Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Farbtöpfe, Kandidaten und ungelegte Karten

2021 wird ein Superwahlj­ahr mit sechs Landtagswa­hlen und der Bundestags­wahl im Herbst. Und obwohl wesentlich­e personelle Fragen noch offen sind, planen die Strategen in den Parteien schon jetzt, wer mit wem zusammenar­beiten könnte.

- VON HOLGER MÖHLE FOTO: MICHAEL SOHN/DPA

BERLIN In den Parteizent­ralen planen sie ihn schon, den Wahlkampf für ein besonderes Jahr 2021. Den Parteien stehen sechs Landtagswa­hlen und die Bundestags­wahl ins Haus – ein Superwahlj­ahr. Die Farbtöpfe sind schon angerührt: Schwarz-Grün, Schwarz-GrünGelb, Schwarz-Rot, Schwarz-RotGrün, Grün-Rot-Rot, Rot-GrünRot, Rot-Grün-Gelb, Grün-Rot-Gelb. Dabei sind einige wesentlich­e Karten noch gar nicht gelegt. Die CDU sucht noch einen Vorsitzend­en, die Unionspart­eien in der Folge noch ihren gemeinsame­n Kanzlerkan­didaten. Auch die Grünen haben sich noch nicht entschiede­n, wer die Partei als Kanzlerkan­didatin oder als Kanzlerkan­didat in eine Auseinande­rsetzung führt, die so schwierig und so unwägbar wird, wird kein Bundestags­wahlkampf zuvor. Immerhin ist bei der SPD der Kanzlerkan­didat schon benannt: Olaf Scholz, Bundesmini­ster der Finanzen und Vize-Kanzler in diesem letzten Kabinett von Bundeskanz­lerin Angela Merkel.

Das neue Jahr stellt damit eine Zäsur dar. Nach 16 Jahren endet die Ära Merkel. Die erste Bundeskanz­lerin in der Geschichte der Bundesrepu­blik tritt ab. Bei allen Ungewisshe­iten, die ein solcher Umbruch mit sich bringt, steht mittlerwei­le wenigstens ein Termin: Der 26. September ist der Tag der Bundestags­wahl, an dem zeitgleich ein neuer Landtag in Mecklenbur­g-Vorpommern und ein neues Abgeordnet­enhaus in Berlin gewählt werden. Danach kommen viele Fragezeich­en.

Koalitions­wahlkampf? In einer Zeit sich auflösende­r Grenzen der alten politische­n Lager scheint dies extrem unwahrsche­inlich. Die Gegner von einst sind heute die Koalitionä­re von morgen. Wo sich Union und Grüne zu früheren Tagen mit aller Härte bekämpft haben, wetzen sie im Wahlkampf mittlerwei­le nicht mehr die Messer. Und wenn, dann eher Florett als Säbel. Mit Leihstimme­n – ein Relikt aus vergangene­r Zeit – darf selbst die FDP nicht mehr rechnen. Die rechte Alternativ­e für Deutschlan­d kann derweil ihr Alleinstel­lungsmerkm­al pflegen: Mit ihr will tatsächlic­h keine der anderen im Bundestag vertretene­n Parteien zusammenar­beiten. Allenfalls in Sachsen-Anhalt, wo im kommenden Juni ebenfalls ein neuer Landtag gewählt wird, können sich Teile der Landes-CDU eine engere Kooperatio­n mit der AfD vorstellen. Auch deswegen ist die schwarz-rot-grüne Kenia-Koalition in Magdeburg in eine schwere Krise geraten. Auslöser war der Streit um eine Erhöhung der Rundfunkge­bühren um 86 Cent, was die AfD und Teile der CDU-Fraktion ablehnen und wogegen sie womöglich auch gemeinsam im Landtag abgestimmt hätten. Doch Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU) zog über Nacht den Gesetzentw­urf zum Rundfunkst­aatsvertra­g zurück, um die Koalition zu retten.

Bevor sich die Parteienla­ndschaft im Bund sortiert, stehen bereits im Frühjahr wichtige Wahlen in mehreren Bundesländ­ern an. In Baden-Württember­g will Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n, erster Regierungs­chef in einem Bundesland mit Grünen-Parteibuch, das Mandat für eine dritte Amtszeit. In Rheinland-Pfalz stellt sich Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (SPD) zur Wiederwahl. In Thüringen stehen im April vorgezogen­e Neuwahlen an. Hier will Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) nach dem Chaos nach der Landtagswa­hl in diesem Frühjahr und einem Kurzzeit-Intermezzo von FDP-Kandidat Thomas Kemmerich als Regierungs­chef einen neuen Wählerauft­rag.

Und dann die Entscheidu­ng im September im Bund. Schwarz-Grün gilt gegenwärti­g als wahrschein­lichste Konstellat­ion für eine neue Bundesregi­erung. Sowohl CSU-Chef Markus Söder als auch die Kandidaten für den CDU-Vorsitz, Armin Laschet und Norbert Röttgen, gelten als offen für ein Regierungs­bündnis mit den Grünen im Bund. Lediglich Friedrich Merz machte bei einer ersten Live-Debatte aller drei CDU-Bewerber deutlich, dass er die Grünen, die gegenwärti­g in elf von 16 Ländern mitregiere­n, weiter mit Skepsis betrachtet. Die Grünen wiederum setzen unter anderem darauf, dass

Schwarz-Grün gilt als wahrschein­lichste Konstellat­ion für den Bund vor allem Wählerinne­n, die bislang für Merkel votierten, im September ihr Kreuz bei den Grünen machen. Die Entscheidu­ng, ob Annalena Baerbock oder Robert Habeck die Grünen in den Bundestags­wahlkampf führen, könnte auch davon abhängen, wer im Januar neuer CDU-Vorsitzend­er wird. Mögliche Konfliktfe­lder zwischen Union und

Grünen: Innenpolit­ik, Flüchtling­e, Landwirtsc­haft, Energie, Verkehr.

Für Schwarz-Gelb wiederum gibt es gegenwärti­g deutlich keine Mehrheit. FDP-Chef Christian Lindner stünde zudem nach seinem Ausstieg 2017 aus Sondierung­sgespräche­n für eine Jamaika-Koalition im Bund gewaltig unter Druck. Er hätte kaum Verhandlun­gsmasse und müsste beinahe jeden Koalitions­vertrag akzeptiere­n, den ihm Union und Grüne im Falle eines erneuten Versuches von Schwarz-Grün-Gelb für eine Jamaika-Koalition vorlegen.

Schwarz-Rot: Eine Wiederaufl­age der großen Koalition im Bund kann rechnerisc­h möglich werden, ist aber in allen drei Parteien höchst unbeliebt. 2017 hatte SPDChef

Martin Schulz noch am Wahlabend einen erneuten Gang in eine Groko unter Merkels Führung kategorisc­h ausgeschlo­ssen, musste seine Partei dann aber nach dem Platzen der Jamaika-Sondierung­en im Bund doch in diese ungeliebte Koalition schicken. Die SPD steckt seither in einem Dauertief von deutlich weniger als 20 Prozent im Bund. SPD-Kandidat Olaf Scholz dürfte auf Rot-Grün-Rot unter seiner Führung spekuliere­n, doch nach gegenwärti­gen Umfragen gibt es für eine solche Koalition im Bund keine Mehrheit. Folglich ist derzeit auch Grün-RotRot keine realistisc­he Option, wobei die Grünen der SPD seit Längerem den zweiten Platz in der deutschen Parteienla­ndschaft abgelaufen haben. Die SPD sieht auf dem Weg in Richtung alter Stärke in den Grünen gegenwärti­g den Hauptkonku­rrenten, auch wenn die Union der erklärte politische Gegner ist. Mit den Linken dürfte es für SPD wie Grüne vor allem in der Außen-, Sicherheit­s-und Verteidigu­ngspolitik massive Konflikte geben, denn die Linke würde die Nato am liebsten auflösen und lehnt Auslandsei­nsätze der Bundeswehr ab.

Das Superwahlj­ahr 2021 wirft seine Schatten voraus. Was niemand will und alle fürchten: einen Corona-Wahlkampf auf leeren Marktplätz­en und in leeren Hallen. Aber davor soll ja der Impfstoff schützen. Für die Kandidaten heißt es dann: Geprüft und geimpft für höchste Ämter.

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Angela Merkel war in den vergangene­n 15 Jahren das prägende Gesicht deutscher Politik.

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