Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Die Menschheit kann nicht so dämlich sein“
Dirk Roßmann, Chef der zweitgrößten deutschen Drogeriemarktkette in Deutschland, hat einen hartnäckigen Bestseller geschrieben.
HANNOVER So leicht war es doch noch nie, einen Bestseller zu fabrizieren. Denkt man beim Besuch des Drogeriemarkts um die Ecke. Schließlich steht der Roman gleich vorn am Eingang bei den diversen Angeboten. „Der neunte Arm des Oktopus“, ein Öko-Thriller von Dirk Roßmann, der nicht nur so heißt wie Deutschlands zweitgrößte Drogeriekette, sondern eben auch ihr Gründer und Inhaber ist. Und so kommt es dann auch, dass das Buch Platz fünf auf der deutschen Jahresbestsellerliste einnimmt und auf der aktuellen und maßgeblichen Spiegel-Bestsellerliste gleich hinter Sebastian Fitzeks „Heimweg“auf Rang zwei rangiert.
Klar, knapp 4100 Rossmann-Filialen sind kein schlechtes Vertriebsnetz. Doch ging die Mehrzahl der bislang 200.000 verkauften Bücher – nämlich zwei Drittel – im klassischen Buchladen über die Theke. Und dort ist der Name Roßmann nicht zwangsläufig verkaufsfördernd. Vielleicht ist der Thriller dann doch „kein doofes Buch“, wie die „Zeit“beinahe erschrocken feststellte. Tatsächlich ist das Buch publikumswirksam erzählt, also schnell, mit vielen Handlungssträngen, gut recherchiert (mit der Hilfe zahlreicher Zulieferer) und trotz des komplexen Themas eines drohenden Öko-Infarkts einfach aufbereitet und wirkt auch dadurch überraschend wahr.
„Mein Buch ist schlicht und einfach eine Provokation – das gebe ich auch zu. Aber bewirken kann ich doch nur etwas, wenn es die Menschen wachrüttelt und sich etwas verändert“, sagt Roßmann, der sich im wirklichen Leben von Drogeriekette
und Autor durch das „ß“im Namen unterscheidet. Denn das habe uns die Pandemie nach seinen Worten gelehrt, dass wir „unsere Lebensweise umstellen, unsere Mobilität und unseren Fleischkonsum reduzieren müssen“. Man könne nicht mehr so weitermachen wie bisher, so der 74-Jährige.
Wie dann? Zugegeben: Ein Roman ist ein Roman – und die Neigung zur utopischen Denke darin ausgeprägt. Und so entwirft Rossmann
ohne „ß“eine Art gerechte Öko-Diktatur: Im Jahr 2100 haben sich die Mächtigen der Welt (darunter auch die Schmutzbuckel) zur Zusammenarbeit entschlossen. Eine Allianz zwischen China, Russland und den USA ward geschlossen, um die Erderwärmung zu stoppen und die Welt zu retten. Die amerikanische Präsidentin setzt auf Geburtenkontrolle, weniger Fleischkonsum, weniger Reisen. Beinahe zu schön, um wahr zu sein. Auf diesen kuriosen Gedanken kam Roßman durch eine simple Überlegung. Was nämlich passieren würde, wenn Politiker genau das Richtige entscheiden, auch wenn die Menschen das vielleicht gar nicht wollen.
Ein bisschen Utopie sei dringend notwendig, davon ist Roßmann überzeugt: Denn „die Jahre 2020 bis 2030 werden nicht so ruhig verlaufen, wie jene zwischen 2000 bis 2020. Das nächste Jahrzehnt wird eruptiv; es wird eine Zeit der sogenannten Schwarzen Schwäne kommen. Und Corona ist der erste Schwarze Schwan“. Der Schwarze Schwan ist das Symbol für ein höchst unwahrscheinliches Ereignis.
Roßmann hat das Buch nicht nötig, den Bucherfolg auch nicht. Mit einem geschätzten Vermögen von knapp 2,2 Milliarden Euro gehört er zu den 50 reichsten Deutschen hierzulande. Man darf ihm sein Anliegen glauben. Er selbst formuliert das gerne so bodenständig wie nur eben
möglich: „Die Menschheit, die einen Ludwig Beethoven, einen Immanuel Kant und eine Simone de Beauvoir hervorgebracht hat, kann doch nicht so dämlich sein, das alles mit 200 Sachen an die Wand zu fahren! Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir in einer Welt der kollektiven Paranoia leben.“So richtig habe er das alles erst verstanden, als er den Roman geschrieben habe; einen Thriller, der so schnell von der Bestsellerliste nicht verschwinden dürfte. Zu aktuell ist sein Thema und obendrein zu beständig. Und mit der gekonnten Mischung aus Frank Schätzing und biblischer Apokalypse stellt es keinen Leser vor unlösbare Probleme.
Die Kölner Verlagsgruppe Bastei Lübbe darf sich also über ihren neue Bestsellerautor freuen. Und weil der gerne möglichst viel unter Kontrolle hat, kaufte er sich jüngst beim börsennotierten Verlag gleich ein: mit dem Erwerb von rund 405.000 Aktien für knapp 1,5 Millionen Euro.