Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Blues als Soundtrack des Lebens
„Ma Rainey’s Black Bottom“zeigt Chadwick Boseman in seiner letzten Rolle.
„Der Blues hilft mir, morgens aus dem Bett zu kommen. Du stehst auf und bist nicht allein“, beschreibt Ma Rainey ihre Liebe zu der Musik. Wenn sie ihr nicht unbeträchtliches Hinterteil, ihren Black Bottom, schwingt, reißt es die Zuhörer aus den Sitzen. Sie singt den Blues nicht nur, sie lebt ihn, schwitzt ihn aus jeder Pore aus, was ihr Makeup teils grotesk verlaufen lässt. Sie hat nicht nur jede Menge Gold auf den Zähnen, sondern auch entsprechend viele Haare. Und wenn sie zur Schallplattenaufnahme nach Chicago reist, muss alles so laufen, wie sie es will. Erst schlüpft die eigenwillige Ma Rainey, die Viola Davis grandios verkörpert, in ihre Hauspantoffel, dann trinkt sie eine kalte Coca Cola – und erst dann singt sie.
USA in den 1920er-Jahren: Die schwarze Bevölkerung des Südens zog es in den urbanen Norden. Der Blues wurde die Musik dieser großen Migration. Die Arbeiter der Plantagen suchten neue Möglichkeiten, stießen aber auch im Norden auf die gleichen Ungerechtigkeiten und Unterdrückungsmechanismen wie im Süden.
Die Studios verdienten in der Zeit sehr viel Geld mit schwarzer Musik. Aber Ma Raineys Musiker werden schlecht bezahlt für die Sessions im
Tonstudio. Während sie auf die Diva im Kellergeschoss des Studios warten und proben, offenbaren sie ihre resignative Haltung und lassen den Flachmann kreisen. Nur der junge Levee unterscheidet sich: Er ist hibbelig und ehrgeizig, ein Energiebündel, der es kaum erwarten kann, seine eigenen Arrangements mit Ma Rainey aufzunehmen. Chadwick Boseman glänzt hier in seiner letzten Rolle. Der „Black Panther“-Star starb im August 2020 gerade einmal 43-jährig an Krebs. Und fast möchte man seinen großen Monolog des Films, seine Anklage an Gott, als sein Vermächtnis sehen. Eine Oscar-Nominierung für diese Leistung scheint so gut wie sicher.
Der Film entstand nach einem Theaterstück von August Wilson, der häufig die Ausbeutung der afroamerikanischen Bevölkerung thematisierte. Die Verfilmung, inszeniert von Theaterregisseur George C. Wolfe, bleibt nah an der Vorlage und lässt die Handlung in einer kammerspielartigen Atmosphäre spielen. Manche Monologe scheinen da arg lang, aber die Dialoge sind so brillant und geschliffen, dass es eine Freude ist, ihnen zu lauschen und sich darauf einzulassen. Dazu schafft Jazz-Saxophonist Branford Marsalis einen schmissigen Soundtrack, von dem man gerne mehr hören würde.
„Es ist unsere Geschichte, unser Schmerz, unsere Flucht, unser Streben nach Besserem“, fasst Denzel Washington in der ebenfalls auf Netflix zu sehenden Doku zum Film zusammen. Er hat mit „Fences“bereits ein anderes Stück von August Wilson erfolgreich verfilmt, damals noch die Hauptrolle gespielt und Regie geführt. Nun tritt er als Produzent auf. In „Fences“als seine Ehefrau an seiner Seite: Viola Davis. Sie gewann für die Rolle einen Oscar und wird auch für ihre faszinierende, ambivalente Ma Rainey als heiße Kandidatin für den Preis gehandelt.
„Ma Rainey’s Black Bottom“läuft bei Netflix.