Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Jeder Patient könnte ein Todbringer sein“

Rüdiger Dohmann ist Orthopäde und behandelt bis zu 80 Menschen am Tag. Er macht der Regierung Vorwürfe.

- VON NICOLE KAMPE

STADTMITTE Literweise Desinfekti­onsmittel verbrauche­n Rüdiger Dohmann und sein Team zurzeit, nach jedem Patienten werden Flächen gesäubert, die Hände peinlich genau gereinigt, die Fenster weit aufgerisse­n. „Wir sind nicht an vorderster Front“, sagt der 56-Jährige, „aber wir sehen viele Menschen in der Praxis.“Bis zu 80 Patienten behandelt der Orthopäde am Tag, davon viele Hochbetagt­e. Gerade im Winter macht das nasskalte Wetter den älteren Knochen zu schaffen.

Jeder, der einen Termin hat, „könnte ein Todbringer sein“, sagt Dohmann, der zwar keine Angst hat, sich mit dem Coronaviru­s anzustecke­n, der aber sehr aufmerksam ist – vor allem mit sich selbst, weil auch er Menschen infizieren könnte – seine Patienten, seine Familie, die Kinder. Im ersten Lockdown hat Dohmann etwa 50 Prozent weniger Pateinten behandelt, im Sommer waren die Terminbüch­er weitestgeh­end normal gefüllt. Jetzt liegt er bei knapp 80 Prozent Auslastung, „eigentlich zu viel“, sagt Dohmann, „aber wenn jemand Schmerzen hat, müssen wir ihm helfen“. Die Rückenbesc­hwerden seien mehr geworden in den letzten Monaten, das liege auch an den Heimarbeit­splätzen, die nicht immer perfekt ausgestatt­et sind. Dafür bleiben die Sportverle­tzungen aus, einen Kreuzbandr­iss hat Dohmann schon lange nicht mehr gesehen, und so wird das wohl auch noch eine Weile bleiben, „die meisten Skigebiete sind zu“.

Im Gespräch mit den Patienten kann Rüdiger Dohmann den Mindestabs­tand einhalten, wenn er Spritzen setzen oder sich Verletzung­en ansehen muss, dann sind die 1,5 Meter schnell dahin. „Wir improvisie­ren viel“, sagt der 56-Jährige, das gilt auch für das Team. Homeoffice für die Arztpraxis ist nicht umsetzbar, „wir können nicht einen Platz anbieten“, sagt Dohmann, obwohl es Angestellt­e gebe, die ihre Kinder zu Hause betreuen müssen.

So langsam merkt man dem sonst so gut gelaunten Doktor die Ausnahmesi­tuation an, die gerade vielen Menschen zu schaffen macht. Dohmann ist eigentlich eine rheinische Frohnatur, durch und durch Karnevalis­t, „Am Samstag wäre Prinzenbal­l gewesen“, sagt er wehmütig und auch ein bisschen verärgert, die aktuelle Strategie der Politik „ist schlafmütz­ig, kreativlos und konzeption­sarm“. Während in anderen Ländern schon Millionen Dosen verimpft worden seien, habe man hier darauf gewartet, bis die Europäisch­e Arzneimitt­el-Agentur den Impfstoff freigibt. „Bei uns ging es um Verwaltung­sfragen, ob die Infobrosch­üren nun in 24 Sprachen gedruckt werden oder nur auf Englisch.“

Bis zum Sommer fühlte sich Dohmann gut regiert, „wir hatten aber auch Glück“, sagt der Orthopäde und meint damit ganz konkret die vergleichs­weise geringen Infektions­zahlen. Ab Herbst kippte bei ihm die Stimmung, „da hätte man schon absehen können, welcher Impfstoff das Rennen macht“, sagt Dohmann,

für den es nur einen Weg gibt, die Pandemie in den Griff zu bekommen: Impfen.

Deswegen sieht er auch sich und seine Kollegen in der Pflicht. Sobald ein Impfstoff auf den Markt kommt, der nicht bei minus 70 Grad gelagert werden muss, „dann sollte jeder Arzt impfen“, sagt Dohmann. Ganz gleich, ob Orthopäde, Sportmediz­iner oder Gynäkologe. Alternativ sollten die niedergela­ssenen Kollegen in Schichten im Impfzentru­m in der Arena helfen, 24 Stunden, sieben Tage die Woche. „In Israel wird es so gemacht, und Israel macht alles richtig. Das Land wird im März durch sein.“Hier werde es länger dauern, aber wenn es soweit ist, dann wird Rüdiger Dohmann als erstes wieder Menschen treffen, ohne Maske, ohne Abstand, die zufälligen Begegnunge­n auf der Straße oder einer Party, das Zwischenme­nschliche – das hat ihm in den letzten Monaten am meisten gefehlt.

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN In seiner Praxis trägt Rüdiger Dohmann durchgehen­d eine FFP2-Maske. Abstand halten kann er bei Behandlung­en aber nur schwer.

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