Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Kunst sollte keine Massage sein“
Die Kunstsammlerin hält die Schließung der Museen für eine „Katastrophe“. Denn Menschen brauchen Zufluchtsorte der Reflexion.
Wie empfinden Sie derzeit die Stimmung im Land?
STOSCHEK Die Stimmung ist angeschlagen. Ich merke, dass der zweite Lockdown den Menschen viel stärker aufs Gemüt schlägt, als das im Frühjahr der Fall war. Mein Wunsch an die Politiker in Bund und Ländern ist, Museen und Ausstellungshäuser ab einer gewissen Größe zu öffnen, weil diese Institutionen die Möglichkeit haben, den Besucherzugang zu regulieren und die Abstandsregel zu wahren. Allein die Julia Stoschek Collection hat in beiden Ausstellungshäusern jeweils rund 3000 Quadratmeter! Es ist Platz ohne Ende da.
Warum ausgerechnet die Museen? Sind die systemrelevant, wie es so schön heißt?
STOSCHEK Gerade jetzt ist Kunst für die Menschen wahnsinnig wichtig und insofern ausdrücklich systemrelevant. Die Menschen brauchen einen Zufluchtsort, einen geschützten Raum zur Reflexion und des Diskurses. Ich vermute, dass der Lockdown noch bis März dauern wird – wenn nicht noch länger. Dass Museen in der Verordnung mit Vergnügungstempeln und Bordellen gleichgesetzt werden, bloß weil es einmal so beschlossen wurde und jetzt nicht mehr revidiert wird, empfinde ich als absolute Katastrophe. Ich wünsche mir mehr Differenzierung und kreative Lösungen. Die Ausstellungshäuser haben intelligente Hygienekonzepte erarbeitet und bisher ist kein Ansteckungsfall im Museum nachgewiesen worden.
Die Tendenz ist aber, dass man die Maßnahmen eher verschärfen will, um vor allem die Mobilität der Menschen einzuschränken. STOSCHEK Im Grunde gibt es nur eine einzige Maßnahme: die Viren-Ansteckungsvermeidungsstrategie, die in der Sache berechtigt ist. Ich vermisse aber einen kreativ-konstruktiven Ansatz wie zum Beispiel durch Inanspruchnahme von Künstlicher Intelligenz. Ich bin keine Virologin, ich sehe aber die psychischen Folgen, die die Pandemie für unsere Gesellschaft mit sich bringt. Und es gibt sehr viele Menschen, die sich gerade jetzt nach einem Ausstellungsbesuch sehnen.
Gerade die von Ihnen ausgestellte Video- und Medienkunst scheint die Kunst der Stunde zu sein, da sie leicht ins Netz gestellt und daheim digital genossen werden kann. STOSCHEK Sie ist nicht nur technisch die Kunst der Stunde, sondern vor allem inhaltlich, weil sie die aktuellste Kunstform und zudem hochpolitisch ist. Ich werde in Berlin ab Februar eine Ausstellung zeigen, die sich mit Themenkomplexen wie Gewalt, Rassismus und Populismus beschäftigt. Künstler haben immer wieder wie Seismographen gesellschaftliche Entwicklungen vorweggenommen. In Düsseldorf zeige ich voller Begeisterung eine Solo-Ausstellung mit Werken von Jeremy Shaw. Alle Arbeiten sind zwischen 2014 und 2018 entstanden, also vor Corona, und dort finden sich Themen wieder, die uns ganz aktuell beschäftigen: Isolation, der
Wunsch nach Realitätsflucht, der Verlust der Privatsphäre oder unmoralischer Umgang mit Technologie. Und weil diese Kunstform so aktuell ist, haben wir bereits 200 Originalarbeiten aus der Sammlung online gestellt – mit Zustimmung der Künstler und ohne jede Einschränkung. Das ist einmalig auf der Welt. Irgendwann wird jeder, egal wo, Zugang zu meiner Sammlung haben können. Dies ist meines Erachtens in der Kunstgeschichte einzigartig und im besten Sinne demokratisch.
Wenn Kunst und insbesondere Medienkunst politisch relevant ist, gibt es dann auch eine politische Verantwortung der Kunst für die Macht ihrer Bilder?
STOSCHEK Das stimmt. Künstlerisches Handeln regt mit seiner Sprache
Diskurse an, die die Politik nicht immer anstoßen kann. Davon bin ich überzeugt. Ich habe nichts gegen dekorative Malerei, aber ich bin dankbar dafür, dass meine Künstler politisch sind. Ich möchte mich mit einer Kunst beschäftigen, die mich aufrüttelt, aufwühlt. Der Ausstellungsbesuch sollte nicht mit dem Verlassen des Museums enden. Kunst sollte keine Massage sein, sondern zum Nachdenken anregen.
Sind Sie ein politischer Mensch?
STOSCHEK Ja. Ich bin eine mündige, politische Bürgerin.
Kunst tut sich schwer damit, breite Massen zu erreichen – und die von Ihnen ausgestellte Kunst wahrscheinlich noch weniger. Was muss geschehen, damit sich das ändert?
STOSCHEK Gar nichts. Als ich anfing, haben viele darüber geschmunzelt. Wir leben im digitalen Zeitalter und sind jetzt Teil der digitalen Revolution. Diese Kunstform schafft sich ihr Publikum selber.
Ist das Publikum von Medienkunst jünger?
STOSCHEK Nein. Hier in Düsseldorf gibt es ja ein gewachsenes Publikum, das sich über Jahrhunderte mit Kunst beschäftigt hat. Da stellte sich natürlich anfangs die Frage, ob Medienkunst an diesem Standort angenommen wird. Das war erfreulicherweise absolut der Fall. Medienkunst ist die Sprache unserer Zeit. Sie funktioniert für jedes Alter.
Wie unterscheidet sich das Publikum von Berlin, Standort ihres
zweiten Hauses, und Düsseldorf?
STOSCHEK In Berlin kommen natürlich mehr Besucher ins Haus. Und das Publikum dort ist internationaler. Aber hier in Düsseldorf sind die Besucher umfassender vorgebildet. Man merkt, dass die Menschen in dieser Stadt es gewohnt sind, mit Kunst zu leben und sich mit Kunst zu beschäftigen.
Vermissen Sie dennoch etwas in Düsseldorf?
STOSCHEK Ja, ich vermisse Atelierräume. Es gibt viele junge Künstler, die nach dem Studium an der Kunstakademie die Stadt wieder verlassen. Und um diese Künstler zu halten, brauchen wir unbedingt mehr bezahlbare Arbeitsräume.
Ist der Fortbestand Ihres Berliner Ausstellungshauses inzwischen gesichert?
STOSCHEK Nein, aber der des Düsseldorfer Hauses. Hier ist unser Stammhaus. Ende 2022 müssen wir unsere Räume in Berlin verlassen, weil sie renoviert werden müssen. Bis jetzt wissen wir noch nicht, wie es danach weitergeht.
Es kann also sein, dass Sie künftig in Berlin nicht mehr vertreten sind?
STOSCHEK Ja, das ist durchaus eine Möglichkeit.
MORITZ DÖBLER UND
LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTEN DAS INTERVIEW.