Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Mutig – und selbstverl­iebt

- VON ULRICH KRÖKEL

Alexei Nawalny konnte nach seiner Festnahme öffentlich nur wenige Sätze sagen. Die aber hatten es in sich. Mit dem hastig anberaumte­n Prozess gegen ihn sei der „Gipfel der Gesetzlosi­gkeit“in Russland erreicht, erklärte er. Und: Der „Opa in seinem Bunker“habe anscheinen­d so viel Angst vor ihm, dass er die Strafproze­ssordnung auf den Müllhaufen der Geschichte befördert habe. Mit dem Opa war niemand anderer gemeint als Präsident Wladimir Putin, der im Kreml (deutsch: Festung) hocke wie in einem Bunker.

So sehr man mit Nawalny auch bangen mag, der im Sommer Opfer eines heimtückis­chen Mordanschl­ags wurde: Seine Stellungna­hme im Pöbelstil stimmt doch nachdenkli­ch. Sie zeugt vor allem von einem gerüttelte­n Maß an Narzissmus. Denn natürlich hat Russland unter Putin schon ganz andere Gesetzlosi­gkeiten erlebt. Man denke etwa an Michail Chodorkows­ki, der nach einem Schauproze­ss zehn Jahre in einem sibirische­n Straflager verbringen durfte, weil er sich gegen Putin gestellt hatte.

Die Strafproze­ssordnung liegt in Russland längst auf dem Müll. Die Verfassung und das Völkerrech­t übrigens auch. Die Annexion der Krim zum Beispiel fand auf einer ganz anderen Skala der Gesetzlosi­gkeit statt als das Eilverfahr­en gegen Nawalny. Im Übrigen ist es auch Unsinn zu glauben, dass sich Putin vor einem einzelnen Dissidente­n fürchten könnte. Damit keine Missverstä­ndnisse aufkommen: Der Mut Nawalnys ist beeindruck­end, und wahrschein­lich muss man sogar einigermaß­en selbstverl­iebt sein, wenn man sich der Macht des Kremls entgegenst­ellen will. Wer allerdings hofft, Nawalny könnte bald eine schlagkräf­tige Opposition formen, der irrt. Bis zur Präsidente­nwahl 2024 wird es keinen „Sturm auf den Bunker“geben, weder im wörtlichen noch im übertragen­en Sinne.

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