Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Kampf um die Kneipe

Im zweiten Lockdown geht es für die Wirte um das finanziell­e Überleben. Manche haben schon ihre Türen geschlosse­n.

- VON VIKTOR MARINOV UND UNSEREN LOKALREDAK­TIONEN

DÜSSELDORF Als Bärbel Matthias die Tür ihrer Gaststätte am 1.November vergangene­n Jahres hinter sich schloss, wusste sie nicht, dass sie sich damit von dem Geschäft verabschie­dete. „Zu den vier Winden“ist die älteste Kneipe in Kleve. Seit 350 Jahren steht das alte Haus dort, wo sich die Merowinger­straße und die Lindenalle­e kreuzen. Damals war es noch ein klassische­r Hof vor den Toren der Stadt. Der Wind, der aus allen Richtungen pfiff, gab ihm seinen Namen. Seit 1934 betrieb die Familie Matthias die Kneipe. 2021 entschloss­en sich Bärbel und ihr Ehemann Christian, dieser Geschichte ein Ende zu setzen.

Gäbe es eine rote Liste mit den Berufen,

Das Geld, das für den Ausgleich sorgen sollte, kam mit einem Verzug von drei Monaten an

die vom Aussterben bedroht sind, stünden Kneipenbes­itzer darauf aktuell ganz vorne. Die Probleme der Wirte sind ähnlich, die Folgen unterschei­den sich. Überall kommen die Staatshilf­en nur langsam an. Die laufenden Kosten laufen weiter. Das Personal ist in Kurzarbeit, die Aushilfen stehen oft ganz ohne Einkommen da. Manche Kneipenbes­itzer sind optimistis­ch und kämpfen weiter für ihr Geschäft. Viele sind frustriert. Einige haben aufgegeben.

„Das Virus und der Lockdown haben einen Vorteil: Wir mussten uns nicht von Angesicht zu Angesicht von unseren Gästen verabschie­den. Das hätten wir nicht übers Herz gebracht“, sagt Bärbel Matthias. Die Entscheidu­ng war nicht überstürzt, schon seit Jahren lief es in der ältesten Kneipe in Kleve nicht mehr so gut wie früher. „Lange aufbleiben und dabei noch Bier trinken, welcher Berufstäti­ge kann sich das denn heute noch leisten?“, fragt Matthias lakonisch.

Schon in den vergangene­n 20 bis 30 Jahren sei die Zahl der Kneipen immer mehr geschrumpf­t, sagt Thorsten Hellwig, Sprecher des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbands NRW (Dehoga). Die jetzige

Situation sei aber besonders prekär. Eine Umfrage des Verbands zeigt: Im Gastgewerb­e sehen sich drei von vier Unternehme­rn in ihrer Existenz bedroht. Jeder Vierte überlegt sogar konkret, den Betrieb zu schließen. Diese Zahlen, sagt Hellwig, gälten auch für die Kneipen.

Dass seine Existenz bedroht ist, spürt Jan Aretz schon lange. „Wir haben jetzt den fünften Monat der vergangene­n zwölf Monate geschlosse­n“, sagt er. Seine Kneipe, der „Blaue Engel“, ist eine Institutio­n in Krefeld. Das Geld für seine Miete verdient Aretz momentan auf dem Bau. Der gelernte Tischler hat bei einem Freund einen Job gefunden. „Für den ‚Engel’ sieht es schlecht aus“, sagt Aretz. 28.000 Euro bräuchte er, um seine Rechnungen bis Ostern bezahlen zu können. Dafür hat er eine Finanzieru­ngskampagn­e auf der Plattform Startnext ins Leben gerufen. Bisher sind 9000 Euro zusammenge­kommen.

Nicht nur Aretz begreift die Gesellscha­ft als letztes soziales Netz, das seine Gaststätte retten kann. Wäre dieses Netz nicht da, würde es den „Kulturbahn­hof“in Kempen nicht mehr geben. Wirte-Ehepaar Marianne und Frank Tophoven war schon im ersten Lockdown im Frühjahr vergangene­n Jahres auf Spenden angewiesen. „Als die

Schließung im zweiten Lockdown bekannt wurde, hatte ich den einen oder anderen weinenden Gast an der Theke sitzen“, sagt Marianne Tophoven. Manche warfen das Geld direkt in den Briefkaste­n, bis die Wirte dafür ein Konto einrichtet­en. „Das freut und rührt einen natürlich“, sagt Tophoven.

Das Problem von Aretz, Tophoven und den anderen Wirten geht auf eine einfache Rechnung zurück: Sie haben jeden Monat Kosten, aber keine Umsätze. Zwar sind manche Mieter in der Region nachsichti­g mit den Wirten, aber längst nicht alle. Für Marianne Tophoven kommen im Monat bis zu 5000 Euro allein an laufenden Kosten zusammen. Dabei hatte der Bund finanziell­e Unterstütz­ung versproche­n. Doch das Geld, das für einen Ausgleich sorgen sollte, kommt nun erst mit einem Verzug von drei Monaten an.

Erst diese Woche erklärte das Bundeswirt­schaftsmin­isterium in einer Pressemitt­eilung, dass die vollständi­ge Auszahlung der Novemberhi­lfe starten könne. „Endlich“, sagt Thorsten Hellwig vom Dehoga. Er sagt aber auch: „Die Hilfen wurden schon am 28. Oktober angekündig­t und werden Ende Januar vielleicht angekommen sein.“

Für Rolf Zingsem aus Mönchengla­dbach dauerte das zu lange. Auch er hat seine Kneipe geschlosse­n. Lange war die Zukunft für das „Alt Eicken“ungewiss, Zingsem suchte bereits seit 2016 einen Pächter. „Wir haben so viel Herzblut ins Lokal gesteckt, da wollten wir es guten Gewissens übergeben“, sagt Zingsem. Kurz sah es so aus, als ob es endlich klappen würde, der perfekte Nachfolger war schon gefunden – dann sprang er aber doch wegen der Pandemie im letzten Moment ab. „Am Ende hat Corona die Entscheidu­ng für uns getroffen“, sagt Zingsem.

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FOTO: NORBERT PRÜMEN Marianne Tophoven verdankt das Überleben des „Kulturbahn­hofs“in Kempen den Spenden ihrer Stammgäste.
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FOTO: THOMAS LAMMERTZ „Für den ‚Engel’ sieht es schlecht aus“, sagt Jan Aretz von der Krefelder Kultkneipe „Blauer Engel“.
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FOTO: DETLEF ILGNER Wirt Rolf Zingsem hat das „Alt Eicken“in Mönchengla­dbach geschlosse­n, wegen der Pandemie sprang ein Nachfolger ab.
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FOTO: MARKUS VAN OFFERN Bärbel Matthias wird die Gaststätte „Zu den vier Winden“– die älteste Kneipe in Kleve – nicht mehr öffnen.

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