Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Die Hoffnung ist noch immer da
antreten werde, habe ich mich zuerst gefürchtet: Es gab Gerüchte, dass regierungstreue Demonstranten von den Behörden Geld bekämen, um auf die Straße zu gehen und Ben Ali zu unterstützen. Doch einen Tag später, am 14. Januar, floh Ben Ali nach Saudi-Arabien. „Ist er wirklich weg?“fragten wir uns. Die Leute feierten auf der Straße, die Zensur wurde von jetzt auf gleich wie auf Knopfdruck aufgehoben, plötzlich konnten wir im Internet alle möglichen Seiten erreichen. Das war ein großer Moment. Es gab damals Leute, die nach dem 14. Januar zwei Wochen lang kein Auge zugemacht haben.
Heute müssen wir hart dafür arbeiten, dass wir Errungenschaften wie die Freiheit der Medien nicht wieder verlieren. Der Kampf ist ermüdend: gegen Korruption, gegen soziale Ungerechtigkeit, gegen den Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Unser Leben besteht aus Kampf – jeden Tag. Aber wir sind das Land Hannibals, wir können einfach nicht aufgeben. Denn Tunesien ist anders als andere Länder der Region. Wir haben eine andere Geschichte und andere kulturelle Traditionen. Bei uns ist der gemäßigte Islam sehr präsent. Auch gibt es keine Einmischung des Militärs in die Politik. Als Ben Ali aus dem Land floh, gingen die Leute am nächsten Tag wie gewohnt zur Arbeit; es gab keinen Stillstand in der Verwaltung, keine Stromausfälle und keine Unterbrechung der Wasserversorgung. Auch als im vergangenen Jahr unser Präsident Béji Caid Essebsi starb, waren die Leute zwar traurig, aber das Land kam nicht zum Stillstand.
Zehn Jahre sind keine lange Zeit in der Geschichte eines Landes. Manchmal vergehen 50 oder sogar 100 Jahre, bis die Ziele einer Revolution verwirklicht sind. Die Hoffnung ist immer noch da, vor allem, weil es inzwischen eine ganze Generation gibt, die in Freiheit aufgewachsen ist. Das spüre ich sehr deutlich, wenn ich für meine Organisation mit jungen Leuten arbeite: Die werden eine Rückkehr zu den alten Zeiten nicht zulassen.
Protokolliert von Thomas Seibert.