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„Schreiben ist keine One-Man-Show“

Der Autor schrieb das hierzuland­e erfolgreic­hste Buch 2020. Ein Gespräch über romantisch­e Schriftste­llerträume und die Wirklichke­it.

- FOTO: FRANK MAY/DPA

BERLIN Im Fußball würde man es einen Hattrick nennen, in der deutschen Literatur heißt es Sebastian Fitzek. Denn zum dritten Mal in Folge hat der 49-jährige Thrillerau­tor den meistverka­uften Roman des Jahres geschriebe­n. Es scheint also, als würde Fitzek das Geheimnis kennen, wie Bestseller funktionie­ren.

Herr Fitzek, wie und womit verbringt Deutschlan­ds erfolgreic­hster Autor den zweiten Lockdown?

FITZEK Na ja, ich bin derzeit mehr ein interessie­rter Beobachter des Weltgesche­hens. Und ich muss eigentlich aufpassen, dass ich nicht zu viel Zeit damit verbringe, mich mit Dingen zu beschäftig­en, die mich zumindest in meiner Arbeit nicht weiterbrin­gen. Etwa das genaue Corona-Ranking täglich zu verfolgen, wo wir jetzt im Vergleich etwa zu Großbritan­nien, zu Israel und den Vereinigte­n Staaten stehen.

Sie sind mitten in der Arbeit an einem neuen Thriller. Wann erkennen Sie, ob die Handlung tatsächlic­h funktionie­rt oder nicht?

FITZEK Ich beginne immer erst zu schreiben, wenn ich ein 20-seitiges Exposé habe und glaube, die Figuren zu kennen. Die Betonung liegt auf „glaube“, weil ich inzwischen gelernt habe, dass die Figuren ab einem gewissen Punkt nicht mehr von mir bestimmt sind. Ich schaffe einen Konflikt mit hoffentlic­h interessan­ten Figuren, dann schmeiße ich sie ins kalte Wasser und beobachte, wie sie mit der Situation umgehen. Irgendwann gebe ich das Manuskript dann ab, wohl wissend, dass ein Buch nie fertig ist, sondern immer nur eine Momentaufn­ahme bleibt. Für mich ist ein Buch aber abgeschlos­sen, wenn ich meine, dass ich es selbst gerne lesen würde – und dass es anderen vielleicht genauso geht.

Eine Art von Gewissheit, dass ein Buch funktionie­ren könnte, gibt es also nicht?

FITZEK Es gibt kein Funktionie­ren im künstleris­chen Bereich. Es gibt keine Garantien, kein Rezept. Sicher ist nur, dass am Ende ein Erkenntnis­prozess steht. Wäre es anders, gäbe es keine Flops mehr.

Wer keine Zweifel hat, wird wohl nie ein gutes Buch schreiben können.

FITZEK Genauso ist es. Man schreibt immer nur ein gutes Buch, wenn man überrascht wird und sich überrasche­n lässt. Man kann also nie einfach nur nach Schema-F arbeiten. Das heißt aber auch nicht, dass alles Unvorherge­sehene von vornherein gut sein muss. Aber wir schauen ständig nach dem Ungewöhnli­chen. Ich empfehle selbst zum Beispiel Bücher, die mit meinen herzlich wenig gemein haben, weil ich gar nicht auf der Suche bin nach etwas, das so ähnlich ist wie das, was ich schreibe.

Im Sammelband „Identität 1142“haben Sie als Herausgebe­r und Inspirator an alle Autoren gleiche Vorgaben gemacht wie: Der Erzähler findet ein Handy, auf dem Bilder von ihm sind, er hat ein dunkles Geheimnis und wird von Rache angetriebe­n. Das hört sich nach einem der klassische­n Schreibspi­ele an, wie wir sie damals auch an der Uni praktizier­ten.

FITZEK Zunächst wollte ich für das Projekt ein paar Eckpfeiler aufstellen. Wobei schnell die Sorge aufkam, dass dann alle Texte irgendwie gleich klingen. Doch alle Geschichte­n

unterschei­den sich stark voneinande­r. Es entstehen immer wieder neue Geschichte­n, wie ja auch immer wieder andere Lieder entstehen, obgleich die Anzahl der Töne begrenzt ist.

Und wie kommt man zu immer wieder neuen Kombinatio­nen?

FITZEK Schon in meinem Jura-Studium habe ich gelernt, absurde Standpunkt­e und ganz andere Perspektiv­en einzunehme­n. Das hilft beim Gestalten von Geschichte­n, einfach mal Kausalzusa­mmenhänge in Frage zu stellen.

Vor 15 Jahren erschien „Die Therapie“, ihr erster Roman. Wie groß ist die Gefahr, dass sich langsam auch ein bisschen Routine einschleic­ht?

FITZEK Der Beruf des Schriftste­llers ist ganz anders, als ich mir das damals so vorgestell­t habe. Ich hatte eine sehr romantisch­e Sicht auf die Dinge und habe mich in Klischees hineingetr­äumt, einsam irgendwo in einer Hütte auf einen Waldsee schauend zu schreiben.

Das ist etwa nicht so?

FITZEK Na ja, ich musste schnell begreifen, dass das Schreiben keine One-Man-Show ist. Viele Menschen sind bei der Entstehung eines Buches dabei – wie der Verleger, der Lektor, der Korrektor, der Buchhändle­r und so weiter. Wenn man einer ist, der wie ich gerne Geschichte­n erzählt, dann fließt Kreativitä­t nicht nur in das, was zwischen zwei Buchdeckel gepresst wird. Auch Lesungen sind keine Verkaufsve­ranstaltun­gen, sondern wollen intelligen­t inszeniert und arrangiert sein. Darum versuche ich, bei jedem neuen Buch die Routine aufzubrech­en. Das fängt manchmal im Kleinen an, wie etwa in „Der Augensamml­er“die Seitenzähl­ung einfach mal rückwärts laufen zu lassen, wie bei einem Countdown. Das hat zunächst für große Verwirrung gesorgt, und die Buchhändle­r haben den Thriller massenhaft zurückgesc­hickt, weil sie glaubten, es seien Fehldrucke. Ich probiere, immer etwas Neues zu finden, was das Buch von den anderen unterschei­det, und mache dann Dinge, bei denen sich Marketings­trategen nur die Haare raufen würden.

Wobei Sie sich das als Deutschlan­ds erfolgreic­hster Autor auch leisten können. Zunächst kaufen die Leser ein Buch, weil oben der Name Sebastian Fitzek steht.

FITZEK Das stimmt natürlich. Und

das ist auch ein großes Glück – etwa gegenüber allen Newcomern, die es in Corona-Zeiten noch schwerer haben als sonst. Ich hatte damals, 2006, das Glück, dass durch ein paar Besprechun­gen im Internet plötzlich ein kleiner Hype um mein Buch entstand, das im Buchhandel eigentlich gar nicht so richtig vorkam, weil es nur zögerlich bestellt worden war. Glück ist wichtig.

Also gar nicht so sehr das Genie und der Fleiß?

FITZEK Wenn jemand Erfolg hat, hat er in der Regel auch sehr viel dafür gearbeitet. Und so empfindet er es am Ende als eine gerechte Belohnung des Universums, dass er mit Erfolg beschenkt wird. Was er nicht bedenkt, ist, dass auch sehr viele andere sehr viel gearbeitet haben und ihnen am Ende oft nur eben dieser eine Faktor fehlt: nämlich das Glück. So wie ich das Glück hatte, zum entscheide­nden Zeitpunkt mit dem Buch in die richtigen Hände, besser: zu der richtigen Buchhändle­rin gelangt zu sein und den richtigen Kunden empfohlen wurde.

Und wahrschein­lich ist das ein großer Vorteil in Lockdown-Zeiten. FITZEK Nein. Es ist schlecht, denn der Buchmarkt lebt und blüht insgesamt nur, wenn immer neue Bücher von Newcomern auf den Markt kommen. Auch ich hätte damals keine Chance gehabt, wenn es nicht andere Bestseller vor mir gegeben hätte und Verlage nicht experiment­ierfreudig gewesen wären.

LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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Sebastian Fitzek sagt, dass auf dem Markt gutes Schreiben allein ohne Glück nicht bestehen kann.

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