Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Theaterleiter weichen auf Übergangsjobs aus
Die Direktorin des Theaters an der Luegallee und der Chef des Flin müssen jobben: Sie arbeitet in einer Kita, er als Empfangskraft.
DÜSSELDORF Kristof Stößel und Christiane Reichert eint eine unglückliche Fügung des Schicksals. Beide haben vor wenigen Monaten in Düsseldorf ein Theater übernommen: Stößel das Kabarett Flin, Reichert das Theater an der Luegallee. Dann bremste die Pandemie sie aus – und die kleinen Bühnen mussten wieder schließen; von kurzen, unrentablen Intermezzi mit einer Handvoll Zuschauern einmal abgesehen. Die finanziellen staatlichen Hilfen decken einen Teil des Bedarfs, sind am Ende aber nicht genug, um alles zu begleichen, was beglichen werden muss. Vor allem aber können sie den Wunsch nach Beschäftigung nicht erfüllen. Den Wunsch nach sozialem Miteinander, nach Struktur und Kommunikation.
Also haben sich Kristof Stößel und Christiane Reichert Jobs für den Übergang gesucht. Dieser wächst sich allerdings zu einer längerfristigen Angelegenheit aus. Stößel managt seit Dezember den Empfang eines Büros, Christiane Reichert hat eine Weile bei Aldi an der Kasse gesessen, jetzt hilft sie in einer Kita aus. „Ich hatte mich ursprünglich darum beworben, ein Impfzentrum zu unterstützen“, sagt Reichert. Dort jedoch war der Bedarf gedeckt. Einer Kita des DRK in Neuss fehlten hingegen noch Alltagshelfer. Reichert sagte zu. Heute, zwei Monate später, bezeichnet sie diese Entscheidung als „das Beste, was mir passieren konnte“. „Die Kollegen sind zauberhaft, und die Kinder überschütten uns mit Unbeschwertheit und Zuneigung. Aus meiner Angst ist Zuversicht geworden und ich weiß wieder: Es gibt noch ein Leben.“
An drei Tagen in der Woche arbeitet die Theaterfrau in der Kita Mullewapp, sitzt mit Dreijährigen auf dem Boden und lässt Autos über selbstgebastelte Straßen sausen oder heimst dank ihres Profi-Soprans beim gemeinschaftlichen Singen Anerkennung ein. Die Arbeit mit den Kindern ist ihr vertraut, denn sie hat viele Jahre Kindertheater
gespielt. Reichert hat zugesagt, bis Juli in der Kita zu arbeiten. Das steht für sie fest, ganz gleich, wann die Theater wieder öffnen dürfen. Die 41-Jährige hofft jedoch, dass es im Frühjahr soweit ist. Auf den 1. April hat sie die Premiere des Thrillers „Amber Hall“gelegt, in dem es um ein geheimnisvolles Herrenhaus geht. Das kleine Theater setzt auf charmante Unterhaltung, garniert mit nachdenklichen Einsprengseln. Als ihr jetzt Autoren und Verlage Corona-Stücke anboten, winkte sie ab. Sie findet, „die Zeit ist noch nicht reif, um über die Pandemie zu lachen“.
Die Proben zu „Amber Hall“haben vor wenigen Tagen begonnen. Mit Darstellern, die überglücklich sind, endlich wieder auf einer Bühne stehen zu dürfen, während die Theaterleiterin zwischen zwei Welten hin und her pendelt, in denen sie sich gut aufgehoben fühlt. „Man muss fast ein bisschen aufpassen, dass einem die neue Arbeit nicht zu gut gefällt, nachdem wir ja schon seit fast einem Jahr kämpfen“, sagt Intendantenkollege Kristof Stößel. „Es gibt regelmäßig Geld und es macht Freude.“
Anfang Dezember erreichte ihn ein Anruf aus dem Büro der Wuppertaler WD&P Unternehmensgruppe, welche unter anderem die Geschicke von Seniorenresidenzen sowie die der KS Theaterbetriebe GmbH lenkt. Zu ihr gehören neuerdings das Kabarett Flin und schon länger Stößels zweite Bühne, die Komödie Wuppertal: „Es hieß, eine Empfangsdame
werde gesucht.“Er fragte nach, ob es eine Dame sein müsse oder auch er die Aufgabe übernehmen könne. Zehn Minuten später saß der Schauspieler, Komiker und Regisseur an seinem neuen Arbeitsplatz, wo er jetzt das Telefon bedient, Fragen klärt, Gäste empfängt und in Konferenzen Kaffee serviert. Seither geht es in dem Büro etwas munterer zu.
Die Arbeit beginnt für Stößel um acht Uhr morgens, eine Mittagspause ist natürlicher Bestandteil seines
Alltags geworden. Eine solche Verlässlichkeit kennt er vom Theater nicht. Dort legt er selbst die zeitliche Struktur fest, die oft genug flexibel arrangiert werden muss. Stößel geht davon aus, dass er seine beiden Bühnen vor September nicht wieder öffnet. Unter Auflagen zu spielen, also mit stark reduzierter Zuschauerzahl, lohne sich nicht. Das hat er durchgerechnet. „Und selbst wenn wir im Sommer wieder auftreten könnten, ist fraglich, ob die Menschen sich trauen, zu uns zu kommen“, sagt er. „Mal abgesehen davon, dass sie bei schönem Wetter lieber einen Grillabend planen als ins Theater zu gehen.“Stößel verhandelt gerade mit seinem Übergangschef darüber, ob er demnächst das Marketing für die Seniorenresidenzen übernimmt. Seine Tage als Empfangsdame jedenfalls sind gezählt, da der Posten bald wieder mit einer Dauerkraft besetzt wird.
Stößel bewahrt sich seinen Optimismus, er kann nicht anders. „Ich könnte mich hinsetzen und heulen. Mach’ ich aber nicht.“Auch an seinen Theatern hält er fest. Jedenfalls versichert er das für das Kabarett Flin, denn die Kooperation mit den Kollegen der anderen Düsseldorfer Häuser sei „toll“, die Unterstützung von Politik und Kulturverwaltung „vorbildlich. Aus Wuppertal kenne ich diesen Zusammenhalt nicht“, sagt der Theaterleiter.