Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Farbtöpfe, Kandidaten und ungelegte Karten
2021 wird ein Superwahljahr mit sechs Landtagswahlen und der Bundestagswahl im Herbst. Und obwohl wesentliche personelle Fragen noch offen sind, planen die Strategen in den Parteien schon jetzt, wer mit wem zusammenarbeiten könnte.
BERLIN In den Parteizentralen planen sie ihn schon, den Wahlkampf für ein besonderes Jahr 2021. Den Parteien stehen sechs Landtagswahlen und die Bundestagswahl ins Haus – ein Superwahljahr. Die Farbtöpfe sind schon angerührt: Schwarz-Grün, Schwarz-GrünGelb, Schwarz-Rot, Schwarz-RotGrün, Grün-Rot-Rot, Rot-GrünRot, Rot-Grün-Gelb, Grün-Rot-Gelb. Dabei sind einige wesentliche Karten noch gar nicht gelegt. Die CDU sucht noch einen Vorsitzenden, die Unionsparteien in der Folge noch ihren gemeinsamen Kanzlerkandidaten. Auch die Grünen haben sich noch nicht entschieden, wer die Partei als Kanzlerkandidatin oder als Kanzlerkandidat in eine Auseinandersetzung führt, die so schwierig und so unwägbar wird, wird kein Bundestagswahlkampf zuvor. Immerhin ist bei der SPD der Kanzlerkandidat schon benannt: Olaf Scholz, Bundesminister der Finanzen und Vize-Kanzler in diesem letzten Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Das neue Jahr stellt damit eine Zäsur dar. Nach 16 Jahren endet die Ära Merkel. Die erste Bundeskanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik tritt ab. Bei allen Ungewissheiten, die ein solcher Umbruch mit sich bringt, steht mittlerweile wenigstens ein Termin: Der 26. September ist der Tag der Bundestagswahl, an dem zeitgleich ein neuer Landtag in Mecklenburg-Vorpommern und ein neues Abgeordnetenhaus in Berlin gewählt werden. Danach kommen viele Fragezeichen.
Koalitionswahlkampf? In einer Zeit sich auflösender Grenzen der alten politischen Lager scheint dies extrem unwahrscheinlich. Die Gegner von einst sind heute die Koalitionäre von morgen. Wo sich Union und Grüne zu früheren Tagen mit aller Härte bekämpft haben, wetzen sie im Wahlkampf mittlerweile nicht mehr die Messer. Und wenn, dann eher Florett als Säbel. Mit Leihstimmen – ein Relikt aus vergangener Zeit – darf selbst die FDP nicht mehr rechnen. Die rechte Alternative für Deutschland kann derweil ihr Alleinstellungsmerkmal pflegen: Mit ihr will tatsächlich keine der anderen im Bundestag vertretenen Parteien zusammenarbeiten. Allenfalls in Sachsen-Anhalt, wo im kommenden Juni ebenfalls ein neuer Landtag gewählt wird, können sich Teile der Landes-CDU eine engere Kooperation mit der AfD vorstellen. Auch deswegen ist die schwarz-rot-grüne Kenia-Koalition in Magdeburg in eine schwere Krise geraten. Auslöser war der Streit um eine Erhöhung der Rundfunkgebühren um 86 Cent, was die AfD und Teile der CDU-Fraktion ablehnen und wogegen sie womöglich auch gemeinsam im Landtag abgestimmt hätten. Doch Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zog über Nacht den Gesetzentwurf zum Rundfunkstaatsvertrag zurück, um die Koalition zu retten.
Bevor sich die Parteienlandschaft im Bund sortiert, stehen bereits im Frühjahr wichtige Wahlen in mehreren Bundesländern an. In Baden-Württemberg will Ministerpräsident Winfried Kretschmann, erster Regierungschef in einem Bundesland mit Grünen-Parteibuch, das Mandat für eine dritte Amtszeit. In Rheinland-Pfalz stellt sich Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) zur Wiederwahl. In Thüringen stehen im April vorgezogene Neuwahlen an. Hier will Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) nach dem Chaos nach der Landtagswahl in diesem Frühjahr und einem Kurzzeit-Intermezzo von FDP-Kandidat Thomas Kemmerich als Regierungschef einen neuen Wählerauftrag.
Und dann die Entscheidung im September im Bund. Schwarz-Grün gilt gegenwärtig als wahrscheinlichste Konstellation für eine neue Bundesregierung. Sowohl CSU-Chef Markus Söder als auch die Kandidaten für den CDU-Vorsitz, Armin Laschet und Norbert Röttgen, gelten als offen für ein Regierungsbündnis mit den Grünen im Bund. Lediglich Friedrich Merz machte bei einer ersten Live-Debatte aller drei CDU-Bewerber deutlich, dass er die Grünen, die gegenwärtig in elf von 16 Ländern mitregieren, weiter mit Skepsis betrachtet. Die Grünen wiederum setzen unter anderem darauf, dass
Schwarz-Grün gilt als wahrscheinlichste Konstellation für den Bund vor allem Wählerinnen, die bislang für Merkel votierten, im September ihr Kreuz bei den Grünen machen. Die Entscheidung, ob Annalena Baerbock oder Robert Habeck die Grünen in den Bundestagswahlkampf führen, könnte auch davon abhängen, wer im Januar neuer CDU-Vorsitzender wird. Mögliche Konfliktfelder zwischen Union und
Grünen: Innenpolitik, Flüchtlinge, Landwirtschaft, Energie, Verkehr.
Für Schwarz-Gelb wiederum gibt es gegenwärtig deutlich keine Mehrheit. FDP-Chef Christian Lindner stünde zudem nach seinem Ausstieg 2017 aus Sondierungsgesprächen für eine Jamaika-Koalition im Bund gewaltig unter Druck. Er hätte kaum Verhandlungsmasse und müsste beinahe jeden Koalitionsvertrag akzeptieren, den ihm Union und Grüne im Falle eines erneuten Versuches von Schwarz-Grün-Gelb für eine Jamaika-Koalition vorlegen.
Schwarz-Rot: Eine Wiederauflage der großen Koalition im Bund kann rechnerisch möglich werden, ist aber in allen drei Parteien höchst unbeliebt. 2017 hatte SPDChef
Martin Schulz noch am Wahlabend einen erneuten Gang in eine Groko unter Merkels Führung kategorisch ausgeschlossen, musste seine Partei dann aber nach dem Platzen der Jamaika-Sondierungen im Bund doch in diese ungeliebte Koalition schicken. Die SPD steckt seither in einem Dauertief von deutlich weniger als 20 Prozent im Bund. SPD-Kandidat Olaf Scholz dürfte auf Rot-Grün-Rot unter seiner Führung spekulieren, doch nach gegenwärtigen Umfragen gibt es für eine solche Koalition im Bund keine Mehrheit. Folglich ist derzeit auch Grün-RotRot keine realistische Option, wobei die Grünen der SPD seit Längerem den zweiten Platz in der deutschen Parteienlandschaft abgelaufen haben. Die SPD sieht auf dem Weg in Richtung alter Stärke in den Grünen gegenwärtig den Hauptkonkurrenten, auch wenn die Union der erklärte politische Gegner ist. Mit den Linken dürfte es für SPD wie Grüne vor allem in der Außen-, Sicherheits-und Verteidigungspolitik massive Konflikte geben, denn die Linke würde die Nato am liebsten auflösen und lehnt Auslandseinsätze der Bundeswehr ab.
Das Superwahljahr 2021 wirft seine Schatten voraus. Was niemand will und alle fürchten: einen Corona-Wahlkampf auf leeren Marktplätzen und in leeren Hallen. Aber davor soll ja der Impfstoff schützen. Für die Kandidaten heißt es dann: Geprüft und geimpft für höchste Ämter.