Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Werben um verlorenes Vertrauen
Gesundheitsminister Spahn spricht im Bundestag von berechtigter Kritik, gesteht Fehler beim Impfstart aber nicht ein. Die Opposition lässt ihm das nicht durchgehen.
BERLIN Es ist wenige Minuten nach 13 Uhr, und der Gesundheitsminister rollt mit seinem Stuhl schon ungeduldig vor und zurück. Endlich erteilt ihm Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble das Rederecht. Jens Spahn wirkt hochkonzentriert, seine Regierungserklärung liest er weitgehend ab. Der 40-Jährige beginnt staatstragend. „Wir erleben eine Zeit der Widersprüche.“Einerseits sei das Land „in einer der schwersten Phasen der Pandemie“, andererseits könne es stolz darauf sein, „so schnell wie noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte“einen sicheren Corona-Impfstoff entwickelt zu haben. Und dann folgt der Satz, auf den im Bundestag alle gewartet haben: „Es gibt berechtigte Fragen und Kritik.“Doch der CDU-Politiker wird im Rest seiner Rede dann doch alle Kritik am holprigen Impfstart abwehren.
Für Spahn sind dies entscheidende Tage – nicht nur hinsichtlich seines Impfmanagements und der Überwindung der Jahrhundertkrise. Es geht auch um seine weitere politische Karriere, denn Spahn hat Ambitionen, er hatte sie immer. Auf Fragen eines Radiojournalisten nach einer möglichen Kanzlerkandidatur antwortet er am Mittwochmorgen vor seiner Regierungserklärung
ausweichend. „Stand heute schließe ich das aus“, sagt er schließlich. Ein Dementi klingt anders.
Und so kommt es für ihn auch auf diesen Tag an. Spahn steht stark unter Druck, denn der Impfstart in Deutschland läuft nicht rund. AfD, FDP, Linke und der Koalitionspartner SPD werfen ihm Fehler bei der Impfstoffbeschaffung, bei der Aufklärung und bei der Vergabe von Impfterminen vor. Ein sechs Seiten langer Brief, den Spahn vor der Bundestagsdebatte allen 709 Abgeordneten zusandte, sollte die Gemüter im Vorfeld beruhigen.
„Natürlich ruckelt es bei der größten Impfkampagne der Geschichte“, und natürlich stelle sich heraus, dass nicht jede Entscheidung richtig gewesen sei, sagt Spahn, ohne konkreter zu werden. Der Grund für den Impfstoffmangel zu Jahresbeginn seien aber nicht fehlende Verträge mit Herstellern, sondern fehlende Produktionskapazitäten. Spahn erneuert sein Versprechen, „im Sommer allen ein Impfangebot zu machen“. Eindringlich wirbt er um Vertrauen und Geduld.
Die anderen Parteien wollen ihm das so nicht durchgehen lassen. Die SPD hatte Spahn einen Katalog mit kritischen Fragen vorgelegt. „Unsere Fragen sind nicht unanständig und auch keine Majestätsbeleidigung“, sagt SPD-Politikerin Bärbel Bas im Plenum. Es dürfe auch ein Koalitionspartner kritisch fragen, ob die Regierung wirklich alles getan habe, um genügend Impfstoff zu beschaffen. „Man kann sich fragen, warum die EU 750 Milliarden Euro für Wirtschaftshilfen zur Verfügung stellt, aber bei der Impfstoffbeschaffung knausert“, ruft auch FDP-Chef Christian Lindner. Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali wirft Spahn „Chaos“bei der Vergabe von Impfterminen vor, die er mit den Ländern besser hätte koordinieren müssen. Und AfD-Redner Sebastian Münzenmayer zielt ganz unter die Gürtellinie, spricht Spahn die Fähigkeit zum Kanzler ab: „Bei Ihnen reicht es allenfalls zum Pförtner.“