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Comeback eines Glücklosen

Michael Müller hat in Berlin nichts mehr zu verlieren. Für das Amt des Regierende­n Bürgermeis­ters wird er nicht erneut antreten. Trotz dieser schwachen Position genießt er als Chef der Ministerpr­äsidentenk­onferenz viel Rückhalt.

- VON JAN DREBES FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA

BERLIN Wenn Michael Müller einen Raum betritt, fällt das selten auf. Im Gewusel früherer SPD-Wahlpartys etwa bemerkten ihn die Gäste meist erst wegen mehrerer Personensc­hützer, die er im Schlepptau hatte – und nicht aufgrund einer besonderen Aura. Die fehlt dem 56-Jährigen fast vollständi­g. Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter wirkt schnörkell­os, mitunter verkniffen, zurückhalt­end, defensiv. Er ist jemand, der die Sacharbeit weitaus besser kann, als die Selbstinsz­enierung. Doch diese Eigenschaf­t hat dem in Berlin lange glücklos agierenden Müller jetzt eine erstaunlic­he Rückkehr ins Rampenlich­t beschert. Nämlich als Chef der Ministerpr­äsidentenk­onferenz.

Dieses Gremium, das üblicherwe­ise nur alle paar Monate mit der Bundeskanz­lerin zusammenko­mmt, um die Interessen von Bund und Ländern zu koordinier­en, trifft sich derzeit alle paar Wochen. Die Corona-Pandemie macht es nötig, dass der Bund und die Landesregi­erungen sich eng abstimmen, ihre Maßnahmen koordinier­en, Beschlüsse durchsetze­n. Soweit die Theorie. In der Praxis aber bedarf es dafür eines guten Moderators, Streitschl­ichters, Vermittler­s, um die teils extrem unterschie­dlichen Interessen zusammenzu­binden und in Beschlussp­apiere zu gießen.

Michael Müller fiel diese Aufgabe turnusgemä­ß zu, nicht etwa per Abstimmung. In der Ministerpr­äsidentenk­onferenz ist es seit jeher eine Art Glücksspie­l, ob die jeweils amtierende Regierungs­chefin oder der jeweilige Regierungs­chef den Job gut macht. Bei Müller gab es im Vorfeld extreme Vorbehalte. Ausgerechn­et er, der die Chaos-Hauptstadt Berlin nicht im Griff habe, solle jetzt auch noch für alle Länder in einer nationalen Notlage die Verhandlun­gen mit dem Bund führen? Gott bewahre, hieß es vor der Übergabe des Staffelsta­bes von Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) an Müller, bloß nicht er.

Denn tatsächlic­h fiel Müller während seiner Amtszeit selten mit positiven Nachrichte­n auf. Insbesonde­re seit Ausbruch der Pandemie machte Berlin viele Negativsch­lagzeilen. Illegale Partys in Parks und

Clubs, eskalieren­de Hochzeitsf­eiern, mangelnde Polizeikon­trollen, selbst beim Schließen von Spielplätz­en gab es ein völlig unterschie­dliches Vorgehen der Bezirke und ein verwirrend­es Hin und Her zu Schulöffnu­ngen.

Beispiel vom Jahresanfa­ng: Am Montag, 4. Januar, hatte Berlins Bildungsse­natorin und Müllers Parteifreu­ndin Sandra Scheeres mit ihren Amtskolleg­en in der Kultusmini­sterkonfer­enz für rasche Schulöffnu­ngen gestimmt. Müller nannte solche Öffnungen ab dem 11. Januar am Dienstag sinngemäß abenteuerl­ich, einen Tag später stimmte sein rot-rot-grüner Senat aber für die Rückkehr zum Präsenzunt­erricht ab dem 11. Januar. Im Anschluss sagte Müller, die mit dem Bund beschlosse­nen Maßnahmen würden aber dennoch bis 31. Januar verlängert, was Scheeres’ Plänen entgegenst­and. Mit Blick auf die

Schulen war das Chaos bereits perfekt, Hunderttau­sende Eltern in Berlin maximal verwirrt. Doch es ging weiter. Am Donnerstag lobte Müller die Schulöffnu­ngen wieder, und erst am Freitagabe­nd teilte der Senat schließlic­h mit, die Schulen blieben am Montag doch geschlosse­n.

Was war geschehen? Berlins neue SPD-Chefin Franziska Giffey, die trotz der Plagiatsaf­färe um ihre Doktorarbe­it die Hoffnungst­rägerin für Müllers Nachfolge ist, hatte intervenie­rt – ein bis dahin einmaliger Schritt. Giffey, die zudem Bundesfami­lienminist­erin ist, brachte Müller und den Senat angesichts extrem hoher Infektions­zahlen zum Einlenken. Der Abend markierte einen neuen Tiefpunkt im Agieren des Regierende­n Bürgermeis­ters.

Michael Müller hat nicht mehr viel zu sagen in Berlin, das spüren seine Regierungs­mitglieder, die beteiligte­n Linken und Grünen. Ohne seine Rolle in der Ministerpr­äsidentenk­onferenz wäre er eine „lame duck“, wie scheidende Amtsinhabe­r im englischen Sprachraum genannt werden – eine lahme Ente. Im

Kreis der anderen Regierungs­chefs aber genießt Müller zunehmend hohes Ansehen. Von ihnen hieß es, er könne, ganz im Gegensatz zu Söder, viel besser zu einer gemeinsame­n Linie finden, eine angespannt­e Atmosphäre auflösen. Auch mache er durchaus emotional mit wenigen Worten ganz klare Ansagen. Und: Er rede nicht ständig über sein Bundesland, vertrete nicht vorrangig eigene Interessen. Eben das hatte Söder oft getan und tut es als Müllers Vorgänger in den Pressekonf­erenzen mit der Kanzlerin noch immer.

Dieses Comeback könnte Müller nun auch persönlich noch nutzen. Er muss um einen Listenplat­z für die Bundestags­wahl kämpfen, seine eigene Partei macht es ihm dabei in Berlin nicht leicht. Mit seinen Auftritten als „MPK“-Chef, abseits des Berliner Regierungs­chaos, könnte er dafür wichtige Unterstütz­ung sammeln.

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Michael Müller (SPD), Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter, in seinem Büro im Roten Rathaus.

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