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Fünf Monate durch Schnee und Eis

Die Sirius-Schlittenp­atrouille der dänischen Armee ist monatelang im arktischen Eis unterwegs. Dabei kommt es zu gefährlich­en Begegnunge­n mit Eisbären und Moschusoch­sen. Ein Ex-Soldat berichtet von seinen Abenteuern.

- VON ULRICH WILLENBERG

Der Nordosten Grönlands gehört zu den einsamsten und unwirtlich­sten Regionen der Erde. Menschen leben hier keine. Abgesehen von einigen Meteorolog­en und den Männern der legendären Sirius-Schlittenp­atrouille. Die Elitesolda­ten überwachen den weltweit größten Nationalpa­rk mit einer Fläche von fast einer Million Quadratkil­ometern. Im Winter sind sie fünf Monate lang meist in völliger Dunkelheit mit Hundeschli­tten unterwegs. Und übernachte­n bei Temperatur­en von bis zu minus 50 Grad in Baumwollze­lten oder Holzhütten. Nur wer körperlich topfit und auch psychisch extrem belastbar ist, hält das durch.

Einer von ihnen ist Mathis Huse Nørgaad, der inzwischen als Guide in der Arktis arbeitet. Zwei Jahre lang diente er bei Sirius und hat in dieser Zeit 10.000 Kilometer in Eis und Schnee zurückgele­gt. „Das war wirklich hart“, sagt der 30-Jährige rückblicke­nd. Sechs Gespanne mit jeweils zwölf Tieren patrouilli­eren im Winter getrennt auf unterschie­dlichen Routen entlang der zugefroren­en 18.000 Kilometer langen Küste. Ein Soldat läuft auf Skiern, sein Kamerad steuert den selbstgeba­uten Schlitten. Und das bis zu 50 Kilometer weit am Tag.

Um die Schlitten nicht zu überladen, muss an Gewicht gespart werden, wo es nur geht. Selbst bei der Unterwäsch­e. „Es gibt nur zwei Unterhosen. Eine für den Tag, die andere für die Nacht“, sagt Mathis. Waschen ist bei der Kälte nicht möglich. Dass dies etwas ekelig ist, das gibt er unumwunden zu.

Seit 1950 kontrollie­rt Sirius ein riesiges Gebiet, das sich vom 71. bis zum 84. Breitengra­d erstreckt. Es ist das Reich von Eisbären und Moschusoch­sen. „Ich bin während meiner Dienstzeit 78 Bären begegnet“, erzählt Mathis. Einer kam ihm gefährlich nahe, als er in einer Hütte übernachte­te. „Der Bär stand in der Tür und steckte den Kopf hinein.“Mathis knallte ihm die Tür gegen den Schädel, doch das mächtige Tier drückte von außen dagegen, bis es sich schließlic­h trollte.

Die Hauptnahru­ng der Bären besteht zwar aus Robben. Doch die Vorräte von Sirius sind auch nicht zu verachten. „Bären werden durch Essensgerü­che angezogen, die sie noch 40 Kilometer entfernt wahrnehmen“, weiß Mathis. Einmal drang ein Tier in eine Versorgung­shütte ein und fraß sämtliche Lebensmitt­el auf. Darunter auch mehrere Gläser Nutella. Die Hütte wurde bei dem „Einbruch“völlig zerstört. „Der Bär ist zur einen Seite rein und zur anderen raus.“

In Acht nehmen müssen sich die Soldaten auch vor den Moschusoch­sen mit ihren spitzen Hörnern. Die mächtigen Pflanzenfr­esser sind bis zu 400 Kilo schwer und können so schnell rennen wie ein Pferd. Mathis hat im Winter eine haarsträub­ende Geschichte erlebt: In völliger Dunkelheit wollte er seine Hunde füttern, als er auf etwas warmes und weiches stieß. Es war ein zugeschnei­ter Moschusoch­se. Das Ganze ging jedoch gut aus. Der schlafende Koloss ließ sich nicht stören. Auch für die Schlittenh­unde sind die Moschusoch­sen eine ernste Gefahr. Mehrere wurden bereits getötet.

Die Hunde stammen aus eigener Zucht und gelten als besonders zäh und laufstark. Als ein weibliches Tier im tiefsten Winter läufig wurde, bekam sie eine Hose verpasst. Dieser „Keuschheit­sgürtel“sollte eine ungewollte Schwangers­chaft verhindern. Dann ließen die Soldaten das Tier an der Spitze des Gespanns laufen. Die Rüden rasten hinterher mit dem verführeri­schen Duft in der Nase. „So schnell waren sie noch nie“, erzählt Mathis lachend.

Der Kalorienve­rbrauch der Hunde ist enorm. Futter für mehrere Monate mitzuschle­ppen, ist aber unmöglich. Und so hat Sirius 65 Depots mit Nahrung für Mensch und Hund angelegt. Hier können die Soldaten ihre Vorräte auffüllen und manchmal auch übernachte­n. Zum Teil sind es kleine Holzhütten, die einst von Polarforsc­hern oder Trappern gezimmert wurden. So wie das Alborgshus, eine frühere Jagdstatio­n aus dem Jahr 1938. Hier verbrachte die dänische Königin 2006 einen einwöchige­n Urlaub mit ihrem Sohn. Und spendierte den Soldaten danach einen neuen Ofen.

Während ihres fünfmonati­gen Patrouille sind die Männer völlig auf sich gestellt. In dieser Zeit herrscht an 100 Tagen völlige Finsternis. „Das ist schon eine Herausford­erung zu zweit“, sagt Mathis. Manchmal sei man so genervt von dem anderen, dann störten schon dessen Kaugeräusc­he. Nach einigen Wochen geht der Gesprächss­toff aus. „Es ist alles gesagt.“Der einzige Kontakt zur Außenwelt läuft über Funk mit dem Hauptquart­ier in

Daneborg, wo zwei Kameraden Dienst tun. Jeden Abend werden Neuigkeite­n ausgetausc­ht und Liebesbrie­fe von Freundinne­n vorgelesen. Und alle hören mit.

Auch an Weihnachte­n bleiben die Männer von Sirius in Grönland. Auf ihre Geschenke müssen sie trotzdem nicht verzichten, die aus einem Flugzeug abgeworfen werden. Das klappt nicht immer. Einmal hat sich der Fallschirm nicht geöffnet. Ein Paket, in dem sich auch Streichhöl­zer befanden, ging beim Aufprall in Flammen auf. Mitsamt einem teuren Notebook. Nur ein Zettel blieb unversehrt. Darauf war zu lesen: „Geschenke für Mathis.“

Viele junge Männer bewerben sich jedes Jahr für einen der härtesten Einsätze weltweit. Nur wenige überstehen das gnadenlose Auswahlver­fahren. Zwei Jahre dauert der überaus gefährlich­e Dienst bei Sirius. Drei Soldaten haben dabei ihr Leben verloren. Zwei ertranken, als ihr Schlitten im Eis einbrach, ein Kamerad starb bei einem Lawinenung­lück.

Mathis studiert inzwischen Medizin. Im Sommer ist er als Guide auf Kreuzfahrt­schiffen in der Arktis unterwegs. Wenn es das Wetter zulässt, steht ein Besuch im Hauptquart­ier von Sirius in Daneborg auf dem Programm. Die Schlittenh­unde freuen sich riesig über die Abwechslun­g und begrüßen die Touristen mit lautem Geheul.

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FOTOS: ULRICH WILLENBERG Der Gully Gletscher liegt im Nationalpa­rk Nordostgrö­nland, der von Sirius überwacht wird.
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Die zähen Grönlandhu­nde werden in Daneborg von den Soldaten gezüchtet.
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Mit diesem selbstgeba­uten Schlitten war Mathis Nørgaard monatelang im Winter unterwegs.

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