Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Jeder Patient könnte ein Todbringer sein“
Rüdiger Dohmann ist Orthopäde und behandelt bis zu 80 Menschen am Tag. Er macht der Regierung Vorwürfe.
STADTMITTE Literweise Desinfektionsmittel verbrauchen Rüdiger Dohmann und sein Team zurzeit, nach jedem Patienten werden Flächen gesäubert, die Hände peinlich genau gereinigt, die Fenster weit aufgerissen. „Wir sind nicht an vorderster Front“, sagt der 56-Jährige, „aber wir sehen viele Menschen in der Praxis.“Bis zu 80 Patienten behandelt der Orthopäde am Tag, davon viele Hochbetagte. Gerade im Winter macht das nasskalte Wetter den älteren Knochen zu schaffen.
Jeder, der einen Termin hat, „könnte ein Todbringer sein“, sagt Dohmann, der zwar keine Angst hat, sich mit dem Coronavirus anzustecken, der aber sehr aufmerksam ist – vor allem mit sich selbst, weil auch er Menschen infizieren könnte – seine Patienten, seine Familie, die Kinder. Im ersten Lockdown hat Dohmann etwa 50 Prozent weniger Pateinten behandelt, im Sommer waren die Terminbücher weitestgehend normal gefüllt. Jetzt liegt er bei knapp 80 Prozent Auslastung, „eigentlich zu viel“, sagt Dohmann, „aber wenn jemand Schmerzen hat, müssen wir ihm helfen“. Die Rückenbeschwerden seien mehr geworden in den letzten Monaten, das liege auch an den Heimarbeitsplätzen, die nicht immer perfekt ausgestattet sind. Dafür bleiben die Sportverletzungen aus, einen Kreuzbandriss hat Dohmann schon lange nicht mehr gesehen, und so wird das wohl auch noch eine Weile bleiben, „die meisten Skigebiete sind zu“.
Im Gespräch mit den Patienten kann Rüdiger Dohmann den Mindestabstand einhalten, wenn er Spritzen setzen oder sich Verletzungen ansehen muss, dann sind die 1,5 Meter schnell dahin. „Wir improvisieren viel“, sagt der 56-Jährige, das gilt auch für das Team. Homeoffice für die Arztpraxis ist nicht umsetzbar, „wir können nicht einen Platz anbieten“, sagt Dohmann, obwohl es Angestellte gebe, die ihre Kinder zu Hause betreuen müssen.
So langsam merkt man dem sonst so gut gelaunten Doktor die Ausnahmesituation an, die gerade vielen Menschen zu schaffen macht. Dohmann ist eigentlich eine rheinische Frohnatur, durch und durch Karnevalist, „Am Samstag wäre Prinzenball gewesen“, sagt er wehmütig und auch ein bisschen verärgert, die aktuelle Strategie der Politik „ist schlafmützig, kreativlos und konzeptionsarm“. Während in anderen Ländern schon Millionen Dosen verimpft worden seien, habe man hier darauf gewartet, bis die Europäische Arzneimittel-Agentur den Impfstoff freigibt. „Bei uns ging es um Verwaltungsfragen, ob die Infobroschüren nun in 24 Sprachen gedruckt werden oder nur auf Englisch.“
Bis zum Sommer fühlte sich Dohmann gut regiert, „wir hatten aber auch Glück“, sagt der Orthopäde und meint damit ganz konkret die vergleichsweise geringen Infektionszahlen. Ab Herbst kippte bei ihm die Stimmung, „da hätte man schon absehen können, welcher Impfstoff das Rennen macht“, sagt Dohmann,
für den es nur einen Weg gibt, die Pandemie in den Griff zu bekommen: Impfen.
Deswegen sieht er auch sich und seine Kollegen in der Pflicht. Sobald ein Impfstoff auf den Markt kommt, der nicht bei minus 70 Grad gelagert werden muss, „dann sollte jeder Arzt impfen“, sagt Dohmann. Ganz gleich, ob Orthopäde, Sportmediziner oder Gynäkologe. Alternativ sollten die niedergelassenen Kollegen in Schichten im Impfzentrum in der Arena helfen, 24 Stunden, sieben Tage die Woche. „In Israel wird es so gemacht, und Israel macht alles richtig. Das Land wird im März durch sein.“Hier werde es länger dauern, aber wenn es soweit ist, dann wird Rüdiger Dohmann als erstes wieder Menschen treffen, ohne Maske, ohne Abstand, die zufälligen Begegnungen auf der Straße oder einer Party, das Zwischenmenschliche – das hat ihm in den letzten Monaten am meisten gefehlt.