Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Mehr Hausgeburten wegen der Corona-Krise
Rund doppelt so viele Düsseldorferinnen wie im Vorjahr entschieden sich 2020 gegen eine Entbindung im Krankenhaus.
DÜSSELDORF Im Geburtszimmer an der Achenbachstraße fühlte sich Laura Kleinebrecht sofort wohl und entspannt: Das Zimmer sieht mit seinen warmen Rottönen und Holzelementen wie ein behagliches Schlafzimmer aus, mit der Wanne in einer Ecke gar wie ein Zimmer in einem Wellnesshotel. Die Hebamme, die bei ihrer Geburt die ganze Zeit an ihrer Seite sein würde, kannte sie bereits: Sie betreute sie schon seit einiger Zeit. Mit ihr würde Kleinebrecht gemeinsam alle Entscheidungen und Schritte besprechen. Alles sah und fühlte sich gerade nicht an wie in einem Krankenhaus mit fremden Menschen und routinemäßigen Abläufen, wo man sich als werdende Mutter fremdbestimmt fühle. So hatte es die 33-Jährige bei ihrer vorherigen Entbindung erlebt. „Im Geburtszimmer dagegen lief ruhige Musik, Kerzen brannten und es kam nicht ständig jemand rein, um zu schauen, ob ich jetzt in den Kreißsaal gebracht werden müsste.“Keine Stunde später hielt Kleinebrecht ihr Baby in den Armen: „Es war eine traumhafte Geburt.“
Kleinebrecht ist eine der Mütter, die sich im vergangenen Jahr bewusst für eine Geburt außerhalb eines Krankenhauses entschieden hat. Das Interesse daran war im ersten Jahr der Corona-Pandemie enorm: Die Hebammen des Geburtshauses Düsseldorf haben vor Ort 116 Geburten betreut, weitere 111 bei den Familien zu Hause. Nie habe man in der 25-jährigen Geschichte mehr Geburten betreut, sagt Lisa Fels, eine der beiden Geschäftsführerinnen, die zugleich Hebamme ist. Die Zahl der Geburten habe sich damit im Vergleich zu 2019 verdoppelt. Das gelte gleichermaßen für die Anfragen. Die Gesamtzahl aller Geburten dieser Art dürfte sogar höher liegen, erfasst das Düsseldorfer Standesamt doch nicht, auf welche Art beziehungsweise wo genau die Babys das Licht der Welt erblicken. Für das Geburtsjahr 2020 wurden bislang 8875 Geburten beurkundet, es liegen aber noch nicht alle Geburtsmeldungen vor.
Corona habe bei einigen Familien bei der Entscheidungsfindung eine Rolle gespielt, sagt Fels. So habe man Familien betreut, die Angst vor einer Infektion in einem Krankenhaus hatten. Die Sorge, dass der eigene Partner nicht oder nicht die ganze Zeit bei der Geburt im Krankenhaus dabei sein dürfte, spielte bei einigen Familien ebenfalls eine Rolle. Die Corona-Krise habe aber vor allem den Personalmangel in der Pflege deutlich gemacht. Viele Frauen wünschten sich allerdings eine 1:1-Betreuung bei der Geburt, eine Hebamme, die sie schon kennen, und Selbstbestimmung bei der Geburt.
Das hat Laura Kleinebrecht so erlebt. Während sie bei ihrer ersten Geburt geradezu ideale Voraussetzungen hatte, da sie als Examensgeburt betreut wurde, sei die zweite Geburt völlig anders verlaufen. Wenn man keine Erstgebärende sei und „alles glatt“laufe, falle man durch das Raster: „Ich hatte das Gefühl, es guckt keiner nach mir.“Das „I-Tüpfelchen“sei gewesen, dass ein Chefarzt während der Visite und zwischen zwei Wehen „Shakehands“mit ihr machen wollte: „Und hätte man mich noch mal untersucht, hätte man gesehen, dass ich keine PDA brauchte, da mein Sohn schon wenige Minuten später zur Welt kommen würde.“Die dreifache Mutter hat aber auch Verständnis:
Wegen des Personalmangels könnten die Mitarbeiter die Frauen gar nicht intensiver betreuen, selbst wenn sie es wollten.
Die Hebammen des Geburtshauses begleiten Erstgebärende, aber eben auch Frauen wie Kleinebrecht, die bereits im Krankenhaus ihre Kinder zur Welt gebracht haben – und das nicht wiederholen möchten. Manche Frauen hätten schon vor der Schwangerschaft die Entscheidung dafür getroffen, manche wünschten sich noch Aufklärung, hätten noch viele Fragen. Und sogar Zweifel, ob sie das schaffen könnten, eine Geburt außerhalb der Klinik und ohne Schmerzmittel. „Das ist ein Prozess, die Idee kann im Verlauf der Schwangerschaft wachsen“, sagt Fels. Für Kleinebrecht war es eine „heilsame Erfahrung“, jemanden an ihrer Seite zu haben, der sie darin bestärkte und fest daran glaubte, dass sie als junge und gesunde Frau ihr Kind auf diese Weise auf die Welt bringen könnte.
Die Hebammen setzen statt auf klassische Schmerzmittel auf andere Formen der Hilfe und Unterstützung. Was deutlich unterschätzt werde, sei die Geburtswanne. Fels: „Warmes Wasser während der Geburt ist unheimlich erleichternd. 80 bis 90 Prozent unserer Frauen gehen während der Geburt mindestens zwischendurch mal hinein.“Zudem könne man auf Basis der Naturheilkunde unterstützen, mit Massagen oder Aromaöl. Angeboten wird auch geburtsvorbereitende Akupunktur.
Ein sehr wichtiger Aspekt sei die emotionale Unterstützung. „Es gibt Studien, die klar belegen, dass das Schmerzempfinden größer ist, wenn Menschen Angst haben. Und das ist unser Bonus, dass die Frauen sich bei uns sicher und aufgehoben fühlen, ihre Hebamme schon kennen.“Das sei eine „ganz große Vertrauensbasis“. Und sein Kind auf diese Art zur Welt zu bringen gebe den Frauen
Lisa Fels Mit-Geschäftsführerin im Geburtshaus und Hebamme
viel Stärke und Zuversicht, auch die Aufgaben als Mutter nach der Geburt zu schaffen.
Gerade in der Anfangszeit des Geburtshauses, das als gemeinnützige GmbH geführt wird und über einen Förderverein unterstützt werden kann, habe man mit vielen Vorurteilen kämpfen müssen. „Damals dachten alle, dass das hier Räucherstäbchen schwingende esoterische Frauen sind“, sagt Fels. Vorbehalte oder Vorurteile gegen Geburten außerhalb einer Klinik gebe es immer noch: Viele Menschen hielten sie für gefährlich und für gefährlicher als in einem Krankenhaus. Dabei gebe es inzwischen eine gute Datenlage und Statistiken, „die beweisen, dass es nicht so ist. Wenn man Regeln und Vorgaben einhält, sind sie genauso sicher“.
So begleiten die Hebammen (zehn arbeiten geburtshilflich, es gibt zudem Kursleiterinnen etwa für Pekip-Kurse) nur Frauen bei der Geburt, die gesund sind und eine unproblematische Schwangerschaft haben. Das Abklären von Risikokriterien, etwa von Grunderkrankungen der Schwangeren, ist umfassend. Mehrlingsgeburten
oder Geburten, bei denen das Kind nicht mit dem Kopf voraus auf die Welt kommt (Beckenendlage), werden nicht betreut. Dabei geht es auch um Versicherungsfragen.
Doch selbst bei den besten Voraussetzungen können Komplikationen während oder nach der Geburt auftreten. So könnte etwa die Blutung bei der Mutter stärker sein als sie sollte oder die Herztöne des Kindes verschlechtern sich während der Geburt. Darauf sind die erfahrenen Hebammen vorbereitet. Im Geburtszimmer haben sie in Schränken oder hinter Vorhängen alles griffbereit, was sie im Verlaufe einer Geburtsbegleitung benötigen könnten, auch um zum Beispiel das Neugeborene nach der Geburt beatmen zu können. „Und an unserem Kerzenhalter können wir Infusionsflaschen aufhängen“, sagt Fels. Zudem arbeitet das Geburtshaus mit dem Marien Hospital und dem Florence-Nightingale-Krankenhaus zusammen, in die man im Notfall Mutter und/oder Kind in wenigen Minuten verlegen lassen würde (bei Bedarf auch im Rettungswagen). Das sei allerdings sehr selten der Fall.
„Dass die Frauen sich bei uns geborgen fühlen, ist eine große Vertrauensbasis“