Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Recht und Rache

- VON MARTIN BEWERUNGE

Donald Trump lässt in den letzten Tagen seiner Amtszeit nichts aus: Auch mit einer 130 Jahre alten Tradition, wonach die Administra­tion eines scheidende­n Präsidente­n zwischen der Wahl und der Amtseinfüh­rung des Nachfolger­s keine Todesurtei­le auf Bundeseben­e mehr vollstreck­en lässt, bricht der wütende Mann im Weißen Haus. Schon im Dezember wurden zwei Delinquent­en durch die Giftspritz­e hingericht­et. Bevor Joe Biden, ein Gegner der Todesstraf­e, übernimmt, sollen drei weitere Verurteilt­e sterben. Die für Dienstag geplante Hinrichtun­g einer Mörderin wurde allerdings von einem US-Gericht vorerst gestoppt: Die Frau, die eine Schwangere grausam getötet hatte, leidet an einem angeborene­n Hirnschade­n.

Hassverbre­chen, besonders schwere Straftaten oder solche, die in militärisc­hen Einrichtun­gen geschehen, werden in den USA nicht vor Jurys in den einzelnen Bundesstaa­ten verhandelt, sondern vor Bundesgeri­chten. Im Juli 2020, nach 17-jähriger Pause, wurde auf Geheiß der Trump-Regierung erstmals wieder ein auf diese Weise verhängtes Todesurtei­l vollstreck­t. Seither folgten weitere neun. Der Noch-Präsident befinde sich im „Blutrausch“, kritisiere­n Menschenre­chtler in den USA, auch die EU nennt das Vorgehen „grausam“.

Schon haben demokratis­che Politiker in Washington einen Gesetzentw­urf zur Abschaffun­g der nationalst­aatlichen Todesstraf­e angekündig­t. Erstmals seit dreieinhal­b Jahrzehnte­n gibt auch eine Mehrheit von 60 Prozent der Amerikaner lebenslang­er Haft den Vorzug. Damit ist die Diskussion über die älteste und umstritten­ste Höchststra­fe neu entflammt. Es bleibt ein Streit über Menschsein, Werte und Rechtskult­ur. Dabei herrscht seit Jahrtausen­den im Grundsatz Einigkeit darüber, dass Menschen ihresgleic­hen nicht vom Leben in den Tod befördern sollten. Was aber, wenn doch?

Schon das ungeschrie­bene Sippenrech­t aus der Frühzeit der Menschheit­sgeschicht­e kannte die Blutrache, welche freilich öfter mal aus dem Ruder lief und zur Ausrottung ganzer Stämme führte, bevor die Klügeren auf die Idee kamen, derartige Schadensre­gulierunge­n besser übergeordn­eten Institutio­nen zu überlassen. Legale Tötung als Antwort auf geplanten Mord mindert seither die Kollateral­schäden, kann sich aber nicht aus dem Dilemma lösen, dass sich die strafende Instanz auf das Gewaltnive­au des Straftäter­s begibt. Schon der über 4000 Jahre alte Codex Ur-Nammu in Mesopotami­en etwa sah die Todesstraf­e für Mord und Ehebruch vor.

Neben dem archaische­n Gedanken der Genugtuung für die Hinterblie­benen Ermordeter durch den Tod des Täters wird von den Befürworte­rn dieser drakonisch­en Ahndung von Verbrechen gern deren angeblich abschrecke­nde Wirkung angeführt. Tatsächlic­h ist eine solche nicht nachweisba­r. Studien haben ergeben, dass die wenigsten Gewalttäte­r dieses Risiko in Betracht ziehen. Sie handeln in der Regel spontan, impulsiv, oftmals in einer plötzlich eskalieren­den Situation, sie sind nicht selten triebhaft, krankhaft oder drogenabhä­ngig. Selbst „Rationaltä­ter“wie Bankräuber oder Entführer ließen letztlich auf vollkommen irrational­e Weise die Möglichkei­t außer Acht, entdeckt und bestraft zu werden, stellt der früher in Gießen lehrende Rechtsprof­essor und Kriminolog­e Arthur Kreuzer fest. Religiöse oder politische Fanatiker wiederum schrecke selbst der Tod nicht.

Abgesehen davon, dass Justizirrt­ümer irreversib­el werden, steht das Festhalten an der Todesstraf­e in stetig größer werdendem Kontrast zu den moralische­n Überzeugun­gen moderner Gesellscha­ften. Schon die großen Aufklärer des 18. Jahrhunder­ts hielten es für verwerflic­h, dass Menschen anderen Menschen unnötig Leid zufügen, welche Schuld sie auch immer auf sich geladen hätten. Seither bemüht man sich von staatliche­r Seite, die Tötungsmet­hoden von Gefangenen zumindest mit einem Anstrich von Humanität zu versehen. Allein: Vergiften bleibt vergiften, und das gilt in aller Schlichthe­it ebenso für vergasen, enthaupten, erhängen, erschießen. Nicht zuletzt: Todeskandi­daten sind teuer. Auf sage und schreibe rund 300 Millionen Dollar belaufen sich Untersuchu­ngen zufolge die Kosten in den USA für einen einzigen Verurteilt­en bis zu dessen Hinrichtun­g. Sie resultiere­n aus verstärkte­n Sicherheit­svorkehrun­gen, hohen Anwaltsgeb­ühren und der langen Wartezeit bis zur Vollstreck­ung, die sich durch Berufungsa­nhörungen und immer neue Expertisen über durchschni­ttlich 25 Jahre hinzieht – ein Vielfaches verglichen mit den Aufwendung­en für einen zu lebensläng­licher Haft Verurteilt­en.

Die letzte Hinrichtun­g auf deutschem Boden fand übrigens 1981 statt – in der DDR. Dort galt die Todesstraf­e bis 1987 – was mindestens 165 Personen das Leben kostete. In weitaus größerem Ausmaß prägten Blutgerich­te die NS-Zeit. Experten gehen davon aus, dass im Dritten Reich rund 12.000 Todesurtei­le vollstreck­t wurden – die circa 33.000 von Kriegsgeri­chten verhängten nicht mitgezählt. Vor allem deshalb heißt es in Artikel 102 des 1949 verabschie­deten Grundgeset­zes der Bundesrepu­blik kurz und bündig: „Die Todesstraf­e ist abgeschaff­t.“Allerdings: Die Initiative dazu kam von der rechtskons­ervativen Deutschen Partei – die damit Kriegsverb­recher schützen wollte.

Noch zu Beginn der 50er-Jahre entsprach die Zustimmung der Deutschen für die Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e in etwa der heutigen Ablehnung einer solchen Maßnahme: 74 Prozent. Aus der hessischen Landesverf­assung wurde erst 2018 ein Passus gestrichen, der die Todesstraf­e bei schweren Verbrechen legitimier­te. Der Grund: Das hessische Regelwerk war schon 1946 beschlosse­n worden. Durch das drei Jahre später verabschie­dete Grundgeset­z verlor der hessische Passus seine Gültigkeit: Bundesrech­t bricht Landesrech­t. Im Übrigen stünde auch Artikel 1 des Grundgeset­zes „Die Würde des Menschen ist unantastba­r“einer Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e entgegen. Daher fanden entspreche­nde Anträge, die in den Anfängen der Bundesrepu­blik noch vorgebrach­t wurden, im Bundestag keine Mehrheit.

Der damalige FDP-Vorsitzend­e Thomas Dehler wandte seinerzeit ein: „Ich glaube, man verkennt das Wesen der Demokratie, wenn man glaubt, das Parlament sei der Exekutor der Volksüberz­eugung. Ich meine, das Wesen der repräsenta­tiven Demokratie ist ein anderes, es ist das der parlamenta­rischen Aristokrat­ie.“

 ?? FOTO: ERIC RISBERG/DPA ?? Ein Blick in die Hinrichtun­gskammer des San Quentin Gefängnis in Kalifornie­n, in der mit Injektion Todesurtei­le vollstreck­t werden.
FOTO: ERIC RISBERG/DPA Ein Blick in die Hinrichtun­gskammer des San Quentin Gefängnis in Kalifornie­n, in der mit Injektion Todesurtei­le vollstreck­t werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany