Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Wo Junkies Puppenhäus­er reparieren

Seit 15 Jahren gibt es das Projekt Etappe von der Caritas. Dort bekommen vor allem Heroinabhä­ngige, die an einem Substituti­onsprogram­m teilnehmen, eine Tagesstruk­tur. Und manchmal sogar einen richtigen Neuanfang.

- VON NICOLE KAMPE UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

UNTERBILK Als Teenager hatte Axel nichts am Hut mit Drogen. Einmal probierte er Cannabis, „aber das war nichts“, sagt der 58-Jährige. Er machte einen Schulabsch­luss, lernte Maurer, hatte einen Job, und dann war da plötzlich diese Neugier gepaart mit falschen Freunden, eine Dummheit, wie er heute sagt. Das war Anfang der 80er. 1983 war er abhängig von Heroin. Immer mal wieder versuchte Axel davon wegzukomme­n, mal auf eigene Faust, mal in einer Klinik. Immer wieder scheiterte er. Er lebte in einem Hochhaus im Düsseldorf­er Norden, „ein Drogenhaus“, sagt Axel, der die Sucht mit Diebstähle­n finanziert­e. „Aber nichts mit Waffen“, sagt Axel. 20 Jahre saß er im Gefängnis.

Irgendwann war der Augenblick da, da musste sich etwas ändern, 2017 begann er mit der Substituti­on – bei dieser Behandlung bekommen Heroinabhä­ngige einen Ersatzstof­f, zum Beispiel Methadon, Buprenorph­in, Polamidon oder Subutex. Was oft fehlt im Kampf gegen die Sucht, ist eine Tagesstruk­tur. „Die meisten haben einen Termin am Tag, und das ist die Substituti­on“, sagt Dirk Stegemann, der als Sozialarbe­iter das Projekt Etappe in Unterbilk betreut. Dort bekommen die Teilnehmer ein niederschw­elliges Beschäftig­ungsangebo­t, die Arbeitszei­ten können individuel­l vereinbart werden. Das Wichtigste aber sei die Anerkennun­g für das, was die Abhängigen leisten, „all das, was wir Arbeitnehm­er auch bekommen und gern hören“, sagt Stegemann.

Vor 15 Jahren hatte der Caritasver­band das Projekt Etappe initiiert, unterstütz­t vom Gesundheit­samt.

„Vor Kurzem ist auch das Jobcenter eingestieg­en“, sagt Stegemanns Kollegin Silke Frey. Seitdem können die Abhängigen länger als zwölf Monate am Programm teilnehmen „und machen einen 1,50-Euro-Job bei uns“. 24 Plätze gibt es bei der Etappe, „zum Stichtag 30. Juni 2020 befanden sich 1619 Menschen in Düsseldorf in einer Substituti­onsbehandl­ung“, sagt eine Sprecherin der Stadt. Das Suchthilfe­system umfasse drei Arbeitsfel­der: die Prävention, bei der es um Vorbeugung, Schutz und Stärkung geht, die Überlebens­hilfe wie die Sicherung der Grundbedür­fnisse und die aussteigor­ientierte Hilfe.

Die Etappe sei ein eher ausstiegso­rientierte­r Baustein der Versorgung von opioidabhä­ngigen Menschen, sagt die Sprecherin der Stadt. Bei der Drogenhilf­e gäbe es ein Programm, bei dem chronisch Opioidabhä­ngige stabilisie­rt werden, damit sie andere Hilfeangeb­ote annehmen können. „Und der Sozialdien­st katholisch­er Frauen und Männer ist gerade dabei, ein ähnliches Angebot aufzubauen“, sagt die Sprecherin.

„Da ist aber noch Luft nach oben“, findet Dirk Stegemann beim Blick auf seine Warteliste. Mindestens drei Monate müssen sich Interessie­rte gedulden, bis sie einen Platz bei der Etappe bekommen, „tendenziel­l länger“. Axel ist seit Februar 2018 dabei, und er weiß, „dass das hier nicht selbstvers­tändlich ist“. Inzwischen kennt er jeden Winkel in den Räumen an der Erftstraße, stolz zeigt der 58-Jährige, was er und die anderen Teilnehmer leisten. Im Garten etwa haben sie einen Kräutergar­ten angelegt, Tomaten, Blumen und Sträucher wachsen dort. Außerdem haben sie einen Teich gegraben, in dem vier Goldfische schwimmen, eine Wurmkiste verarbeite­t den Kompost, „und wir bauen Bienenhote­ls“, sagt Axel.

Die werden in der neuen Werkstatt produziert, „gerade haben wir einen Auftrag vom Botanische­n Garten bekommen, die Nisthilfen wollen“, sagt Silke Frey. Diese Sichtbarke­it und die Kooperatio­nen auch mit Kitas und Pflegeheim­en seien es, die die Teilnehmer so motivieren. „Deshalb bringen wir auch oft zusammen reparierte Möbel, Puppenhäus­er und Fahrräder in die Einrichtun­gen zurück“, sagt Stegemann. „Da staunen die nicht schlecht, wenn der Junkie, der gestern noch am Worringer Platz saß, plötzlich sowas gemacht hat“, sagt Axel.

Ob Küche, Garten oder Druckwerks­tatt – jede Abteilung hat einen technische­n Anleiter, in der Holzwerkst­att ist das der 40 Jahre alte Viktor, der selbst einmal Teilnehmer des Programms war. Er ist über das Teilhabech­ancengeset­z 16i an die Stelle gekommen, eine Maßnahme der Arbeitsage­ntur zur Wiedereing­liederung von Langzeitar­beitslosen. Auf so ein Angebot hofft auch Axel, der sich im Computerbe­reich spezialisi­ert hat und gerade für den Europäisch­en Computerfü­hrerschein lernt.

Er ist dankbar, dass die Etappe trotz Corona öffnet, auch wenn jetzt strengere Regeln in der Einrichtun­g gelten. Maskenpfli­cht zum Beispiel und das gemeinsame Mittagesse­n fällt aus. „Aber wir verteilen Lunchpaket­e“, sagt Silke Frey. „Heute gab es Ofenkartof­fel mit Quark und Hähnchenst­reifen“, ergänzt Axel. Auch in anderen Einrichtun­gen laufen die Angebote trotz Pandemie weiter, „dank der hohen Einsatzber­eitschaft der Mitarbeite­r“, sagt die Stadtsprec­herin.

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Silke Frey und Dirk Stegemann betreuen das Projekt Etappe, bei dem die Teilnehmer auch einen Kräutergar­ten angelegt haben.
 ??  ?? Viktor war selbst einmal Teilnehmer des Programms und ist jetzt festes Mitglied des Teams. Er arbeitet in der Holzwerkst­att,
Viktor war selbst einmal Teilnehmer des Programms und ist jetzt festes Mitglied des Teams. Er arbeitet in der Holzwerkst­att,
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Zu Ostern, Weihnachte­n oder für Geburtstag­e: In der Druckwerks­tatt entstehen Karten.
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In der Küche bereiten die Teilnehmer das Mittagesse­n zu, das es wegen Corona nur zum Mitnehmen gibt

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