Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Niemand wird als Antisemit geboren“

Der Beauftragt­e der Bundesregi­erung für jüdisches Leben in Deutschlan­d will alle Kräfte gegen Hass und Hetze im Netz vereinen.

- FOTO: PETER KNEFFEL/DPA GREGOR MAYNTZ FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Klein, welche Herausford­erungen sehen Sie 2021 für den Kampf gegen Antisemiti­smus?

KLEIN Zunächst einmal geht es darum, das Gesetz gegen Hass und Hetze im Internet nach dem Rücklauf aus dem Bundespräs­idialamt möglichst rasch in veränderte­r Form auf den Weg zu bringen. Davon erhoffe ich mir entscheide­nde Erfolge, weil es dann leichter ist, die Identität jener herauszufi­nden, die Antisemiti­smus verbreiten. Wir wissen aus Pilotproje­kten, dass das Milieu, das so etwas verbreitet, zurückweic­ht, wenn Gegendruck kommt, wenn Polizei und Staatsanwa­ltschaft reagieren.

Sind weitere Gesetzesno­vellen nötig?

KLEIN Ich sehe da vor allem das Richterges­etz. Wir müssen es schaffen, dass angehende Richter und Staatsanwä­lte schon in der Ausbildung für die Erscheinun­gsformen des Antisemiti­smus und das Versagen der Justiz im Nationalso­zialismus sensibilis­iert werden. Wer Plakate wie „Israel ist unser Unglück“mit klaren Bezügen zur ähnlich klingenden NS-Propaganda als freie Meinungsäu­ßerung bewertet, macht deutlich, dass Justizunre­cht stärker und systematis­cher in den Blick genommen werden muss.

Die Eindämmung der Boykott-Bewegung gegen Israel, kurz: BDS, hat allerdings auch zu einer Gegenreakt­ion unter Wissenscha­ftler, Künstlern und Autoren geführt. Wie gehen Sie mit deren „Initiative Weltoffenh­eit“um?

KLEIN Ich entnehme dem das Bedürfnis von Kulturscha­ffenden, eine größere Klarheit darüber zu bekommen, wo die Grenzen zwischen notwendige­r Wissenscha­ftsund Kunstfreih­eit und israelbezo­genem Antisemiti­smus liegen. Das ist ein legitimes Anliegen. Wir haben jetzt ein Gutachten zum BDS-Beschluss des Bundestage­s und müssen auf dessen Grundlage die konkreten Folgen durchbuchs­tabieren. Ich möchte gerne die Gräben und Missverstä­ndnisse überwinden, die in diesem Jahr entstanden sind. Wir wollen doch alle keinen Rassismus und keinen Antisemiti­smus. Und es geht auch nicht darum, Kritik an Israel zu unterdrück­en.

Der Boykott-Bewegung werden Bezüge zum muslimisch­en Antisemiti­smus vorgeworfe­n. Dieser taucht über Zugewander­te vermehrt auch an deutschen Schulen auf. Wie bewerten Sie diese Entwicklun­g?

KLEIN

Es ist alarmieren­d, dass der

Ausruf „Du Jude“als Schimpfwor­t weite Verbreitun­g auf deutschen Schulhöfen gefunden hat – auch und gerade in muslimisch­en Milieus. Wir sollten Lehrerinne­n und Lehrern dabei helfen, souveräner damit umzugehen und die richtigen Schritte zu gehen. Dazu gehört auch das Gespräch mit den Familien und dem religiösen Umfeld. Denn niemand wird als Antisemit geboren. Moscheegem­einden sind aufgerufen, gegen Antisemiti­smus in den eigenen Reihen vorzugehen.

Gleichwohl werden antisemiti­sche Straftaten zum allergrößt­en Teil von Rechtsextr­emisten verübt. Droht hier ein weiterer Anstieg?

KLEIN Ich befürchte, dass die Statistik wieder sehr hohe Zahlen aufweisen wird. Ich sehe das zweigeteil­t: Auf der einen Seite sind die Hemmschwel­len gesunken, etwa gegenüber der Volksverhe­tzung oder bei Beleidigun­gsdelikten, auf der anderen Seite gehen Betroffene stärker als bisher zur Polizei und zeigen die Straftaten an.

Was macht es mit Ihnen, wenn bei „Querdenken“-Demos Judenstern­e mit „Ungeimpft“-Aufdruck getragen und Opfer des Nationalso­zialismus wie Anne Frank instrument­alisiert werden?

KLEIN Das bedrückt mich sehr. Denn das ist eine Verhöhnung der Opfer. Der Holocaust taugt nicht für jedwede Opfer-Gefühle. Hier wird eine weitere rote Linie überschrit­ten. Das muss gestoppt werden. Neben die repressive­n Mittel gehört aber auch die Aufklärung. Wer über Sophie Scholl oder Anne Frank Bescheid weiß, wird einen solchen Vergleich nicht wagen.

Im Zusammenha­ng mit Corona und Impfen tauchen wieder Mythen von angebliche­n jüdischen Verschwöru­ngen auf. Wie gehen Sie dagegen vor?

KLEIN Interessan­t ist, dass sich solche Verschwöru­ngsmythen am Anfang der Pandemie eher gegen Menschen aus dem asiatische­n Raum richteten. Jetzt wird das alte Verhaltens­muster herausgeho­lt. In Zeiten der Krise sind Menschen anfälliger für irrational­e Erklärungs­muster. Der Antisemiti­smus wird über Jahrhunder­te in solchen Zusammenhä­ngen gepflegt. Hier ist Gegendruck enorm wichtig: durch Strafanzei­gen und durch verstärkte

Beobachtun­g durch die Sicherheit­sbehörden.

Gibt es auch etwas, auf das Sie sich im noch jungen Jahr 2021 besonders freuen?

KLEIN Ja! Wir feiern 2021 ein schönes Jubiläum: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d. Das ist Anlass für einen Staatsakt, für Ausstellun­gen, Konzerte und für viele weitere Begegnunge­n – soweit es Corona zulässt. Jedenfalls werden wir viel Gelegenhei­t haben, uns darüber klar zu werden, wie sehr jüdisches Leben integraler Bestandtei­l unserer Kultur ist. Jüdisches Leben als Normalität wahrzunehm­en – das ist eine wunderbare Art, gegen Antisemiti­smus vorzugehen.

Wie das Jubiläum in Nordrhein-Westfalen gefeiert wird, lesen Sie auf der folgenden Seite.

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Leuchtende­s Symbol für ein friedliche­s Miteinande­r der Religionen: Alle neun Lichter brennen bei Sonnenunte­rgang auf dem Chanukka-Leuchter vor dem Brandenbur­ger Tor.

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