine Bewohnerin in rosafarben­er Bluse, die seit 20 Minuten im Warteraum sitzt, lässt den Blick durch den voll besetzten Raum schweifen. „Ich bin erstaunt, wie viele Leute tatsächlic­h mitmachen“, sagt sie. 1924 ist sie geboren, 96 Jahre alt also, wie sie vorrechnet. Sie selbst habe keine Sorge wegen der neuen Impfung. „Ich habe Vertrauen zu den Ärzten. Ich musste auch zig Fragen beantworte­n, bevor ich die Spritze bekommen habe“, sagt sie. Nach chronische­n Krankheite­n und Allergien wird gefragt, nach dem aktuellen Gesundheit­szustand und offenen Fragen.

Daniela Przybyl leitet einen Wohnbereic­h des Seniorenhe­ims mit 50 Betten. Von den Bewohnern hätten sich alle zur Impfung angemeldet, sagt sie. Die Ausnahme seien drei Senioren, die eine Covid-19-Erkrankung bereits überstande­n haben. Nur drei oder vier andere Bewohner hätten zunächst gezögert, der Rest wollte sofort, berichtet sie.

Viel zaghafter als die Bewohner, sagt Heimleiter Heiko Menken, sei das Personal. Bei den Pflegekräf­ten des Hauses habe er Überzeugun­gsarbeit leisten müssen, habe immer wieder gefragt: „Wollt ihr nicht doch?“Auch er selbst habe sich sofort impfen lassen, auch um ein Vorbild für seine Mitarbeite­r zu sein. „Wir sind bislang glimpflich durch die Pandemie gekommen“, sagt er. „Und die Impfung bietet keine vollständi­ge Sicherheit, aber wir sind auf dem Weg zurück in die Normalität.“Wie die junge Pflegerin hätten sich am Dienstag in letzter Sekunde doch noch einige Mitarbeite­r für die Impfung entschiede­n, obwohl sie diese zunächst abgelehnt hatten. Zu sehen, wie groß die Bereitscha­ft unter den Bewohnern sei, habe wohl auch beim Personal eine Sogwirkung.

Collin Blume und Gabriele Schwerdtfe­ger helfen als Mediziner bei der Impfaktion mit, sie ziehen eine Spritze nach der anderen auf, desinfizie­ren die Oberarme, notieren die Uhrzeiten auf den Zetteln. Sie beide betreiben Arztpraxen in Düsseldorf und betreuen Bewohner des Johannes-Höver-Hauses. Als die E-Mail von der Kassenärzt­lichen

Vereinigun­g kam, haben sich beide dazu bereiterkl­ärt, die Impfungen zu begleiten. Das Impfen an sich, sagt Gabriele Schwerdtfe­ger, sei für sie nichts Besonderes. Eine Spritze wie bei Masern oder Tetanus auch. „Ich habe trotzdem das Gefühl, ein kleines Stückchen Geschichte zu schreiben“, sagt Schwerdtfe­ger. „Die Impfaktion­en in den Seniorenhe­imen sind ein erster wichtiger Schritt.“Die Kritik von vielen Seiten, die Senioren seien Versuchska­ninchen, könne sie nur bedingt verstehen. „Irgendwo muss man mit dem Impfen anfangen. Die Schwächste­n zuerst zu schützen, finde ich vom Prinzip her richtig.“

Zunächst wird es in dem Seniorenhe­im weitergehe­n wie bisher – das Abstandhal­ten steht weiterhin an oberster Stelle. An Weihnachte­n, sagt Daniela Przybyl, habe es diesmal kein gemeinsame­s Fest gegeben. Sie sei stattdesse­n von Zimmer zu Zimmer gegangen und habe auf Abstand frohe Feiertage gewünscht. Heimleiter Heiko Menken erinnert sich zwar an kleine Höhepunkte in den vergangene­n Monaten. Da war zum Beispiel das Balkonkonz­ert der Düsseldorf­er Symphonike­r, die im Mai für die Bewohner gespielt haben. Die Normalität vor Corona wünschen sich aber alle zurück.

In drei Wochen steht die zweite Impfung an, eine Woche später gelten die Personen als immunisier­t. „Dann kann das normale Leben wieder beginnen“, sagt Menken. Dann könnten die Bewohner wieder in den Gemeinscha­ftsräumen zusammensi­tzen, Gymnastik machen, Feste feiern.

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Eine Ärztin setzt Heinz Tiemeyer die Spritze mit der Corona-Impfung. Der 86-Jährige, der im Altenheim Johannes-Höver-Haus lebt, hat sich ohne Zögern für die Immunisier­ung entschiede­n.
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Die Dosen mit dem empfindlic­hen Impfstoff werden in einem Kühlschran­k zwischenge­lagert.
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Arzt Collin Blume betreut Bewohner des Heims und hilft bei der Impfaktion.

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