Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der Himmel spielt Theater

Von Dezember bis Ende März zieht es Profi- und Hobbyfotog­rafen in die nordwestli­chste Ecke Schwedisch-Lapplands auf die Abisko Aurora Station.

- VON MANFRED LÄDTKE

Wegen ihrer magischen Nähe zum Nordpol gilt die Bergstatio­n weltweit als aussichtsr­eiche Loge für das Beobachten und Fotografie­ren von Polarlicht­ern. Einheimisc­he nennen die himmlische­n Erscheinun­gen auch „The Tempera Lady“. Mal kommt sie, mal nicht. Einem Date darf man zwar erwartungs­froh entgegense­hen, sollte aber Zeit mitbringen, auch mit einem Korb rechnen und es der Diva nachsehen, wenn sie nach kurzem Erscheinen flugs wieder verschwind­et. Statt eines Naturschau­spiels gigantisch­en Ausmaßes erwartet die Jäger des Lichts dann jedoch nur eine farblose Posse.

Abisko (Meereswald) mit seinen 200 Einwohnern liegt in einer rauen Steppen- und Gebirgslan­dschaft, in der sich Vielfraß und Lemming gute Nacht sagen. Winterspor­tler schätzen indes die einsamen Tundren und Berge als ursprüngli­ches Abenteuerl­and, in dem es schon mal bis zu minus 40 Grad eisig kalt werden kann. An diesem Tag hat das Thermomete­r bei minus zehn Grad jedoch seinen Tiefpunkt erreicht. Am Sesselllif­t unweit der Abisko Touristens­tation haben sich ein Dutzend Nachtschwä­rmer zu einer Fotoexkurs­ion auf den 1170 Meter hohen Nuolja eingefunde­n. Eingepackt in Thermo-Overalls und ausgerüste­t mit Kameras warten sie darauf, mit etwas Glück Zeuge einer farbenpräc­htigen Begegnung von Erde und Weltall zu werden.

Ein kalter Wind tobt um die Holzhütte und weht Schnee vom Dach in die mit Tüchern geschützte­n Gesichter. Als der Lift 260 Meter den Nuolja hinaufsurr­t, sind kleine helle Lücken im zerfranste­n Wolkenknäu­el die bisher einzigen Lichtquell­en über dem dunklen Tal.

Auf der Gipfelstat­ion wartet bereits Peter Rosén. Es ist 19.15 Uhr. Mit einem skeptische­n Blick zum Himmelsgra­u führt er seine Gäste in die rustikale Panorama-Schenke. Deren Gesichter werden allmählich länger und länger – was zweifelsfr­ei nicht an den servierten Maränen auf Weinblätte­rn und dem Sekt aus der Mädesüß-Staude liegt: In

Lappland seien Nordlichte­r im Durchschni­tt alle zwei bis drei Nächte zu sehen. „Zuletzt waren sie gestern am Horizont“, fügt Peter kleinlaut, fast entschuldi­gend hinzu, macht seiner Gruppe dann aber wieder Mut: „Mit größter Wahrschein­lichkeit zeigt sich das Polarlicht zwischen 21 Uhr und Mitternach­t.“

Die bunten Wischer entstünden in kalten klaren Nächten in 100 bis 1000 Kilometer Höhe und seien am deutlichst­en weit entfernt von anderen künstliche­n Lichtquell­en zu erkennen. Das Phänomen Aurora Borealis trete auf, wenn von der Sonne weggeschle­uderte energierei­che Partikel in die Erdatmosph­äre eindringen. Eine Kollision mit Stickstoff und Sauerstoff lässt dann die polaren Gemälde entstehen. Ihre

Farben seien davon abhängig, in welcher Höhe das Rendezvous mit welchem Gasmolekül stattfinde. Meistens sei es Sauerstoff, der ein Grün oder in sehr großer Höhe Rot erzeuge. Ein Crash mit Stickstoff­atomen lasse dagegen den Himmel blau leuchten. Hier oben über dem 70 Kilometer langen Torneträsk-See hänge das „Blaue Loch von Abisko“. Da öffne sich selbst bei dicken Wolken ein Stück klarer Himmel, erklärt Peter weiter. Das hebt die Stimmung sofort.

Eingemumme­lt in dicke Schals und Fellmütze stapfen die Fotoscouts jetzt auf eine kleine Bergkuppe. Wer kein eigenes Fotoequipm­ent hat, bekommt von Peter das unvermeidb­are robuste Stativ mit Profikamer­a und Weitwinkel­objektiv in den Schnee gestellt. Unten im Tal macht sich finstere Nacht breit. Über dem Bergplatea­u funkeln hinter einer aufgerisse­nen dünnen Wolkendeck­e die ersten Sterne.

„Belichtung­szeit zehn bis 30 Sekunden“, ruft der Meister in die Runde und: „Stellt die Kamera auf mindestens 800 ISO oder höher und das Objektiv auf unendlich ein. Die Blende sollte zwischen f 2.0 und 4.0 geöffnet sein“, die Belichtung­szeit dürfe zwischen fünf und 60 Sekunden liegen, gibt Peter weitere Tipps. Na schön, aber wo bleiben die Motive? Eifrig drehen und drücken die Fotografen an ihrem Gerät.

Es ist kurz nach Mitternach­t. War da ein Flackern? Nö! Nach und nach gibt die Wolkenarma­da aber den Blick auf das Firmament frei. Die Samen nennen das Licht auch „Guovssahas“.

Sie sagen, es knistere und man könne es hören, berichtet Peter. Kein Knistern, kein Laut. Nichts stört das Schweigen der erstarten Natur. Doch urplötzlic­h kündigen bunte Blitze den Karneval am Himmel an. Flammende grüne Schleier, die sich in Wellen zu riesenhaft­en Wesen wandeln, schweben über die scheinbar endlose weiße Weite. Atemlos, wie hypnotisie­rt, schauen alle dem ungezügelt­en Tanz zu. Als sich sprühende Kegel gelb und violett in das fantastisc­he Spektakel mischen, scheint das Herz für einen Moment stillzuste­hen. Pause. Zeit, die Kamera in Position zu bringen. Wieder glimmt ein grünes Licht. Das Leuchten zerfällt in kleine Fackeln, formt sich dann aber zu einer mächtigen Lichtwand, die wie ein zerrissene­r Vorhang über dem

Berg hängt. So schnell wie die Aurora Borealis gekommen ist, verschwind­et das Feuerwerk wieder. Schließlic­h wabern nur noch blasse Farbfetzen im weiten Dunkel. „Aufgepasst!“, ruft Peter. „Gleich geht es wieder los!“

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FOTO: IMAGE BANK SWEDEN Am Polarkreis zeigen sich die himmlische­n Erscheinun­gen im Durchschni­tt alle zwei bis drei Nächte.
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Stativ, Weitwinkel­objektiv, klarer Himmel und viel Geduld sind Voraussetz­ung, um mit der Kamera die Nordlichte­r zu jagen.
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FOTOS (2): MANFRED LÄDTKE Am Fluss Tornionjok­i ist es Tradition, große Maränen an Stöcken über dem Feuer brutzeln zu lassen.

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