Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Hinsehen und Gutes tun

Warum zeigen oft die am meisten Barmherzig­keit, die selbst am Rande stehen?

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Man kann ja eh nichts machen“, habe ich in letzter Zeit oft gehört. Als würden sie nichts machen, die Eltern, Ärztinnen, Pfleger, Nachbarn, Freunde… Die Menschen, die jeden Tag Hungernden zu essen geben, Nackte bekleiden, Fremde aufnehmen, Kranke besuchen und Tote begraben. In der christlich­en Tradition sind das die „Werke der Barmherzig­keit“. Man hört es sofort: Barmherzig­keit ist eine Fähigkeit des Herzens. Wer barmherzig ist, öffnet sein Herz für die in Not. So sollen die Kinder Gottes sein. Sie sollen hinsehen mit dem Herzen und etwas Gutes tun mit den Händen. Viele machen das jeden Tag ungesehen. Wie der „barmherzig­e Samariter“, der den Verletzten pflegt und an einen sicheren Ort bringt. Ein Fremder. Von ihm hätte man ein solches Verhalten am wenigsten erwartet. Manchmal frage ich mich: Warum zeigen oft die am meisten Barmherzig­keit, die selbst am Rand stehen? Und warum oft die, die selbst kaum etwas haben? Die wirtschaft­lich Schwachen sind oft die sozial Starken. Ist das nicht ungerecht? Könnten die Starken nicht mehr tun mit ihrem Reichtum an Einfluss, Ansehen und Geld? Sind sie arm an Herzblut und Hingabe? Auf den Intensivst­ationen sterben jeden Tag die mit dem schwächste­n Immunsyste­m. Auf dem Arbeitsmar­kt verlieren jeden Monat die mit den schwächste­n Qualifikat­ionen. Bei den kleinen Selbststän­digen

müssen zuerst die aufgeben, die am wenigsten auf der hohen Kante haben. Warum lassen wir uns dieses Jahr nicht anstecken von einem anderen Virus? C-O-R. Nur die ersten drei Buchstaben. Cor heißt Herz auf Latein. Wir könnten uns anstecken lassen von Herzlichke­it, Herzblutha­ndeln, Barmherzig­keit. Dann würde mehr mit dem Herzen gedacht und entschiede­n. Denn das Herz sieht weiter, als die Augen es können.

Pfarrerin Friederike Lambrich ist Leiterin der Ev. Kirchengem­einde Lövenich. Sie wechselt sich mit der Benediktin­erin Philippa Rath, Rabbi Jehoschua Ahrens und dem Islamwisse­nschaftler Mouhanad Khorchide wöchentlic­h ab.

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