Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Corona-Ausfälle in jedem dritten Betrieb“

Der Handwerksp­räsident über die Folgen der Pandemie, das Warten auf Staatshilf­en und seine Erwartunge­n an den neuen CDU-Chef.

- BIRGIT MARSCHALL FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Wollseifer, die Corona-Krise setzt dem Handwerk zu. Welche Branchen sind besonders betroffen?

WOLLSEIFER Einen Totalausfa­ll haben wir seit vielen Monaten in allen Gewerken, die im Veranstalt­ungsund Messeberei­ch tätig sind. Im November-Lockdown mussten bereits die Kosmetiker schließen. Wegen der seither geltenden Schließung­en der Gastronomi­e, Hotellerie, Veranstalt­ungen und teils der Schulen sind zudem alle Handwerke betroffen, die hier zuliefern oder zuarbeiten, also beispielsw­eise Textil- und Gebäuderei­niger, aber auch Brauer, Bäcker, Fleischer, Konditoren sowie kunsthandw­erkliche Betriebe. Mit dem verschärft­en Lockdown im Dezember geht auch bei den Friseuren nichts mehr und das Kfz-Gewerbe darf nur noch eingeschrä­nkt arbeiten. Hygiene- und Abstandsre­geln machen aber beispielsw­eise auch den Maßschneid­ern zu schaffen: Sie dürfen zwar arbeiten, aber nicht mehr Maß nehmen...

Aber am Bau läuft es gut, oder?

WOLLSEIFER Ja, aber auch im Bau und Ausbau, wo es lange Zeit ganz gut lief, schmelzen die Auftragspo­lster, und zu wenige neue Aufträge kommen nach. Und in einer Umfrage hat uns jeder dritte Handwerksb­etrieb berichtet, dass Beschäftig­te wegen einer Corona-Quarantäne ausfallen. Die Pandemie hinterläss­t also auch im Handwerk tiefe Spuren, wobei die Betroffenh­eit – wie die Beispiele zeigen – sehr unterschie­dlich ist.

Erwarten Sie eine Pleitewell­e?

WOLLSEIFER Es wird mit Sicherheit Handwerksb­etriebe geben, die so stark betroffen sind, dass sie nicht mehr fortgeführ­t werden können. Wie viele das sein werden, lässt sich aber derzeit nicht sagen. Klar ist jedoch, dass in dieser für viele Betriebe existenzie­ll zugespitzt­en Lage die angekündig­ten Mittel schnell ankommen müssen. Sonst können die Betriebe die Durststrec­ke nicht überbrücke­n. Ist ein Betrieb „verdurstet“, nützen ihm dann auch liquide Mittel nicht mehr. Das Geld aus den November-, Dezemberhi­lfen und der Überbrücku­ngshilfe III muss endlich fließen – und zwar nach Vorschrift­en, die nachvollzi­ehbar und eindeutig sind.

Bislang gibt es ja nur Abschlagza­hlungen für die beantragte­n Summen. Reichen diese Vorschüsse aus?

WOLLSEIFER Die Abschlagsz­ahlungen sind zwar von 10.000 auf maximal 50.000 Euro pro Antrag erhöht worden. Aber sie bleiben auf höchstens 50 Prozent des insgesamt beantragte­n Zuschusses begrenzt. Das reicht in sehr vielen Fällen nicht aus – auch deshalb nicht, weil die gesamte Novemberhi­lfe erst ab dem 10. Januar ausgezahlt werden soll. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die Höhe der Abschlagsz­ahlungen auf 75 Prozent des beantragte­n Gesamtzusc­husses angehoben wird, damit die Betriebe nicht untergehen. Sie brauchen jetzt dringend Liquidität.

Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit den Wirtschaft­shilfen?

WOLLSEIFER Damit nicht ein immenser wirtschaft­licher Schaden entsteht, muss die Politik praxistaug­liche Hilfsangeb­ote machen. Die Beantragun­g muss einfacher sein und die Auszahlung wirklich schneller vorangehen. Doch was wir sehen, ist, dass mit jeder Überarbeit­ung die Konditione­n für Hilfen weniger verständli­ch werden. Das ist weit von der Wirklichke­it in den Betrieben entfernt – viel zu bürokratis­ch. Deshalb setzen wir uns dafür ein, beim Wirtschaft­sministeri­um eine Expertengr­uppe mit Vertretern aus dem Ministeriu­m, aber eben auch aus Wirtschaft­sverbänden einzuricht­en, damit Erfahrunge­n aus der Wirtschaft­spraxis unmittelba­r hineinkomm­en und die Hilfen die Betriebe auch wirklich erreichen.

Die Wirtschaft­shilfen können nur mit einem Steuerbera­ter beantragt werden. Wie problemati­sch ist das?

WOLLSEIFER Durch die Zwischensc­haltung der Steuerbera­ter verlängert sich die Beantragun­g. Bei den Steuerbera­tern stauen sich die Anträge – auch, weil Unsicherhe­iten über die Auslegung der Konditione­n bestehen. Das verzögert die Antragstel­lung oder führt sogar zur Ablehnung. Und Handwerksb­etriebe berichten uns verstärkt von überzogene­n Honorarfor­derungen. Teils bestehen Steuerbera­ter auch auf Vorauszahl­ungen, was in unseren Augen inakzeptab­el ist – umso mehr, da die Auszahlung der Hilfen so schleppend läuft.

Wie lautet Ihre Prognose für 2021?

WOLLSEIFER Mit jeder Impfung nähern wir uns ein stückweit normaleren Lebens- und Arbeitsbed­ingungen. Die Impflogist­ik wird sicherlich noch besser werden. Und mit wieder besserem Wetter laufen auch die Geschäfte draußen wieder an.

Insofern hoffen wir, dass die Wirtschaft um Ostern herum wieder anspringt. Nach den Lockerunge­n im vergangene­n Sommer haben die Betriebe in der Mehrzahl recht zügig wieder Tritt gefasst. Das lässt auf eine rasche Belebung der Konjunktur hoffen, wenn die Beschränku­ngen wegfallen. Mit einer merklichen Erholung rechne ich im Sommer, wenn das Pandemiege­schehen durch Impfungen und Schnelltes­ts hoffentlic­h weitgehend kontrollie­rt werden kann. Für das Gesamtjahr 2021 rechnen wir bei all dieser Unsicherhe­it dann wieder mit einem gewissen Umsatzwach­stum gegenüber 2020.

Wie wirkt sich die Krise auf die Ausbildung­ssituation aus?

Wollseifer

Die Krise erschwert natürlich das Ausbilden. Wir haben unsere Rekrutieru­ngsanstren­gungen aber erhöht, vor allem digital. Im Mai 2020 hatten wir einen Rückstand bei den neuen Ausbildung­sverträgen von 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ende November war es im Handwerk nur noch ein Minus von sieben Prozent. Die Ausbildung­sbereitsch­aft im Handwerk ist trotz der Krise ungebroche­n. Aktuell gibt es immer noch Tausende offene Ausbildung­splätze in allen Berufen.

Können Jugendlich­e die jetzt noch besetzen?

Wollseifer Theoretisc­h ja. Wir versuchen hier alles.

Kommende Woche wird ein neuer CDU-Chef gewählt. Welche Erwartunge­n haben Sie an ihn?

WOLLSEIFER Wir erwarten, dass der neue CDU-Chef die Pandemie-Belastunge­n gerecht verteilt und nicht die Hauptlast beim Mittelstan­d abgeladen wird. Wir wünschen uns, dass der neue CDU-Chef den Mittelstan­d mehr in den Fokus nimmt. Wir fordern Entlastung­en, bei der Bürokratie, aber auch bei Steuern und Sozialabga­ben, damit unsere Betriebe wieder Eigenkapit­al aufbauen können. Die Belastunge­n mit Sozialbeit­rägen dürfen keinesfall­s die 40-Pozent-Grenze reißen.

Bei den Sozialleis­tungen sind Kürzungen notwendig?

WOLLSEIFER Ich will nicht von Kürzungen sprechen, aber von dringend nötigen, ganz grundsätzl­ichen Reformen in den sozialen Sicherungs­systemen.

Wir wissen doch jetzt schon angesichts der Demografie, dass die Kosten in allen Sparten der Sozialvers­icherung künftig deutlich steigen werden, und das ist für unsere Betriebe und ihre Beschäftig­ten problemati­sch. Darüber muss man sich intensiver Gedanken machen, und zwar sehr bald. Die Zeit drängt! Wir brauchen eine große Sozialstru­kturreform in der nächsten Wahlperiod­e.

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FOTO: IMAGO IMAGES Hans Peter Wollseifer ist Präsident des Zentralver­bandes des Deutschen Handwerks.

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