Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Australien taugt kaum als Vorbild für Europa
Das Land fährt in der Corona-Pandemie einen rigiden Kurs, welcher der Bevölkerung viel abverlangt.
MELBOURNE Die Wirtschaft komplett herunterfahren, Jobs ins Homeoffice verlagern, das Haus nur noch aus lebensnotwendigen Gründen verlassen sowie eine strenge Maskenpflicht – in Melbourne hat dies über den Winter auf der Südhalbkugel eine zweite Covid-19-Welle erfolgreich eingedämmt. Inzwischen hat die zweitgrößte Metropole Australiens das Virus gut im Griff, Tage mit null Neuinfektionen – als sogenannte Donut-Tage bekannt – sind keine Seltenheit mehr.
Zu den Erfolgsrezepten Australiens zählen geschlossene Außengrenzen, ein strenges und teures Quarantäneprogramm für Rückkehrer aus dem Ausland, das teilweise Abschotten der einzelnen Bundesstaaten im Inneren sowie extrem schnelle Reaktionen auf neue Ausbrüche. Dafür nehmen die 25 Millionen Australier in Kauf, dass selbst Staatsbürger inzwischen Probleme haben, aus dem Ausland in die Heimat
zurückzukehren, nachdem die einzelnen Flughäfen nur eine geringe Zahl an Passagieren pro Woche einreisen lassen. Ebenfalls dazu gehört, dass Australier sich auch im eigenen Land nicht mehr völlig frei bewegen dürfen. Wer etwa von Sydney nach Melbourne will, braucht eine Ausnahmegenehmigung. Und einzelne Regionen können von heute auf morgen in den Lockdown gehen: Nachdem sich eine Putzkraft in Brisbane in einem der Quarantäne-Hotels mit der neuen britischen Variante angesteckt hatte, wurde die gesamte Stadt kurzfristig in einen dreitägigen Lockdown geschickt.
Die Wissenschaft applaudiert der australischen Zero-Politik. Der dreitägige Lockdown in Brisbane sei „klar, entschieden und gut artikuliert“gewesen, schrieb Hassan Vally, Epidemiologe an der Universität La Trobe in Melbourne, im Wissenschaftsmagazin „The Conversation“. In den drei Tagen konnten Kontakt-Tracer ihre Arbeit erledigen und die Behörden mehr über die Art des Ausbruchs erfahren. „Die Tatsache, dass es sich um eine neue, ansteckendere Variante handelte, stellte eine erhebliche Bedrohung dar“, so Vally. Die Reaktion habe auf dem Vorsorgeprinzip beruht, „angesichts dessen, was auf dem Spiel stand, war sie aber gerechtfertigt“.
Stephen Duckett
Direktor des Gesundheitsprogramms am australischen Grattan Institut
Die Bereitschaft der Australier, Verzicht zu üben, um die Alten und Kranken zu schützen und das Gesundheitswesen nicht zu überlasten, ist groß. Dies bestätigte auch der Direktor des Gesundheitsprogramms am Grattan Institut, Stephen Duckett, im Gespräch mit der lokalen Tageszeitung „The Age“. „Wir haben uns bemerkenswert gut geschlagen“, sagte er. Ähnlich gut seien nur Singapur, China, Neuseeland,
Thailand, Vietnam und der Jemen gewesen. Auch diese Länder hätten es dank Kontaktverfolgung sowie Überwachung der Bevölkerung und grenzüberschreitender Bewegungen geschafft, die Übertragung zu unterdrücken.
Doch wie realistisch ist es, dass europäische Länder einen ähnlichen Erfolg verbuchen können? Laut Catherine Bennett, Epidemiologin an der australischen Deakin Universität, haben es die Menschen auf der Nordhalbkugel tatsächlich schwerer. Herbst und Winter würden dort günstige Bedingungen für Covid-19 schaffen. Mehr Menschen würden sich dann in Innenräumen sammeln, ein Mangel an Sonnenlicht würde dazu führen, dass das Virus auf Oberflächen länger überleben kann. Zudem würden viele Menschen mit Symptomen den Test verzögern, weil sie glauben würden, lediglich eine Erkältung zu haben. Auch die „poröseren Grenzen Europas“seien ein Problem, sagt die Expertin.
„Wir haben uns bemerkenswert gut geschlagen“