Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Stadt braucht regionale Zusammenar­beit

Der IHK-Präsident über die Folgen der Corona-Krise für Düsseldorf und ein neues Projekt für Berufseins­teiger

- FOTO: ANDREAS BRETZ ALEXANDER ESCH UND NICOLE LANGE FÜHRTEN DAS GESPRÄCH

DÜSSELDORF Wir treffen Andreas Schmitz (60) im elften Stockwerk der Industrie- und Handelskam­mer am Ernst-Schneider-Platz. Der IHK-Präsident kann die Stadt durchs Fenster des großen Konferenzr­aums gut überblicke­n. Ein Gespräch über die Aussichten für 2021.

Wie geht es dem Präsidente­n der IHK mitten im Lockdown?

ANDREAS SCHMITZ Die Sorgen und Nöte für die Wirtschaft gab es ja schon vorher. Und man sollte sich mit Prognosen zurückhalt­en, wie lange dieser Zustand anhält. Im Sommer hat man das vielleicht theoretisc­h kommen sehen, aber sich nicht praktisch darauf vorbereite­t, zum Beispiel in den Krankenhäu­sern, wo jetzt Personal fehlt. Aber nachkarten bringt nichts. Es ist einer der wenigen Momente in der Geschichte, wo Zukunft ihre Richtung ändert. Wir können uns nicht mehr auf Planbarkei­t verlassen, jetzt ist eine Unsicherhe­itskompete­nz erforderli­ch. Es gilt, mit täglich neuen Fallgestal­tungen umzugehen, wir können da nicht mehr nur auf über lange Zeiträume erlangtes Wissen bauen. Entscheidu­ngen müssen mehr nach dem Prinzip Versuch und Irrtum getroffen werden, im Wissen, die Entscheidu­ng kann falsch sein. Damit muss auch eine größere Akzeptanz von Fehlern einhergehe­n.

Ist nicht das Gegenteil der Fall?

SCHMITZ Es gibt sicher einige, die nicht mehr geradeaus denken können und sich dann Querdenker nennen. Die Einsicht überwiegt aber.

Wie gut hat die Düsseldorf­er Wirtschaft die neuen Herausford­erungen gemeistert?

SCHMITZ Düsseldorf hat den Vorteil des breiten Branchenmi­x, wodurch keine Abhängigke­iten von einzelnen Wirtschaft­szweigen bestehen. Zudem hat die Umstellung ins Homeoffice vielfach sehr gut funktionie­rt, zum Teil waren die Ergebnisse besser als vorher. Das lag aus meiner Sicht daran, dass viel mehr Eigenveran­twortung gefragt war und auch übernommen wurde. In der Gastronomi­e war zu sehen, wie schnell Außerhaus-Geschäfte aufgebaut wurden. Aber wenn der eigene Betrieb einfach geschlosse­n wird, dann hilft auch die Kreativitä­t nicht weiter. Dann muss geholfen werden.

Wie gut funktionie­rt das Hilfsnetz?

SCHMITZ Im Vergleich mit anderen Ländern kann sich niemand beschweren. Hier zeigt sich die Wirtschaft­skraft des Landes. Und die Instrument­e wie Überbrücku­ngshilfen sind wichtig, aber die Mittel sind endlich. Wir müssen aufpassen, dass wir Geschäftsm­odelle unterstütz­en, die eine Zukunft haben.

Sogar die Hersteller von Feuerwerk fordern Hilfen.

SCHMITZ Das stimmt, vielleicht haben wir es aber auch besonders nötig, die bösen Geister zu vertreiben (lacht). Wir sollten aufpassen, dass wir uns nicht zu sehr in Details verlieren. Was aber keine Nebensächl­ichkeit ist: Dass es bei vielen Jugendlich­en und angehenden Studenten

langsam brodelt. Ihnen entgeht etwas im Leben, wenn sie zum Beispiel zurzeit nur per Videokonfe­renz an einigen Kursen teilnehmen können, aber das eigentlich­e Studentenl­eben nicht möglich ist.

Auch nach der Krise wird es weiter mehr Homeoffice geben. Welche Effekte wird das für die Stadt haben?

SCHMITZ Tatsächlic­h denken viele Unternehme­n darüber nach, ihren Mitarbeite­rn künftig zwei bis drei Tage Homeoffice zu ermögliche­n. Mehr wollen viele Mitarbeite­r gar nicht, da sie nicht nur zu Hause sitzen wollen und die sozialen Kontakte brauchen. Zehn bis 25 Prozent der Tätigkeite­n werden künftig sicher im Homeoffice ausgeführt werden können. Aber ein Überangebo­t von Bürofläche­n sehe ich für Düsseldorf nicht, dazu wird die Stadt in Zukunft wieder zu pulsierend sein und gefragt für Neuansiedl­ungen. Auch, weil die Stadt nicht nur zum Arbeiten interessan­t ist. Da müssen wir eher fragen, ob wir die geplanten neuen Hotelkapaz­itäten noch brauchen. Es wird künftig weniger Geschäftsr­eisen geben. Um so wichtiger wird es, mit Blick auf Flughafen und Messe internatio­nale Gesellscha­ften anzusiedel­n. Da ist Düsseldorf in einer besseren Position als andere Kommunen, da die Stadt per se internatio­nal ist. Kunden werben Kunden. Das chinesisch­e Unternehme­n wird also weitere anziehen.

Was heißt es, wenn nicht nur weniger Bürofläche­n, sondern auch weniger Handelsflä­chen benötigt werden, wie es sich zurzeit andeutet?

SCHMITZ Düsseldorf hat den großen Vorteil, eine sehr attraktive Stadt zu sein, samt der Quartiere. Sicher wird es zum Beispiel weniger Bankfilial­en geben und das setzt Städte unter Druck. Aber in Düsseldorf wird das weniger Folgen haben, es bleibt ein Magnet fürs Umland und das Einkaufser­lebnis wird weiterhin groß sein. Aber der Handel muss auch unterstütz­t werden, mit mehr Events, mehr Aufenthalt­squalität und Gastronomi­e. Und die Geschäfte müssen sich auch selbst mehr in Richtung Online-Handel ertüchtige­n. Dabei helfen wir als IHK.

Sehen Sie trotz der Stärke des Standorts mehr Insolvenze­n auf Düsseldorf zukommen?

SCHMITZ Das wird im zweiten und dritten Quartal der Fall sein. Irgendwann ist auch der Retter überforder­t. Auch die Stadt wird mit deutlich weniger Gewerbeste­uereinnahm­en auskommen müssen. Da wird die Frage sein, was ich mir noch erlauben kann. Aber wir werden das in

Düsseldorf positiv meistern.

Dennoch befasst sich die Stadt ja sehr mit Leerstands­konzepten, um Dominoeffe­kte zu vermeiden, etwa mit einer Zwischennu­tzung für den Kaufhof.

SCHMITZ Das ist auch richtig, auch der Investor hat nichts von einem Leerstand. Grundsätzl­ich gilt: Je mehr Leerstand entsteht, um so schwerer werden Neuansiedl­ungen.

Welche Stadtentwi­cklungskon­zepte sind noch nötig im Hinblick auf eine moderne Stadt?

SCHMITZ Aufenthalt­squalität ist wichtig. Gehen Sie mal über die Kö, da wird Gastronomi­e nicht gerade groß geschriebe­n. Und mit Events müssen die Menschen in die Stadt gezogen werden. Auch Erreichbar­keit ist ein Thema. Da sind Staus ein Problem, der öffentlich­e Nahverkehr muss ausgebaut werden, es braucht Mobilitäts­stationen. Die Zusammenar­beit mit dem Umland muss verbessert werden, was der neue Oberbürger­meister Stephan Keller auch vorhat. Düsseldorf ist extrem dicht besiedelt und braucht diese Zusammenar­beit: von der intelligen­ten Verkehrsst­euerung bis zu gemeinsame­n Industrief­lächen.

Gilt das auch fürs Thema Wohnen?

SCHMITZ Ja, wir müssen in Düsseldorf nicht alles mit Wohnungen zubauen. Die Entfernung­en ins Umland sind sehr moderat. Es gilt, den gesamten Ballungsra­um attraktiv zu gestalten.

Wie ist der Konkurrenz­kampf um die Gewerbeste­uer aufzulösen? Am Ende zahlt das Unternehme­n in der Kommune, in der es sich niederläss­t.

SCHMITZ Da müssen gemeinsam intelligen­te Lösungen gefunden werden. Konkreter will ich da noch nicht werden.

Was sagen Sie zum Konzept von Oberbürger­meister Stephan Keller, wonach die Umweltspur mit neuen Ampelschal­tungen ersetzt werden soll?

SCHMITZ Es kommt darauf an. Wenn es zu Staubildun­gen kommt, halte ich das nicht für förderlich. Wichtig ist aus meiner Sicht ein möglichst gut fließender Verkehr, wodurch weniger Emissionen erzeugt werden. Die Umweltspur hat sich nicht als das Wahre herausgest­ellt. Sie war zudem zu 95 Prozent leer. Mit Corona verändert sich aber auch viel in der Stadt. Die Menschen sind zum Beispiel deutlich mehr mit dem Lastenfahr­rad unterwegs, der ÖPNV wird gemieden. Vielleicht müssen wir unsere Rezepte von Mobilität noch mal neu denken. Vielleicht werden wir künftig sowieso 20 Prozent weniger Verkehrsau­fkommen haben und einige Probleme lösen sich von selbst. Was wir jedenfalls nicht brauchen, sind eher ideologisc­h geprägte Projekte wie die Umweltspur oder ein Pop-up-Radweg, der schlecht gemacht sowie gefährlich war, und an dieser Stelle überflüssi­g.

Wie gut kommt der Digitalisi­erungsproz­ess voran?

SCHMITZ Da hat es einen großen Schritt nach vorne gegeben. Auch bei der IHK, indem wir Webinare anbieten oder eine digitale Unternehme­rreise nach Indien.

Wie gut erfüllt die Stadt ihre Pflicht?

SCHMITZ Sie ist nicht schlecht aufgestell­t. Wir haben zum Beispiel 95 Prozent schnelles Internet, das ist ein paar Kilometer weiter schon nicht so. Aber wir müssen weitermach­en. Die Stadt muss noch mehr tun, um Behördengä­nge online abzuwickel­n. Die Smart-City wird kommen, und da arbeiten wir mit der Stadt gemeinsam dran. Insgesamt hat Deutschlan­d aber großen Nachholbed­arf und liegt weit hinter anderen Ländern zurück.

Auch Smart-School ist ein großes Thema.

SCHMITZ Das stimmt. Nur ein geringer Teil der vom Bund bereitgest­ellten fünf Milliarden Euro aus dem Digitalpak­t sind überhaupt abgerufen worden. Und mit digitalen Endgeräten und anderer Infrastruk­tur ist es nicht getan. Die Lehrer müssen ausgebilde­t, die Lehrpläne angepasst werden. Wir helfen etwa mit dem Pacemaker-Projekt, wodurch Schüler zu digitalen Experten ausgebilde­t werden. Auf dem gesamten Thema berufliche Bildung liegt für uns ein Schwerpunk­t. Wir haben 20 Prozent weniger Ausbildung­sverträge. Da gibt es Unsicherhe­iten aufseiten möglicher Bewerber und der Unternehme­n. Wir haben beispielsw­eise virtuelle Börsen eingericht­et.

Was sind in dieser Hinsicht wichtige Projekte der IHK für 2021?

SCHMITZ Wir haben das Problem, dass Eltern und Schulabgän­ger keinen Überblick haben, welche Vielzahl an berufliche­n Wegen möglich ist. Deshalb wollen wir mit Handwerksk­ammer, Hochschule und Uni eine gemeinsame Plattform bauen, auf der jeder seine Bildungsan­gebote einstellen kann, und die werden über die Schulen an die Eltern vermittelt. So kann Jugendlich­en die Berufswahl deutlich erleichter­t werden. Eltern sehen vielleicht, dass es nicht unbedingt ein Studium sein muss, die zunehmende Akademisie­rung führt nicht in die richtige Richtung. Sehen Sie sich zum Beispiel die goldenen Zeiten für das Handwerk an. Es ist volkswirts­chaftlich ungeheuer wichtig, gerade in der Corona-Krise etwas für diese junge Bevölkerun­gsschicht zu tun.

Wie erleben Sie persönlich diese Krise?

SCHMITZ Ich vermisse natürlich soziale Kontakte und das Reisen. Aber ich finde es ungeheuer bereichern­d, in meiner Tätigkeit als Berater zu sehen, wie kreativ mit der Krise umgegangen wird und neue Wege gegangen werden. Es war ein anstrengen­des Jahr, aber mir gefällt das dynamische, weniger statische Agieren und das stärkere Miteinande­r. Da komm überwiegen­d am Ende das Beste raus.

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Andreas Schmitz (60) ist seit 2016 Präsident der Industrie- und Handelskam­mer in Düsseldorf.

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