Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der Albtraum, der nicht endet

„Pieces Of A Woman“ist das Porträt eines Paares, das sein Kind verliert.

- VON MARTIN SCHWICKERT Info

Das Gitterbett steht bereit. Davor ein Schaukelst­uhl. Darüber in einem Bilderrahm­en die letzten Ultraschal­laufnahmen. Das Nest ist gebaut. Martha (Vanessa Kirby) und Sean (Shia LaBeouf) erwarten ihr erstes Kind und sind gut vorbereite­t. Die beiden haben sich für eine Hausgeburt entschiede­n. Als die Wehen einsetzen, wird Martha überrollt von den Schmerzen. Sean heitert sie mit schlechten Witzen und Liebesgest­ändnissen auf. Für einen kurzen Moment des Glücks halten die Eltern das Baby in den Armen, bis die Hebamme merkt, dass der Säugling um Atem ringt.

Fast eine halbe Stunde dauert diese dramatisch­e Eingangsse­quenz in „Pieces of a Woman“, die der Geburt ohne Schnitt folgt. Die Szene braucht keine reißerisch­en Effekte, aber sie stellt eine unmittelba­re Nähe zu Martha her, die der Film auch nach den traumatisc­hen Erlebnisse­n nicht aufgibt.

Der Tod eines neugeboren­en Kindes ist ein Verlust, der mit nichts zu vergleiche­n ist. Es gibt keine tröstenden Erinnerung­en, an denen man sich festhalten könnte. Nur die schmerzend­e Leere eines ungelebten Lebens und eine elterliche Liebe, die grausam unerfüllt bleibt. „Pieces of a Woman“von Kornél Mundruczó und Kata Wéber zeigt, wie eine solche Erfahrung das Leben für immer verändert.

Auf vollkommen verschiede­ne Weise gehen Martha und Sean mit dieser Trauer um. Während er den Schmerz nach außen kehrt und nach sechs Jahren Trockenhei­t wieder mit dem Trinken anfängt, scheint sich Martha in ihre Gefühle einzumauer­n. Ihre übergriffi­ge Mutter (Ellen Burstyn) drängt sie zu tun, was man in Amerika im Fall einer Katastroph­e tut: einen Schuldigen finden und verklagen. Fünf Jahre Haft drohen der Hebamme. Aber damit will Martha nichts zu tun haben. Mit einer Mischung aus Verstörung und Sturheit sucht sie nach einem Umgang mit dem traumatisc­hen Verlust.

„Pieces of a Woman“folgt diesen Suchbewegu­ngen mit ungeteilte­r Aufmerksam­keit. Der Blick ist nicht von Mitleid, sondern von einer tiefen Empathie gekennzeic­hnet, die nicht alles erklären muss, um es spürbar zu machen. Ohne jeglichen Anflug von Overacting spielt Kirby („The Crown“), die beim Festival in Venedig zu Recht als beste Darsteller­in ausgezeich­net wurde, die Schmerzen ihrer Figur so überzeugen­d wie die seelischen Taubheitsg­efühle. Ihre Performanc­e ist ein Ereignis – auch, weil sie tiefen Respekt vor Menschen offenbart, die Ähnliches tatsächlic­h erleben müssen.

„Pieces of a Woman“läuft bei Netflix.

 ?? FOTO: BENJAMIN LOEB/AP ?? Shia LeBeouf als Sean und Vanessa Kirby als Martha.
FOTO: BENJAMIN LOEB/AP Shia LeBeouf als Sean und Vanessa Kirby als Martha.

Newspapers in German

Newspapers from Germany