Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Totaler Lockdown, ehrlich?
Die Bundeskanzlerin ist, wieder, alarmiert. Die Ministerpräsidenten sollen mit ihr über härtere Maßnahmen beraten, nicht erst Ende Januar, sondern schon am Dienstag. Das mag geboten sein. Aber am Anfang der Runde muss das Eingeständnis eines Scheiterns auf ganzer Linie stehen. Vor einem Monat wurde der Lockdown verschärft, denn die bis dahin geltenden Einschränkungen hatten die zweite Welle der Pandemie nach sechs Wochen nicht ansatzweise gebrochen. Es erschien wie eine logische Konsequenz, sie zu verschärfen, und so scheint es auch jetzt. Der totale Lockdown, ehrlich?
Das vollständige Scheitern der bisherigen Strategie lässt sich an den Zahlen ablesen. Viele Indikatoren werden bemüht, von Inzidenz bis R-Wert, aber der härteste, eindeutigste ist die Zahl der Toten. Es ist, sehr kühl betrachtet, so ähnlich wie in einem Unternehmen, das Erfolg auf viele Arten messen kann, aber am Ende zählt doch nur ein Wert: der Gewinn unterm Strich – oder eben der Verlust. Und obwohl das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen gekommen ist, sterben in Deutschland mehr Menschen an Covid-19 als je zuvor – und im Verhältnis zur Einwohnerzahl sogar mehr als in den USA.
Immer wieder zählt das Robert-Koch-Institut in diesen Tagen mehr als 1000 Tote pro Tag, am Freitag waren es exakt 1113. Das ist nicht der eine Flugzeugabsturz, von dem Markus Söder gesprochen hatte, sondern es sind drei pro Tag. Insgesamt sind inzwischen rund 45.000 Menschen in Deutschland an oder mit Covid-19 gestorben. Fast zwei Drittel waren über 80 Jahre alt. Oder: Mehr als vier von fünf Toten waren über 70. Das ist die sogenannte vulnerable Gruppe, die geschützt werden soll. Dass die Gesellschaft sich dieser Aufgabe gemeinschaftlich widmet, dass die Jungen sich einschränken, um das Leben der Alten zu schützen, ist ein historischer Akt der Menschlichkeit und Solidarität. Nur: Er gelingt ja nicht! Im Gegenteil, die vulnerabelste Alterskohorte ist offensichtlich gefährdeter, als sie es seit Beginn der Pandemie je war.
Und nun mehr vom Gleichen? Also neue eindringliche Appelle, doch bitte im Homeoffice zu arbeiten, noch weniger unterwegs zu sein, einwandfreie Masken zu tragen, am besten FFP2, und alle Kontakte mit anderen Menschen auf das absolute Minimum zu reduzieren? Die elf Wochen seit dem 1. November haben leider gezeigt, dass all die Appelle zu wenig gewirkt haben. Und das liegt nicht daran, dass die Menschen sie nicht befolgt hätten – die überwiegende Mehrheit macht ja genau das und trägt den Lockdown konsequent mit. Denn auch von den Jüngeren möchte sich niemand anstecken, selbst wenn das nicht lebensgefährlich wäre. Vor dem Virus, erst recht vor der neuen Mutation, die erstmals in Großbritannien auftrat, haben die meisten Respekt.
Zwei Erklärungen drängen sich auf. Erstens gibt es eine Minderheit, die sich nicht um die Beschränkungen schert, die sich aber auch mit neuen Appellen kaum erreichen lässt. Zweitens aber ist die grundsätzliche Annahme, mit einem Lockdown lasse sich die Totenzahl senken, offensichtlich falsch. Die Wirklichkeit hat es uns gelehrt, so funktioniert es leider nicht. Das zeigt letztlich auch die verheerende Lage in Irland, wo Ende Oktober der härteste Lockdown eines EU-Landes verhängt wurde. In der Folge sank die Sieben-Tage-Inzidenz zwar auf unter 50, aber jetzt, nach schrittweisen Lockerungen und dem Auftreten des mutierten Virus, liegt sie über 900 Infektionen pro 100.000 Einwohner. Der sehr strikte Lockdown hat Irland auch nur eine Atempause verschafft, aber die Pandemie nicht besiegt.
Wenn also Angela Merkel und die Ministerpräsidenten am Dienstag beraten, sollten sie nicht zuallererst einen totalen
Angela Merkel und die Ministerpräsidenten sollten alles in Gang setzen, was direkten Erfolg verspricht