Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
An die Zeit nach Corona denken
Wenn wir es schaffen, das neue „Wir“zu bewahren, hätten wir viel erreicht.
Obwohl wir uns noch im harten Lockdown befinden, eröffnet der Beginn der Impfungen die Perspektive, in absehbarer Zeit das Coronavirus unter Kontrolle zu bringen. Zu Anfang dieses neuen Jahres lohnt es sich daher, optimistisch nach vorne zu schauen. Der schlimmste Fehler allerdings wäre, nach Corona einfach wieder zu unserem gewohnten Alltag zurückzukehren. Es ist wichtig, dass wir aus der Krise die richtigen Lehren ziehen. Als Juden haben wir im Laufe unserer Geschichte gelernt, auch in größten Schwierigkeiten das Positive zu sehen. Ist das aber angesichts der vielen Toten und einer abgestürzten Wirtschaft wirklich möglich? Ich denke schon!
Selbst in dieser Krise gab es sehr viel Positives: Ich habe selten so viel Hilfsbereitschaft erlebt. Menschen haben sich umeinander gekümmert – generationsübergreifend. Leben zu retten war wichtiger als Wirtschaftswachstum. Wir haben auch den Nutzen einer solchen Haltung erlebt: Gesellschaften, die solidarisch agierten und weniger gespalten waren, sind besser durch die Krise gekommen.
Unsere Gesellschaft, die so viel Wert auf das Ich legt, auf die individuelle Freiheit und den persönlichen Vorteil, hat es geschafft, in der Krise zu einem Wir zu finden. Das scheinbar so verstaubte religiöse Konzept der Nächstenliebe erwies sich in dieser Zeit als wichtiger denn je. Wenn wir es schaffen, dieses Wir weiter zu bewahren, hätten wir viel erreicht. Wenn wir es geschafft haben, in dieser Krise gemeinsam schwierigste Herausforderungen zu bewältigen, dann schaffen wir das auch bei anderen Themen: sei es mehr Gerechtigkeit und mehr Chancengleichheit oder eine ökologische Wende und eine fairere Verteilung der Ressourcen. Jetzt gilt es, die Herausforderungen gemeinsam anzupacken – zum Vorteil aller!
Rabbi Jehoschua Ahrens ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz. Er wechselt sich mit der Benediktinerin Philippa Rath, der evangelischen Pfarrerin Friederike Lambrich und dem Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide ab.