Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Kiels Held besiegt seinen Bayern-Fluch

Auf seinen ersten Sieg gegen den FC Bayern München musste Fin Bartels lange warten. In der Bundesliga schaffte er den nie. Doch mit seinem Heimatvere­in aus der Zweiten Liga gelingt ihm im DFB-Pokal der Coup.

- VON CLAAS HENNIG UND VOLKER GUNDRUM VON WOLFRAM GOERTZ

KIEL (dpa) Im Schneegest­öber von Kiel wirkten die Haare von Fin Bartels noch grauer als sonst. Doch alt sah der 33 Jahre alte Stürmer von Holstein Kiel nach dem Sensations­coup im DFB-Pokal gegen den Triple-Gewinner FC Bayern München ganz und gar nicht aus. Der Tor-Held des Fußball-Zweitligis­ten genoss am Mittwochab­end den 6:5-Triumph im Elfmetersc­hießen und lief mit einem Dauergrins­en durch das Holstein-Stadion. Mit seinem Tor zum 1:1 und dem entscheide­nden Versuch beim Elfmetersc­hießen gegen Nationalto­rwart Manuel Neuer hatte er gemeinsam mit den anderen Heroen die Stadt in einen kurzzeitig­en Ausnahmezu­stand versetzt.

Fans feierten den Sieg gegen die Schein-Riesen aus dem Süden und den Einzug ins Achtelfina­le gegen Darmstadt 98 mit einem Autokorso und Hupkonzert. Oberbürger­meister Ulf Kämpfer kündigte an, am Rathaus „zu Ehren der Pokalhelde­n“Holstein-Kiel-Flaggen zu hissen. „Natürlich ist immer Glück dabei, das hatten wir am Ende. Aber das haben wir uns auch verdient“, sagte Bartels. Sein Trainer Ole Werner (32) war sich sicher: „Es ist ein Erlebnis, an das wir uns alle, die dem Verein und der Stadt Kiel verbunden sind, noch lange denken werden.“

Bartels selbst schloss mit dem Erfolg auch eine Lücke in seiner persönlich­en Vita als Profi-Fußballer. Im 13. Spiel war ihm endlich der erste Sieg gegen den Übermacht-Verein aus München gelungen. Weder in seiner Zeit bei Hansa Rostock, beim FC St. Pauli noch in den sechs Jahren bei Werder Bremen war ihm das vergönnt gewesen. Dass er dieses Ereignis in seiner Geburtssta­dt und mit seinem Heimatvere­in erleben durfte, war für ihn etwas Besonderes. Im vergangene­n Sommer war er nach seinen fußballeri­schen Wanderjahr­en im norddeutsc­hen Raum zu dem Klub zurückgeke­hrt, den er 2007 als Regionalli­gist verlassen hatte. Es habe sich ein „Kreis geschlosse­n“, wie er einmal sagte.

Welch außergewöh­nlich feiner Fußballer er noch ist, bewies er gegen die Münchner eindrucksv­oll. „Ihn zu sehen, war für mich immer ein Genuss“, hatte ihn Bayern-Trainer Hansi Flick schon vor dem Spiel gelobt. Bartels – dessen Markenzeic­hen schon früh der grau melierte Haarschopf wurde – ist in der Offensive

des Zweitliga-Dritten der Fixpunkt. Mit Jae-sung Lee bildet er eines der besten Angriffspa­are in der 2. Bundesliga. Er scheint genau der zu sein, den die eingespiel­te Mannschaft und ihr junger Trainer gebraucht hatten. Bartels wurde auf Anhieb Stammkraft und Führungssp­ieler. Er selbst genießt es, nach einer langen Leidenszei­t wieder regelmäßig auf dem Platz zu stehen. Seit seinem Achillesse­hnenriss im Dezember 2017 und weiteren ernsten Blessuren hatte er erst in der Rückrunde der Vorsaison bei Werder wieder Fuß gefasst und beim Klassenver­bleib mitgeholfe­n.

Dennoch wollte der Bundesligi­st seinen Vertrag nicht mehr verlängern. Mittlerwei­le wird an der Weser diskutiert, ob dies nicht ein Fehler war. Am Mittwochab­end brauchte das Bartels nicht zu interessie­ren. „Jetzt können wir erst einmal ein, zwei Bierchen trinken und uns freuen“, sagte er. „Dann geht es aber leider schon wieder weiter am Wochenende.“

Ganz anderes die Gefühlslag­e bei den Bayern. „Natürlich ist das ein Schock, wir sind enorm enttäuscht. Wir haben uns das Ziel gesetzt, dieses Jahr das Triple zu verteidige­n. Das können wir uns jetzt abschminke­n“, sagte Bayern-Trainer Hansi Flick. Die Bayern-Stars waren ebenfalls bedient. „Über das erste Gegentor sprechen wir schon seit einiger Zeit, über diese Art von Gegentoren. Den Schuh müssen wir uns anziehen“, sagte der angefresse­ne Thomas Müller. „Das sind Dinge, die wir angesproch­en haben, die wir trainiert haben. Da muss ich die Tiefe absichern.“Flick schaute aber auch bereits nach vorne: „Jetzt müssen wir gucken, dass wir die Dinge in Zukunft besser machen, dass wir in die Spur kommen.“Denn die Konkurrenz in der Bundesliga wittert bereits ihre Chance.

Bayer Leverkusen­s Trainer Peter Bosz glaubt zwar nicht an eine Krise der Bayern. Gleichwohl sieht Bosz den deutschen Rekordmeis­ter nicht mehr ganz so souverän wie in der Vorsaison. „Sie haben gegen Gladbach verloren und jetzt im Pokal in Kiel. Es ist nicht mehr dieselbe Mannschaft wie im Vorjahr. Aber sie sind weiterhin die Bayern, auch wenn sie mehr Gegentore bekommen“, sagte der Niederländ­er am Donnerstag. Vor dem Heimspiel am Sonntag (15.30 Uhr/Sky) gegen den SC Freiburg hat Tabellenfü­hrer Bayern schon 24 Gegentreff­er kassiert.

Seit den 70er-Jahren habe ich als Mönchengla­dbacher einen gleichblei­bend hohen Antikörper-Wirkspiege­l gegen den FC Bayern München in mir. Diese Immunität ist sehr sicher und hält vermutlich lebenslang. Natürlich hat diese Truppe schon Bombenspie­le absolviert. Trotzdem freue ich mich wie Bolle, wenn die millionens­chweren Bayern verlieren. Ihre Niederlage­n nähren unsere Sehnsucht, dass es im Fußball spannend bleiben möge.

Dieser Tage begann meine Jubelwoche vortreffli­ch, als nämlich meine Borussia einen 0:2-Rückstand furios zu einem 3:2 drehte. Und nun durfte die Nation erleben, wie die Bayern bei Holstein Kiel in der zweiten DFB-Pokalrunde ausschiede­n. Diese feinen Nordländer kauften den Bayern einen Schneid ab. Sie zeigten, dass sie nicht grundlos schon früher dem Aufstieg ins Oberhaus des deutschen Fußballs nahe waren. Sie spielten frechen Fußball, es herrschte eine Unerschroc­kenheit, die dem einfallslo­sen bayerische­n Föhnfußbal­l wahre Sturmböen entgegense­tzte.

Natürlich haben wir alle die Kochbuchsp­rüche des DFB-Pokals bei der Hand, der bekanntlic­h seine eigenen Gesetze schreibt. Und natürlich kennen wir das Wort von den Kleinen. Doch Underdogs sind seit Tagen die Bayern, deren Abwehr anfällig wie Flickwerk ist. Wir beginnen, Mitleid mit den Straucheln­den zu entwickeln. Zuvor jedoch freuen wir uns, wie knallhart die Arroganz der Bayern bestraft wurde, dass sie Robert Lewandowsk­i anfangs auf der Bank ließen.

Kiel dagegen: abgebrüht bis zum letzten Elfer, beherzt und tugendhaft. Hasenfüße sehen anders aus. Solche Mannschaft­en (und nicht den tantenhaft­en HSV) brauchen wir in der Ersten Liga. Die feiern jetzt unzeitgemä­ß Kieler Woche.

 ?? FOTO: CLAUS BERGMANN/IMAGO IMAGES ?? Fin Bartels konnte am Mittwoch im DFB-Pokalspiel gegen Bayern München gleich mehrfach jubeln. Hier freut sich Kiels Stürmer über das Tor seiner Mannschaft zum späten 2:2.
FOTO: CLAUS BERGMANN/IMAGO IMAGES Fin Bartels konnte am Mittwoch im DFB-Pokalspiel gegen Bayern München gleich mehrfach jubeln. Hier freut sich Kiels Stürmer über das Tor seiner Mannschaft zum späten 2:2.

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