Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Im Einsatz für die Corona-Forschung
Nicola Giesen gehörte zu den ersten Corona-Kranken. Danach stellte sie sich für viele Studien zur Verfügung.
NEUSS Alle reden derzeit vom Impfen, Nicola Giesen weiß: „Stand jetzt wäre ich bei den Aller-, Allerletzten.“Denn die 55-jährige gehörte zu den ersten Neussern, bei denen im März eine Infektion mit dem Coronavirus nachgewiesen werden konnte – ein „Mitbringsel“aus dem Skiurlaub im Wintersportort Ischgl in Tirol. Und sie hat noch immer eine hohe Zahl Antikörper im Blut. Das wurde erst kürzlich wieder getestet.
Denn die Infektion war zwar schnell auskuriert, das Virus aber ließ die Neusserin nicht mehr los. Sie stellte sich – als SARS-CoV-2 noch eine große Unbekannte war – für Studien der Universität Münster zur Verfügung und führte dafür über Wochen ein Corona-Tagebuch. Giesen war auch zur Stelle, als die Uni-Klinik Düsseldorf „Positiv-Getestete“mit ihren Antikörpern als mögliche Blutplasmaspender für Patienten mit schweren Krankheitsverläufen suchte. Und sie ließ auf Bitten des Kreisgesundheitsamtes die Wirksamkeit von Corona-Schelltests an sich ausprobieren. „Das interessiert einen ja schließlich auch persönlich“, sagt sie.
Viel hat sie mitgemacht – im Dienst für die gemeinsame Sache. Einem niederländischen Fernsehsender ein Interview zu geben, bloß weil der seiner Fernsehgemeinde ein neues Gesicht präsentieren wollte, lehnte sie allerdings ab. Obwohl sie viel zu erzählen gehabt hätte. Aber das tat sie dann beim Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Der widmete die Titelgeschichte in der Weihnachtsausgabe unter der Überschrift „Ein Jahr in hundert Leben“100 Menschen, die das Magazin seit März begleitet hatte. Nicola Giesen war dabei – und das in jeder Hinsicht von Anfang an.
Am 7. März traten Nicola Giesen und ihr Mann Thomas in Ischgl ihren Ski-Urlaub an. Sie wollten raus aus der Corona-Panik, die gerade aus dem Kreis Heinsberg nach Neuss geschwappt war. „Wir waren wirklich der Meinung, in der reinen, klaren Bergwelt in Sicherheit zu sein“, sagt sie. Und im Internet hatte sie vor Antritt der Reise von einer Corona-Gefahr in Ischgl nichts gelesen. Dabei war der Partyort schon dabei, zum Seuchenherd zu werden, wie der Spiegel im April in dem Artikel „Home of Wahnsinn“aufzeigte.
Eine der vom Spiegel zitierten Betroffenen war Nicola Giesen, die von einer Freundin einen Hinweis auf einen Reporter des Magazins und dessen Suche nach „Augenzeugen“bekommen hatte. Ihm berichtete sie davon, wie sich die Situation vor Ort schleichend veränderte – und von ihrer vorzeitigen Abreise. Der Wirt hatte den Tipp gegeben. Man wisse ja nicht, wie lange die Grenzen noch offen sind.
Auf der Rückfahrt schon bekam die Neusserin Fieber. Auch ihrem Mann ging es schlechter. Das Paar fuhr durch bis nach Neuss und begab sich selbst sofort in Quarantäne. Ein Test bestätigte die Infektion mit dem Virus, doch der Krankheitsverlauf war bei beiden milde. Wie auch bei – bis auf eine einzige Ausnahme – den 18 Corona-Infizierten in ihrem persönlichen Umfeld, von denen sie bis heute erfuhren. „Als unsere Quarantäne endetet, begann der Lockdown“, protokollierte sie.
Der Spiegel hielt Kontakt zu der Neusserin, die nun Monat für Monat Bericht erstattete. „Auch wenn Bussi-Bussi mir manchmal zu viel war, sehne ich mich danach zurück“, gab sie im Report für den November zu. Da war der zweite Lockdown schon beschlossen.
Psychisch, sagt Nicola Giesen, habe sie die Erkrankung gut verkraftet. „Wir waren froh, es hinter uns zu haben“, sagt sie. „Man geht entspannter durchs Leben.“Doch über die Pandemie und die Art, wie sie das Leben der Menschen verändert, denkt sie unverwandt nach. Wie 73
andere Teilnehmer am Spiegel-Report hat sie die Sorge, dass Corona die Gesellschaft spalten könnte.
Persönlich kann sie zwar nicht nachvollziehen, warum sie mit ihrem Mann kein Tennis spielen kann („Wenn wir doch alleine in der Halle sind.“) und wünscht sich sehr, dass bei der Debatte um mögliche Lockerungen differenzierter vorgegangen wird. „Ewig lassen sich die Leute nicht einsperren“, sagt sie und höre solchen Unmut auch aus ihrem Bekanntenkreis. Doch den Entscheidungsträgern stellt sie unterm Strich ein gutes Zeugnis aus: „In dieser schwierigen Lage und angesichts der extremen Verantwortung hat die Regierung gut gehandelt“– auch wenn sie sich mehr politische Debatten über die zu treffenden Einschnitte ins Privatleben wünscht.
Nach einem Jahr, in dem sie mehr gekocht und mehr Spaziergänge
gemacht hat, aber – anders als 38 andere Teilnehmer des Spiegel-Reports – den Jahresurlaub nicht ausfallen lassen musste, geht Nicola Giesen optimistisch in das noch junge Jahr – wenn auch gedämpft. „Man wäre schon froh, wenn man zu einer Art von Normalität zurückkehren kann wie sie im vergangenen Sommer herrschte“, sagt sie. Dann wären Geschäfte und Restaurants offen, das Festzelt aber bliebe leer.