Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Tiere sind kein Ersatz für Lebenspart­ner“

Der Tönnies-Skandal habe das Bewusstsei­n für Tierwohl gestärkt, so der Tierschutz­bund-Chef. Er kritisiert die Landwirtsc­haftsminis­terin.

-

Herr Schröder, ist die Sorge um das Wohl der Tiere im Corona-Jahr in den Hintergrun­d gerückt?

SCHRÖDER Das glaube ich so nicht. Corona hat viele Tierschutz­probleme auf den Tisch gelegt, sodass keiner mehr sagen kann, er hätte es nicht gewusst.

Gab es als Nebeneffek­t auch positive Auswirkung­en – zum Beispiel die durch den Tönnies-Skandal ausgelöste­n Diskussion­en über Schlachthö­fe?

SCHRÖDER Das meinte ich. Allerdings ist das keine Tönnies-Frage, sondern eine Systemfrag­e. Denn es gibt ja auch andere Schlachthö­fe, in denen wir die gleichen Herausford­erungen haben. Tönnies ist nur einer der größten, aber die Probleme sind überall vorhanden.

Hätte es in dem Zusammenha­ng auch neue Regelungen für den Tierschutz geben müssen?

SCHRÖDER Der Tierschutz liegt ja in der Zuständigk­eit der Landwirtsc­haftsminis­terin. Ich sage mal, wir haben in diesem Jahr in Deutschlan­d keine Bundes-Tierschutz­ministerin gehabt. Frau Klöckner hat Tierschutz­fragen ignoriert, hat das abgeschobe­n in den Arbeitssch­utzbereich. Die Zustände im Schlachtho­f, die Akkordschl­achtung, die mangelhaft­e Überwachun­g der Tiere: Alles kein Grund für die Ministerin, Ordnungsre­cht anzupacken.

Was fordern Sie?

SCHRÖDER Es muss endlich deutlich werden, dass wir ein agrarindus­trielles System aufgebaut haben, das vor die Wand gefahren ist. Sobald ein Teil der Kette wegbricht, bricht das ganze System zusammen. Wir haben den Schweinest­au in den Ställen, was Tierschutz­probleme produziert, und wir haben diese Probleme in der Schlachtun­g und Verarbeitu­ng. Wir müssen weg von immer größer, immer intensiver, hin zu mehr Regionalit­ät, die mit Tierschutz verbunden werden muss.

Radikale Tierschütz­er fordern, auf Fleisch zu verzichten. Was meinen Sie dazu?

SCHRÖDER Es gehört zur ehrlichen Debatte, zu erkennen, dass wir niemals über mehr Tierschutz in den Ställen reden können, wenn wir den Fleischkon­sum und die -produktion hochhalten. Weil das System dem Globalisie­rungsdruck ausgesetzt ist, dem deutsche Landwirte, auch europäisch­e, nie standhalte­n können. Aber mit diesem Irrglauben, die Welt von Europa aus ernähren zu wollen, wird immer weiter versucht, immer mehr aus dem Tier herauszuho­len.

Wie halten Sie es persönlich mit dem Fleischkon­sum?

SCHRÖDER Ich verzichte, weil ich meine, man kann sich auch ohne Fleisch ganz wunderbar ernähren. Ich bin aber kein Kühlschran­k-Diktator, jeder muss das für sich entscheide­n. Jeder muss wissen, wenn er Fleisch isst, welche Folgen das haben kann.

Würden höhere Preise an der Situation etwas ändern?

SCHRÖDER Die Debatte, die auch Frau Klöckner dazu geführt hat, finde ich absolut schräg. Höhere Preise allein erhöhen nur die Wertschöpf­ung des Handels. Mit dem Mehrpreis müssen auch Tierschutz­verbesseru­ngen verbunden werden, sonst ist nichts gewonnen.

Gehört dazu eine Bewusstsei­nsveränder­ung in der Bevölkerun­g?

SCHRÖDER Es gibt so einige Hebel, die wir umschalten müssen. Höhere Preise würden sicher einen geringeren Konsum auslösen, aber das heißt noch nicht, dass es für die Tiere besser wird. Wir brauchen ein veränderte­s Ernährungs­verhalten der Menschen genauso wie strengere Vorgaben an Zucht, Tierhaltun­g, Transport und Schlachtun­g.

Schon bei der Tierliebe gibt es aber eine große Diskrepanz: Einerseits werden Hühner im Garten gehalten, auf der anderen Seite wird Massentier­haltung toleriert. SCHRÖDER Da hat die Gesellscha­ft sich bewegt in den vergangene­n zehn, 20 Jahren. Natürlich kann jeder mit seinem privaten Verhalten dazu beitragen. Ich sage es mal zugespitzt: Wenn ein Hundewelpe durchaus 2000 Euro kosten darf, aber ein Ferkel gerade mal 40 Euro kostet, dann haben wir eine Diskrepanz, ganz klar. Da passt etwas nicht zusammen. Aber – und das ist die

Grundkriti­k an Frau Klöckner – nur der Verbrauche­r alleine kann nicht mangelndes Ordnungsre­cht korrigiere­n. Es braucht erst einmal einen vernünftig­en politische­n Rahmen, dann kann der Verbrauche­r auch mitwirken, etwas zu verändern. Da tut Frau Klöckner nichts.

Die Tierheime melden weniger ausgesetzt­e Hunde und Katzen. Ist das ein Corona-Effekt?

SCHRÖDER Möglicherw­eise. Das mag daran liegen, dass Familien jetzt mehr Ruhe haben in diesen Tagen, sich um die Tiere zu kümmern. Wir merken auch, dass die Vermittlun­gen in den Tierheimen gut gelaufen sind. Leider verbleiben die Tierheime in finanziell­er Not, und die Angst ist, dass sich die Probleme nur ins nächste Jahr verschiebe­n.

Werden Tiere gerade wichtiger, weil sie menschlich­e Begegnunge­n ersetzen müssen?

SCHRÖDER Tiere sind immer schon wichtig gewesen für Menschen, besonders für die, die alleine sind. Sie helfen aus der Isolation, sie bringen Bewegung. Das ist jetzt besonders wichtig. Wir dürfen aber nicht die Vermenschl­ichung der Tiere anstreben, sie sind kein Ersatz für Lebenspart­ner.

Was geschieht mit den Tieren nach der Pandemie?

SCHRÖDER Bei Hunden und Katzen befürchte ich nicht die große Abgabewell­e, eher bei Kleintiere­n. Die wurden oft angeschaff­t, um die Kinder während der Corona-Zeit zu beschäftig­en. Das werden wir spüren, wenn der Alltag wieder beginnt. Ich hoffe aber, dass wir davor bewahrt bleiben. Schlimmer finde ich, dass die hohe Nachfrage nach Tieren auch zu einem Boom beim illegalen Welpenhand­el geführt hat. Diese Tiere, die oft aus tierschutz­widrigen Zuchtfabri­ken in Osteuropa kommen, sind meist krank, was in der Folge hohe Tierarztko­sten mit sich bringt. Das kann auch dazu führen, dass viele Besitzer sie wieder loswerden wollen.

Wie kann man diesen illegalen, internatio­nalen Handel besser bekämpfen?

SCHRÖDER Leider hat das europäisch­e Parlament das Thema Haustiere nicht auf der Tagesordnu­ng. Das ist ein politische­r Mangel im Moment. Entscheide­nd ist, dass wir die Beschaffun­gskanäle schließen, also Ebay, alle Kleintiera­nzeigen, in denen anonym ein Tier bestellt werden kann. Das muss alles verboten werden. Ein Lebendtier­handel mit

Blick auf Profit und Geschäft, der darf übers Internet nicht stattfinde­n. Da hätten wir schon mal eine Quelle des Missbrauch­s geschlosse­n.

In Zirkussen dürfen Wildtiere bald nicht mehr gehalten werden. Würden Sie das auch auf Zoos übertragen?

SCHRÖDER Wir haben Wildtierve­rbote für Zirkusse immer gefordert. Frau Klöckner hat das zwar groß angekündig­t, aber das war eine Ankündigun­g ohne Folgen. Sie hat nur ein Nachstellv­erbot erlassen. Das heißt, ein Zirkus darf keine neuen Tiere anschaffen, und die Großkatzen sind ausgeklamm­ert. Die sind aber das größte Problem.

Lehnen Sie Zoos grundsätzl­ich ab?

SCHRÖDER Zoos haben ihre Berechtigu­ng, aber die Tiere müssen artgerecht untergebra­cht werden. Und das schließt eben bestimmte Arten wie Menschenaf­fen und Gorillas aus. Artenschut­z ist für die Zoos oft nur eine Krücke, um Schautiere zu halten.

Der Tierschutz­bund engagiert sich vielfach. Dazu gehört auch die Tönnies-Forschung, eine Gesellscha­ft, in der der Tierschutz in der Nutztierha­ltung gefördert werden soll – bezahlt vom TönniesKon­zern. Was hat es mit diesem Engagement auf sich?

SCHRÖDER Dabei geht es um Fragen des Tierschutz­es, in diesem Fall finanziert durch Tönnies. Da versuchen wir daran mitzuwirke­n, dass das, was erforscht wird, auch dem Tierschutz dient, und nicht einem Nutzen, der den Tieren schadet. Das Engagement ist deshalb berechtigt, auch wenn die Kritik völlig klar ist.

Überdenken Sie Ihr Engagement wegen des Skandals?

SCHRÖDER Wir überdenken jedes Engagement jeden Tag. Auch bei Tönnies haben wir uns immer wieder gefragt: Lohnt es sich? Aber wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir auch mit denen ins Gespräch kommen, die die Tiere nutzen. Die Periode für die wissenscha­ftliche Beratung durch eine Mitarbeite­rin des Deutschen Tierschutz­bundes im Kuratorium der Tönnies-Forschung läuft im Frühjahr 2021 aus, wir werden das auch nicht fortsetzen.

Eine persönlich­e Frage: Was ist ihr Lieblingst­ier?

SCHRÖDER Mein Hund Bärli. Ein Pudelmisch­ling aus dem Tierheim. Dieser Hund hat mich bei einem Besuch emotional gepackt.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN JÖRG ISRINGHAUS UND HORST THOREN.

 ?? FOTO: DEUTSCHER TIERSCHUTZ­BUND ?? Der Tierschutz­bund-Präsident Thomas Schröder mit seinem Pudelmisch­ling Bärli.
FOTO: DEUTSCHER TIERSCHUTZ­BUND Der Tierschutz­bund-Präsident Thomas Schröder mit seinem Pudelmisch­ling Bärli.

Newspapers in German

Newspapers from Germany