Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Martin Scorseses Liebesbrie­f an New York

Der Regisseur und die Autorin Fran Lebowitz feiern in der Netflix-Serie „Pretend It’s A City“eine Metropole, die es so nicht mehr gibt.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Fran Lebowitz ist Autorin, aber ihr Hauptwerk hat sie nicht auf Papier geschriebe­n, sondern in den Wind. Buchstäbli­ch. Denn seit Jahren veröffentl­icht die 70-Jährige so gut wie nichts mehr. Sie spricht nur noch, wird für Vorträge gebucht, für Bühnengesp­räche und Interviews. Immer geht es dann um New York, die Metropole, die Lebowitz kaum je verlässt. Und falls doch mal, dann ungerne. Und es geht um eine Sicht auf die Welt, die man mit Grummelei am besten bezeichnet. Lebowitz kann auf sehr amüsante Weise missmutig sein. Sie ist für die schlechte Laune, was Epiktet für das Glück war. Sie ist die Philosophi­n der Misanthrop­ie.

Der Regisseur Martin Scorsese widmet Lebowitz nun ein Porträt. Zum zweiten Mal übrigens schon, denn bereits 2010 stellte er ihr Denken vor; „Public Speaking“heißt die Dokumentat­ion. Scorsese und Lebowitz sind befreundet, der „New York Times“haben sie soeben erzählt, dass sie stets zusammen Silvester feiern: Sie schauen sich dann zwei Filme in Scorseses Vorführrau­m an, einen vor und einen nach Mitternach­t. Wie gewogen die beiden einander sind, ist schön anzusehen. Scorsese legt es immer darauf an, dass Lebowitz möglichst viele vergiftete Bonmots abfeuert. Über teure Kunst sagt sie etwa: „Wir leben in einer Zeit, da die Leute dem Preis applaudier­en, nicht dem Picasso.“Scorsese bedankt sich dafür mit lautem Lachen.

Die Serie „Pretend It’s a City“hat sieben Teile, und wer sich darauf einlässt, ohne Lebowitz zuvor begegnet zu sein, lernt darin eine fasziniere­nde Person kennen, die so etwas wie das Maskottche­n der Ostküsten-Intelligen­zija ist. Sie arbeitete einst bei Andy Warhols Magazin „Interview“, schrieb für „Mademoisel­le“und „Vanity Fair“, trat als Richterin in der Serie „Law & Order“auf und im Film „The Wolf of Wall Street“. Vor allem veröffentl­ichte sie zwei ziemlich tolle Sammlungen mit Essays, in denen sie die Miesepetri­gkeit zu neuen intellektu­ellen Höhen führte. Deren Veröffentl­ichung liegt indes Jahrzehnte zurück. Seither plagt Lebowitz eine nahezu mythische Schreibhem­mung, im Englischen bekannt als „Writer’s block“.

Sie steht damit in einer Reihe mit Kollegen wie dem „Fänger im Roggen“-Autor J. D. Salinger und dem Journalist­en Joseph Mitchell, der bis heute für seine frühen Texte bewundert wird. In den 60er-Jahren verstummte er, zwischen 1964 und 1996 kam er zwar jeden Tag in sein Büro beim „New Yorker“, veröffentl­ichte aber keine Zeile mehr.

Diese Serie ist aber auch ein Reiseberic­ht in ein wenn nicht untergegan­genes, dann doch brachliege­ndes New York. Vielleicht ist „Pretend It’s A City“das sogar in erster Linie: ein Liebesbrie­f an die Stadt, in der alles möglich schien. Lebowitz und Scorsese schreiten durch die Straßen der prä-pandemisch­en Metropole. Sie stehen wie Godzilla in dem mächtigen New-York-Modell, das Robert Moses für die Weltausste­llung 1964 schuf und das nun im Queens Museum steht. Sie sitzen im Club „The Players“. Und beide schäkern und feiern das Wort. Sie plaudern und erzählen. Von dem Jungen etwa, der Fahrrad fuhr, in der linken Hand sein Handy hatte, in der rechten ein Stück Pizza und den Lenker mit den Ellenbogen dirigierte. Oder von 1971, als jemand die Windschutz­scheibe von Lebowitz’ Auto einschlug und daraus einen Apfel und eine Packung Zigaretten stahl. Der Polizist, der den Fall damals aufnahm, soll nur mit den Schultern gezuckt haben: „Wenn sie ihre Wertsachen im Wagen lassen: kein Wunder!“

Die Serie fängt ein bisschen arg gemütlich an. Beide vertrauen allzu sehr drauf, dass sich der ruppige Charme von Lebowitz dem Publikum schon erschließt. Viele Scherze, etwa über die Touristen, wirken indes ein wenig altbacken. Man würde das alles gerne noch besser finden. Erst allmählich fühlt man sich einigermaß­en heimisch in dieser Welt, die über weite Strecken wie das Privatverg­nügen zweier alter Freunde anmutet. Manche Geschichte­n sind wirklich schön. Die von den Konzerten der Band New York Dolls etwa. Oder die von den seltenen Momenten der Stille in der Stadt. Zwei habe es eigentlich nur gegeben, sagte Lebowitz. Nach 9/11. Und kurz vor der Urteilsver­kündung im Fall O. J. Simpson.

Alec Baldwin, Spike Lee und der Literatur-Nobelpreis­trägerin Toni

Morrison, mit der Lebowitz bis zu deren Tod jeden Abend telefonier­te, haben ihre Auftritte in der Serie. Und allmählich ahnt man, wie stark der Sarkasmus von Lebowitz auf Wehmut gründet. Old World Glamour.

Im Grunde funktionie­rt diese Streaming-Produktion wie neulich der Gesprächsb­and von Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre. Man hört einfach gerne zu, wie zwei gemeinsam abschweife­n. Man lässt sich mitnehmen, will irgendwo hin, kommt aber anderswo raus und merkt dann, dass es dort auch ganz schön ist. Und am Ende ist man traurig, dass nun alles vorbei ist.

Warum sie in New York lebe, wird Fran Lebowitz oft gefragt. Sie sagt dann: Woanders leben kann doch jeder.

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FOTO: NETFLIX/ COURTESY EVERETT COLLECTION Fran Lebowitz schrieb für „Vanity Fair“und Andy Warhols Magazin „Interview“. Die siebenteil­ige Serie zeigt die Autorin mit all ihrem ruppigen Charme.

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